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dem Nachhauseweg grübelte Antonio darüber, was wohl in den Kisten sein mochte. Seine Ohren dröhnten noch von Giorgios Gefasel, man müsse furchtlose Anhänger für die gute Sache finden, sonst verlaufe sie im Sande. Überall gab es unzufriedene Bauern, auf denen eine hohe Fron lastete, Handwerker und Tagelöhner, die am Hungertuch nagten, Bettler und Diebe, denen die grausamsten Strafen drohten, vor allem in Neapel und Palermo, aber auch in den Kirchenstaaten. Sie müsse man gewinnen und kampffähig machen. Vermutlich verbargen die Kisten den Schlüssel zum Erfolg. Antonio vermutete Waffen und Pamphlete. In ihm regte sich das schlechte Gewissen, etwas Ungesetzliches getan zu haben, darum versuchte er, zu vergessen und wollte auch nicht mehr wissen, was in den Kisten war.

      In der heimischen Gasse angekommen, atmete er tief durch, bevor er ins stinkende Treppenhaus trat, übersah die drei fetten Ratten am Eingang und nahm dann zwei Stufen auf einmal. Leise drehte er den Türknopf der Wohnungstür. Teresa schlief noch und vom Matratzenlager, auf dem sich alle Kinder drängten, nahm er gleichmäßige Atemzüge wahr. Der enge Raum war von seiner Schlafkammer nur durch einen zipfeligen Vorhang getrennt. Er schob ihn zur Seite und suchte mit den Augen Niccolò. Der Junge schlief an der Wandseite, die beiden Schwestern in der Mitte, flankiert von Bruder Carlo. Niccolòs Gesicht war zum Fenster gerichtet und so konnte Antonio ihn nicht betrachten, er hätte sonst über die Kinder steigen müssen. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass es dem Jungen wieder besser ging.

      3

      Genua 1789

      Interessiert betrachtete Niccolò die Mandoline, die auf der Kommode ruhte. Sie gefiel ihm besser als die anderen Instrumente, die sein Vater vom Hafen mitbrachte. Im Porto Franco hatte der pfiffige Antonio schon eine Flöte, zwei Gitarren aus Spanien und eine Querflöte erstanden. Neulich war er mit dieser neapolitanischen Mandoline nach Hause gekommen. Sämtliche Instrumente wurden zuerst von ihm auf ihren Zustand überprüft, dann poliert, ausprobiert und schließlich gehortet, bis sich ein Käufer fand, der gut zahlte. In der Zeit fand Niccolò Gelegenheit, die Instrumente in Ruhe zu betrachten, sie auch zu betasten. Sein Vater schimpfte nie, wenn er behutsam über die Flöte oder die Zupfinstrumente strich. Der sonst so strenge Mann blickte aufmunternd. Die Mandoline hatte es Niccolò besonders angetan. Sie lag zum Greifen nah und in ihrem schimmernden Holz meinte er ein Lächeln zu sehen, als bitte sie darum, von ihm berührt zu werden. Er nahm sie vorsichtig in die Hand, schaute sie liebevoll an, blies in ihren Bauch und lauschte. Er zupfte geschickt, als wäre sie ihm schon lange vertraut, und entlockte ihr klare, volle Töne. Antonio kam ins Grübeln. Vielleicht sollte er die Stunden, die er in langweiligen Versammlungen zubrachte, lieber dem kleinen Niccolò widmen. Das Kerlchen hatte ohnehin nicht das Zeug zum kräftigen Gassenbuben.

      „Du zupfst ganz ordentlich, mein Sohn“, sagte er eines Tages zu ihm. „Willst du dich nicht an einem Lied versuchen, anstatt so kreuz und quer zu zupfen?“

      Niccolò probierte eines der italienischen Volkslieder aus, die seine Mutter den Kindern vorsang. Der Vater brummte.

      „Das scheint noch nicht hinzuhauen. Ich will dir beibringen, die Töne zu finden!“

      Und so ging für Niccolò die spielerische Zweisamkeit mit der Mandoline zu Ende. Es begannen die ersten ernsten Musikstunden.

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      Drei Jahre waren seit Niccolòs schwerer Krankheit vergangen. In dieser Zeit hatte Antonio mehrmals geholfen, Holzkisten nach Palermo und Neapel zu verschiffen, und die Versammlungen besucht. Sein Freund Giorgio war ein begeisterter Anhänger Buonarottis geworden. Hatten ihn seine Ideen anfangs fasziniert, so verteidigte er sie mittlerweile sogar fanatisch, indessen Antonio die Sache mit steigerndem Argwohn verfolgte. Inzwischen wusste er nämlich, dass die geheimnisvollen Kisten aufwieglerische Schriften enthielten, die das geknechtete Volk Süditaliens aufklären und auf den Kampf vorbereiten sollten. Buonarotti wurde seit einiger Zeit von der toskanischen Polizei überwacht, weil er in seiner jüngst gegründeten Zeitschrift gegen Großherzog Leopold polemisierte. Darin schimpfte er ihn einen Lügner und Heuchler, der mit vagen Reformen sein Volk an der Nase herumführe. Antonio schwoll der Kamm und er machte sich rar bei den Versammlungen. Er nahm es Buonarotti übel, dem reformbereiten Großherzog in den Rücken zu fallen. Er nahm es ihm übel, nach dem blutrünstigen Frankreich zu schielen. Was ging in seinem Denkerschädel vor? War er gespalten?

      „Sie sind alle gleich. Der Mensch ist Mensch, solange er nicht nach der Macht schielt. Einmal auf dem Thron, benimmt er sich wie der, den er vom Thron stieß. So ist es, mein Niccolò!“

      Der Junge hörte mit seinen Übungen auf und sah den Vater ehrfürchtig an. Seine großen dunklen Augen blickten traurig, das Gesicht war trotz seiner olivenfarbenen Tönung bleich, was durch die schwarzen Locken noch verstärkt wurde.

      „Ich habe dir nicht erlaubt, die Übungen zu unterlassen!“, herrschte der Vater den Kleinen an, der daraufhin zusammenzuckte. „Mach weiter, immer weiter! Übe, bis sich eine zentimeterdicke Hornschicht auf deinen Fingerkuppen bildet. Du zeigst mir jeden Tag deine Finger und wehe, die Hornhaut bildet sich nicht.“ Er hob die flache Hand gegen ihn. Niccolò duckte sich und zupfte fleißig weiter.

      An die Wand des einzigen ordentlichen Zimmers gelehnt, die Hände in den Hosentaschen, beobachtete Vater Paganini den Jungen. Er zupft wie der Teufel, dachte er. Klangvoll, flink, exakt. Maria benedetta, das ist gut so, denn was soll aus dem schmächtigen Kerlchen auch werden, wenn nicht ein Musikus? Lasten kann er nicht schleppen, Kisten nicht verladen, aber Geld muss er verdienen. Am besten so schnell wie möglich, damit noch einiges in meine Tasche wandert.

      Niccolò übte täglich viele Stunden, auch an diesem Sonntag, an dem er sich nachts fiebrig gefühlt hatte und nach der Morgentoilette von der Mutter wieder ins Bett zurückgeschickt worden war. Antonio prüfte Zunge und Puls des Jungen, fand nichts Beunruhigendes und jagte ihn aus den Federn.

      „Siehst du nicht sein scheckiges Gesicht, Marito? Lass das Kind, es braucht Ruhe!“

      „Nichts da! Er hat zu lange herumgelegen. Davon ist er scheckig.“ Sein flammender Blick zuckte von Teresa zu Niccolò. „Du übst, bis ich zurückkomme, hai capito? Jeder Bettler in Italien kann die Mandoline handhaben, aber du sollst sie spielen wie kein anderer. Ich befehle es, und wehe, du spielst stattdessen den Kranken.“

      Er schlug die Tür hinter sich zu und beschloss, den Tag zu genießen, fern von Kindern und Ehefrau. Es war Spätsommer 1789, die Sonne stand hoch am Himmel, der Wind lag träge in den Winkeln oder schlummerte auf der schimmernden Decke des Meeres. Bei diesem Wetter strebte Antonio nicht sofort zum Hafen. Gemächlich schlenderte er über die Via Dante, streifte durch die verwinkelten Gassen, in denen Menschen so dicht aufeinander hausten wie Ratten. In fast alle Häuser, so finster und schmierig sie auch aussahen, war eine Marien­skulptur gemeißelt. Erhaben, doch blind sah sie auf das Elend zu ihren Füßen herab. Vor der Chiesa Santa Maria Maddalena machte Antonio kurz Halt, lüftete die Mütze und stapfte sogleich weiter durch die Vico della Maddalena, über die Vico del Tempo Buono, von wo aus er die Strada Nuova erreichte. Der Unterschied sprang ihm heute deutlicher als sonst ins Gesicht. Er wollte sich die Laune nicht ganz verderben lassen, weshalb er arrogant durch die Straße der Paläste schritt und vor jeder reichen Pforte ausspuckte. War er auch kein Revolutionär, so wünschte er dem hoffärtigen Gesindel dennoch die Krätze an den Hals. „Pack!“, schimpfte er und stieß mit dem Fuß gegen eine Statue am Eingang eines Palastes. „Ihr seid schlimmer als die Österreicher!“ Ein Wachposten näherte sich drohend. Antonio entwischte durch die Via San Siro. Plötzlich hatte er es eilig, das Viertel der Wohlhabenden zu verlassen. Er überquerte eine Piazza, begrüßte da und dort einen Bekannten, der vor einem heruntergekommenen Hauseingang döste, und gelangte endlich ins Hafengelände. Heute erwartete ihn nicht der Hafenkapitän, bei dem er sich von Dienstag bis Samstag allmorgendlich zum Entladen und Packen der Schiffsladungen melden musste. Offiziell war er ein Ligaballe, ein Packer am Hafen, inoffiziell galt er als Suonatore, als Musikant.

      Die Hände in den Hosentaschen peilte er einen Schlupfwinkel des Hafens an. Dort erwartete ihn eine Bande bärtiger Gesellen zum Mora-Spiel. Dieses Glückspiel verlangte nichts weiter als zehn Finger und deren glückliche Anwendung. Man spielte es zu zweit. Einer der beiden Spieler nannte eine Zahl und