Die erste Bahn. Markus Veith. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Veith
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672894
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Alter Egos und raunt: „Ich bin dein Vater, Kai. Du hast es verbockt. Die ganze Familie will dich loswerden. Hasta la vista, Baby! BÄNG!“ Er reißt die Arme gen Bahnsteig, als spritze etwas gegen die Mauer jenseits der Schienen. „FLAAATSCH! Sauerei an Wand. Und Schnitt. Schlagzeile: Toter in Bahnstation, keiner weiß warum. Für wie debil hältst du deinen Daddy, Froilein Tochter?“

      Helen stemmt die Waffe hoch. „Halt endlich deinen Mund!“

      „Die Story hinkt!“, motzt Kai ungebremst weiter. „Wenn du mich erschießt, bevor du gezeugt bist, dann …“ Plötzlich rucken seine Brauen in die Stirn. „Ach so. Das soll der Plot sein. – Du willst mich, deinen Vater, töten, damit es dich selbst nicht mehr gibt. Wie clever.“ Er grinst. „Und wie unglaublich dämlich. Du weißt schon, dass das nicht geht, oder? Wenn ich dich noch nicht gezeugt habe, wirst du de facto nicht geboren, ergo kannst du mich gar nicht erschießen. Science-Fiction-Gesetz. Macht man nicht. Das ist dramaturgisches Pfui-bäh!“

      „Es ist nicht, wie du glaubst“, sagt Helen matt.

      „Dann erkläre es!“, donnert Kai. „Du wolltest reden! Also bitte, Gnädigste!“

      „Hör auf zu schreien! Und nenn mich nicht …“

      „Jetzt reicht’s. Ich lass mich doch nicht verarschen!“ Mit wildem Blick stapft er einige Schritte den Bahnsteig entlang, bis er unter der nächsten Überwachungskamera steht. „Okay, Holger Sattler, komm raus, du Judas!“, ruft er hinauf. „Ich habe keine Ahnung, wie du das hier mit deinen drahtigen Fingern verkabelt hast, aber du hattest deinen Spaß, und das war’s jetzt, okay?“

      „Holger?“, hört er hinter sich. „Was soll der denn …?“

      „Hey!“, unterbricht er sie schroff. „Du Statistin hast jetzt mal Funkstille!“ Dann schnauzt er wieder zu dem elektronischen Auge empor: „Du abgefucktes Pimmelgesicht! Ey! Zünd Fürze an! Mach deine Böller-Experimente! Film fickende Pärchen! Meinetwegen! Aber so eine hinterfotzige Kacke ziehst du ausgerechnet mit mir durch?! Mann, was ich dir erzählte, war vertraulich! Also, wo auch immer du blödes Arschloch dich versteckst: Jetzt hab gefälligst die Eier und zeig dich!“

      „Hör auf mit dem Quatsch“, sagt Helen hinter ihm brüskiert. „Holger ist nicht hier! Die Kameras sind deaktiviert, alle Zugänge gesperrt. Dafür wurde gesorgt.“

      „Oh, das wird einige Frühschichtler nachher aber richtig fies verärgern.“ Dann brüllt er mit nach oben gerichteter Stimme: „Da hast du dir ja eine Strategin gecastet. Wenn du Hohlbirne ihr schon eine so blödsinnige Story eintrichterst, dann sag ihr wenigstens, dass sie sich nicht verplappern soll, indem sie dich kennt. Den Klops mit meinem Vater hätte ich fast geschluckt, aber, Alter, ey, ich versprech dir: Du hast zehn Sekunden. Wenn du dann nicht hier vor mir stehst, bist du tot. Und klär gefälligst die Verlade-Nummer mit der Einberufung auf, dann überlege ich mir vielleicht, ob ich dir nur den Arsch aufreiße!“

      „Er ist nicht hier! Also sei still!“, schreit Helen.

      Kai hört ein metallisches Klicken. Er verdreht genervt die Augen und dreht sich um. „Ach, kommen Sie, das ist wirklich zu kindisch!“

      Die Frau steht wenige Meter von ihm entfernt, die Pistole im Anschlag.

      Er hebt die Arme. „Tun Sie mir nichts, bitte-bitte“, leiert er in einem ätzend karikierten Singsang und wedelt mit den Händen. „Ich glaube alles, was Sie wollen. Oh, Schreck, Sie sind wiiirklich meine Tochter.“ Er lässt die Arme schlaff fallen, knickt mit verkniffenem Mund den Kopf zur Seite. „Lang-wei-lig! Dass Holger Ihnen eine seiner Knarren gibt, damit’s auch wirklich authentisch wirkt“, er ahmt die glucksende Stimme seines Freundes nach, „das traue ich dem Penner noch zu. Aber nie im Leben würde er einer Anfängerin wie Ihnen eine Pistole überlassen, die scharf geladen ist. Und Gnädigste, wenn Sie vorher nicht entsichern, können Sie mit dem Abzug klicken, so viel Sie wollen.“

      „Das Klicken war die Sicherung“, raunt Helen.

      „Na klar doch.“

      In einer raschen Bewegung reißt sie die gestreckten Arme nach oben. Der Schuss bellt ohrenbetäubend durch die Station. Kai hebt instinktiv und ohne jegliche Theatralik die Hände über den Kopf, lässt sich auf die Knie fallen und duckt sich. Über ihm zerbirst etwas. Er spürt, wie ein Regen aus Steinstaub, Glas- und Metallsplittern auf ihn niederprasselt und ahnt, dass jene Kamera, in die er kurz zuvor seine Warnungen gegen Holger gemotzt hat, für immer ihre Funktion aufgegeben hat. In seinen Ohren fiept es. Als er sich wieder zu der Frau umsieht, findet er diesen hässlichen Stahlanus erneut auf sich gerichtet. Lupenreines, ehrliches Entsetzen legt ihn lahm.

      „Ist das echt genug?“, fragt Helen. „So ein Schuss kostet zwischen zwei und zwanzigtausend Euro, je nachdem, wo er einschlägt. Zitatende. Und glaub mir, es ist mir egal, welchen Schaden ich anrichte.“ Mit dem Daumen legt sie den kleinen Sicherungshebel um und lässt die Waffe sinken. „Es geht nicht anders. Ich muss dich erst in Kenntnis setzen. Das ist die Bedingung.“

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