Manchmal nahm Ike Tina mit, wenn er sich neue Sänger oder andere Bands in den örtlichen Clubs anschaute. Er erzählte ihr, welche Bluesmusik ihm gefiel. Anna lernte alles über Big Mama Thornton und Howlin’ Wolf. Auf diese Weise begann sie, Ike als ihren musikalischen Mentor anzusehen.
Später sollte sich Tina daran erinnern, dass sie ihre Beziehung zu Ike als „geschwisterlich“ empfand. Ike war noch mit Lorraine zusammen und er hatte außerdem in der Stadt noch eine andere Freundin namens Pat, mit der er ein weiteres Kind hatte.
Irgendwann um 1959 herum trennten sich dann Lorraine und Ike. Nun gab es keine „Hauptfrau“ mehr in seinem Leben. Sein suchender Blick fiel daraufhin auf Anna Mae. Tina zufolge versuchte er im Auto auf dem Rückweg von einem Club-Konzert zum ersten Mal, sie sexuell zu berühren. Sie weiß noch, wie falsch es sich anfühlte, es zuzulassen, dass er sie anfasste, aber Ike war ihr „Svengali“, ihr Mentor, und so ließ sie die Dinge von da an ihren Lauf nehmen.
Eines Nachts fühlte sich Anna von einem Musiker der Band bedroht, der zu ihr ins Bett stieg und mit ihr Sex haben wollte. Da sie kein Interesse daran hatte, ging sie hinüber zu Ikes Bett, um dort geschützt zu schlafen. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, begann Ike damit, an ihr herumzuspielen und eines führte zum anderen. Da sie Ike als ihren großen Bruder ansah, fühlte sich das irgendwie falsch an, wie ein Tabubruch, doch sie ließ es geschehen. Und so begann ihre sexuelle Beziehung zu Ike Turner.
Was war so Besonderes an Ike Turner, dass sich all diese Frauen für ihn interessierten? Er war jedenfalls nicht gerade der bestaussehende Mann, den es so gab. Und sein gewalttätiger Ruf hätte eigentlich auf die meisten Frauen abschreckend wirken müssen. Trotzdem schien er einen wahren Harem an Freundinnen zu haben, die entweder mit ihm schliefen und/oder uneheliche Kinder von ihm bekamen. Anscheinend besaß keine Frau in East St. Louis in den 1950ern eine Packung Kondome.
Lag das Geheimnis von Ikes Anziehungskraft in seiner Hose? Tina meinte dazu: „Eigentlich gefiel mir Ikes Körper nicht. Egal wie groß sein ‚Glied‘ gewesen sein mag. Ich glaube, das muss auf viele weiße Frauen anziehend gewirkt haben. Ich schwöre: Als ich Ikes Körper zum ersten Mal zu sehen bekam, fand ich, dass er wie der eines Pferdes aussah. Sein Glied beeindruckte ohne und mit Erektion. Ich muss schon sagen, was das anging, war er wirklich von der Natur gesegnet … Ob er ein guter Liebhaber war? Was kann man schon machen, außer sich rauf-, runter- und zur Seite zu bewegen, oder was man sonst noch so macht beim Sex?“ (5) Nun ja, Ike Turner schien tatsächlich irgendetwas im Bett zu veranstalten, von dem Frauen nicht genug zu bekommen schienen – und nun gehörte auch Anna zu diesen Frauen dazu.
Als sich ihre frisch begonnene sexuelle Beziehung weiter entwickelte, verliebte sich Anna langsam in Ike. Und als dies passierte, tauchte plötzlich auch Lorraine wieder auf. Kaum, dass sie sich versah, waren sowohl sie als auch Lorraine schwanger – und beide Male war Ike der Vater. Deprimiert, verwirrt und in gewisser Weise „süchtig“ nach ihrer Beziehung zu Ike, zog sie aus seinem Haus am Virginia Place aus.
Mit ihrem zweiten Kind im Bauch zogen Anna und ihr Babysohn Craig in ein kleines Haus in St. Louis um. Ganz in der Nähe fand sie eine Frau, die sich um ihr Kind kümmerte, während sie arbeiten ging.
Neben den ganzen Konzerten der Kings of Rhythm in den Clubs von St. Louis und East St. Louis traten Ike, Anna und die Band zudem noch auf diversen Tanzveranstaltungen von Colleges und Studentenverbindungen auf.
Was ihre Beziehung zu Ike anging, so fühlte sich Anna in jener Zeit, um 1959 herum, hin- und hergerissen. Konnte sie jemals mehr sein als bloß eine seiner vielen Frauen? Und wollte sie überhaupt, dass ihre Beziehung mehr als nur das war? Es stand ihr ja frei, jederzeit die Band zu verlassen und wieder im Krankenhaus zu arbeiten. Sie begann damit, ihre Optionen gegeneinander abzuwägen. Und dann kam ja noch hinzu, dass sie ein Kind von ihm erwartete.
Sie saß zwischen Baum und Borke. „Der Fehler war, dass es irgendwie zu einer richtigen Beziehung wurde, was ich nicht wirklich forciert hatte … Wenn es nicht zu so einer privaten Geschichte geworden wäre, wären wir einander vielleicht auch heute noch verbunden“, behauptete sie 1997. (16)
Je länger sie bei dieser Band sang und je mehr Zeit sie mit Ike zusammen verbrachte, desto mehr wurde sie in seine Welt hineingezogen. „Er gab mir Geld fürs Singen. Er kaufte mir Kleidung … Irgendetwas war da los. Vielleicht hatte er das Gefühl, er könne mich beschützen. Genau diese Art von Mädchen bin ich. Wenn ich mit dir ins Bett gehe, giltst du für mich als mein Freund. Am Anfang war es keine Liebe, ich liebte jemand anderen“, behauptet sie. (5)
Und wie konnte sie je darauf hoffen, dass es ihr gelingen würde, ihn zu verlassen und es auf eigene Faust zu versuchen? Sie wusste nichts über das Musikgeschäft. „Ich konnte ja nichts anderes – und kannte auch niemand anderen. Und ich wollte eben singen.“ (1)
War es denn SO verführerisch, auf der Bühne zu stehen und sich wie ein Star zu fühlen, machte das denn dermaßen süchtig? Tina erklärt: „Ja, am Anfang, da war das alles SEHR aufregend, denn auf der Bühne zu singen, also eigentlich dieses Gefühl, auf die Bühne zu gehen und zu singen, war das, was wahrscheinlich jeder – zumindest recht viele Leute – gerne einmal machen würden, um genau das zu spüren. Und so war das am Anfang auch: einfach fantastisch!“ (16)
Tina zufolge festigte die Beziehung, die sie und Ike nun hatten, zum einen ihre bereits bestehende Verbindung und führte gleichzeitig dazu, dass das ursprünglich freundschaftliche Verhältnis durch diese Veränderung von Beginn an zum Scheitern verurteilt war: „Wir waren eng befreundet und das Ganze wurde dadurch ruiniert, dass unser Verhältnis sozusagen zu einer richtigen Beziehung wurde.“ (12)
Gegen Ende des Jahres 1959, kurz vor Anbruch der 1960er, war „Little Ann“ schwanger und emotional hin- und hergerissen. Doch zugleich fühlte sie sich wie ein richtiger Star, wenn sie auf der Bühne stand und vor einer jubelnden Menge sang. Obwohl sie ihre Beziehung zu Ike als „Sucht“ beschrieb, bestand die wahre Droge für sie nicht in der Liebe zu Turner. Es war vielmehr Annas Liebe zu ihren musikalischen Auftritten, wonach sie süchtig war. Nun hatte sie es im Blut. Von jetzt an gab es kein Zurück mehr.
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