Welche Aufregung und Dramatik sich an diesem Tag abspielte und wie groß das Interesse an der Ankunft dieser vier langhaarigen Jungs auf amerikanischem Boden war, hatte niemand vorausahnen können – ich zumindest nicht, obwohl ich stets mit unerschütterlichem Optimismus an die Band geglaubt hatte.
Angefangen hatte der ganze Irrsinn an einem Abend Anfang Februar in Paris, als uns ein Telegramm aus New York erreichte, das die schlichte Nachricht übermittelte: „Beatles mit ‚I Want To Hold Your Hand‘ Nummer 1 der Cashbox Record Charts, New York“. Wir konnten es gar nicht glauben. Jahrelang hatten die Beatles wie alle anderen britischen Künstler mit einem leichten Anflug von Neid aus der Ferne auf die amerikanischen Charts geschielt. Die dortigen Hitlisten stellten etwas Unerreichbares dar. Nur Musiker aus dem eigenen Land fanden in den USA Berücksichtigung. Allerdings war mir damals schon klar: Wenn es je eine Platte geben würde, die sich in den USA verkaufen und den Beatles den Weg zum Erfolg ebnen konnte, dann war das „I Want To Hold Your Hand“.
Während der ganzen bisherigen Beatles-Karriere war es stets so gewesen, dass wir immer wieder eine neue Stufe der Erfolgsleiter erklommen hatten, die uns zuvor als größtes und höchstes Ziel erschienen war. Zuerst, 1962, war das der Plattenvertrag mit EMI. Das war damals für uns das Größte, was überhaupt geschehen konnte. Dann kam der Erfolg ihrer ersten Langspielplatte – der nächste Riesenschritt, bis sich herausstellte, dass das lediglich der Anfang war. Das folgende größte Ding war der Nummer-1-Erfolg von „Please Please Me“. Damals waren wir überzeugt, dass es überhaupt nichts Wichtigeres oder Dramatischeres oder Aufregenderes geben konnte, als Nummer 1 in den britischen Charts zu sein. Doch dann ging es immer weiter und weiter, und bei einer Band von der Qualität der Beatles war klar, dass es nicht nur weiter voran ging, sondern auch immer weiter nach oben. Der nächste Meilenstein, den wir erreichten, war der Auftritt bei Saturday Night At The London Palladium, einer Top-Fernsehshow in England.
Was sollte da noch kommen? Tja, im November 1963 wurden die Beatles eingeladen, bei der Royal Variety Show vor der Königinmutter zu spielen. Wieder ein neuer Höhepunkt …
Nachdem wir all das erreicht hatten, hätte man glauben können, dass es für die Band keine großen Ziele mehr geben konnte. Amerika erschien immer viel zu groß, zu endlos, zu weit entfernt und überhaupt zu amerikanisch. Als wir von dem Nummer-1-Hit bei Cashbox erfuhren, sagte ich zu John Lennon: „Ein größeres Ding als diese Nachricht kann es überhaupt nicht geben.“ Um dann eingedenk der bisherigen Geschehnisse zögernd hinzuzusetzen: „Oder?“
Ein Journalist, der in der Nähe saß und unserem Gespräch lauschte, so wie Journalisten das eben tun, sagte daraufhin: „Na ja, die Carnegie Hall wäre bestimmt ein ziemlich großes Ding.“ Und obwohl wir ja gerade erfahren hatten, dass wir im Begriff standen, uns in Amerika einen Namen zu machen, schüttelten wir die Köpfe: Die Carnegie Hall war ja nun wirklich die größte Konzertbühne der Welt, die noch dazu, soweit wir wussten, nur sehr selten ihre Tore für Popmusiker öffnete.
Aber am Mittwoch, dem 12. Februar 1964, spielten die Beatles als Headliner in dieser riesigen Halle. Ein paar Tage zuvor hatte ich aufgrund anderer Verpflichtungen sogar ein Angebot für einen Beatles-Auftritt im Madison Square Garden in New York ablehnen müssen, der uns mehrere tausend Pfund eingebracht hätte! Wir lebten in einem Zustand ständiger, irrwitziger Aufregung, die uns alle völlig aus der Bahn warf, nur die bodenständigen Beatles nicht, die alles mit großer Gelassenheit nahmen.
Die Operation USA begann für mich im November 1963. Die Beatles haben mir schon immer gern alles überlassen, was mit Zeitplänen, Organisation, Zielvorgaben und Entwicklungen zu tun hat – zum einen, weil sie mir vertrauen, und zum anderen, weil sie wissen, dass ich sie immer fragen würde, wenn eine wichtige Entscheidung ansteht: Ich vertraue stark auf ihr unfehlbares Gespür und bin stets gespannt auf ihre Reaktionen.
Im November flog ich mit Billy J. Kramer, einem sehr erfolgreichen britischen Sänger, den ich in Liverpool unter Vertrag genommen hatte, nach New York. Zwar ging es bei dieser Reise in erster Linie darum, Billy zu promoten, aber ich wollte auch herausfinden, wieso die Beatles, die das Größte waren, was die britische Pop-Welt je gesehen hatte, in Amerika „nicht durchstarteten“.
Wie gesagt, ich hatte nicht erwartet, dass sie sofort als britische Antwort auf Frank Sinatra gehandelt werden würden, aber ich hatte doch gedacht, dass sie zumindest einen kleinen Eindruck auf dem amerikanischen Markt hinterlassen würden, schon allein wegen ihres unbestreitbaren Charmes und Talents. Schließlich weiß man in Amerika stets zu würdigen, wenn jemand etwas wirklich kann.
Der Trip mit Billy J. Kramer kostete mich zweitausend Pfund, weil ich ein extrem gutes Hotel buchte, und wir ließen es uns auch demonstrativ gut gehen, um den Amerikanern den Eindruck zu vermitteln, dass wir Leute von Einfluss und Bedeutung waren. Dabei waren wir zwei ganz normale Reisende – niemand kannte mich, und ich kannte auch niemanden, von drei Kontakten abgesehen, deren Namen in meinem Notizbuch standen.
Es war wie 1962 in London, und genau wie damals fing ich damit an, die einschlägigen Adressen abzuklappern und die Runde bei den Leuten vom Fernsehen und den Plattenfirmen zu machen. Während zu Hause in England die Beatles gerade richtig durchstarteten, wurde ich in Übersee bei dem Label Vee-Jay vorstellig [auf dem in den USA bereits die Single „Please Please Me“ und mit dem Album Introducing … The Beatles eine gekürzte Version der ersten offiziellen, gleichnamigen Beatles-LP erschienen war, Anm. d. Ü.].
Kurz zuvor hatten die Beatles-Auftritte im Palladium und bei der Royal Variety Show endlich das Interesse der britischen Presse geweckt, die nun zunehmend über ein Phänomen berichtete, das Beatlemania genannt wurde. Nun drangen die ersten Informationen darüber bis nach New York und wurden von den amerikanischen Medien aufgenommen. Nach dem, was ich hörte, stand es schon so gut wie fest, dass die nächste Beatles-Platte nun doch auf Capitol erscheinen würde, auch wenn die bisherigen Veröffentlichungen auf anderen Labels in den USA keinen Erfolg gehabt hatten.
Dennoch ging ich zu Vee-Jay, weil sie für den jungen Erfolgssänger Frank Ifield eine Menge getan hatten. Aber auch Ifield hatte es in den USA nur zu recht begrenzter Bekanntheit gebracht – und so ging es allen britischen Künstlern seit dem Zweiten Weltkrieg. In letzter Konsequenz hatten die Amerikaner an den britischen Popstars dann doch immer irgendetwas auszusetzen. Sie waren der Meinung: Die Briten mochten noch so gut sein, aber wenn sich ein Amerikaner richtig Mühe gab, dann würde er es immer besser machen können.
Bei meinen Recherchen in New York stellte ich fest, dass es ohne Frage einen typisch amerikanischen Sound gab, der dem Publikum hier zusagte. Wenn man ein gewisses Gespür für diese Dinge hat – und in aller Bescheidenheit glaube ich, das habe ich – dann merkt man so etwas. Einen britischen Hit erkenne ich alle Mal, und im November entwickelte ich ein Gefühl dafür, wie sich ein amerikanischer Hit anhören musste. Dieses ganz spezielle Feeling steckte in „I Want To Hold Your Hand“, da war ich mir sicher. Die Platte würde ganz bestimmt ein Erfolg in den USA werden, wenn vielleicht auch nur ein kleiner.
Aber dennoch sah ich mich bei anderen Firmen um, denn eines hatte ich gelernt: Verlass dich niemals auf nur eine Vertriebsmöglichkeit. Ich lernte Walter Hofer kennen, der seitdem als mein Anwalt in den USA fungiert, aber es geschah noch etwas anderes, was zumindest für den visuellen Durchbruch der Beatles noch entscheidender sein sollte: Ich traf mich mit Ed Sullivan.
Schon fast sofort nach meiner Ankunft in New York hatte sich Sullivans Sender CBS bei mir gemeldet, und wir konnten einen Termin vereinbaren. Tatsächlich kontaktierte mich noch am gleichen Tag ein führender britischer Promoter und bot mir an, die Beatles in der Ed Sullivan Show unterzubringen, aber das lehnte ich ab. Mir ist es lieber, solche Geschäfte direkt zu tätigen, ohne Mittelsmänner; eine Maxime, die sich bewährt hat.
Sullivan und ich trafen uns schließlich in seinem New Yorker Hotel, und ich lernte ihn als einen sehr zugänglichen, aufgeschlossenen Menschen kennen.