„Wir waren wahrscheinlich die einzigen Leute in Los Angeles, die ein Exemplar von The Piper at the Gates of Dawn besaßen“, betont Alice Cooper. Pink Floyds erstes Album wurde Ende Oktober 1967 in den USA veröffentlicht, als der 19-jährige Alice noch unter seinem bürgerlichen Namen Vincent Furnier bekannt war und in einer Band namens The Nazz sang. Außerdem war er „total fixiert auf alles, was mit britischen Bands zu tun hatte“. Die Wege von Alice und Pink Floyd sollten sich bereits kurz nach der US-Veröffentlichung des besagten Albums zum ersten Mal kreuzen.
Andrew King flog in seiner Funktion als Tour-Manager vor Pink Floyds erster US-Tour in die Vereinigten Staaten. Wie er heute erklärt, lief vom ersten Tag an „alles schief, was schieflaufen konnte“. In San Francisco fand King heraus, dass die Visa für die Band noch nicht bereitlagen. Gemäß den gewerkschaftlichen Vorschriften musste eine britische Band de facto gegen eine amerikanische Gruppe ausgetauscht werden, im konkreten Fall hieß das für Pink Floyd Sam the Sham and The Pharaohs. „Ich musste die Lage Bill Graham, dem Veranstalter, erklären“, sagt King. „Ich fühlte mich wie ein totales Arschloch.“
Graham, eine beeindruckende Persönlichkeit von der amerikanischen Westküste, war niemand, mit dem man es sich verscherzen wollte. Er hatte Pink Floyd Auftritte in Clubs und Konzertsälen verschafft, wo sie mit Janis Joplins Band, Big Brother and The Holding Company, spielen sollten. Aufgrund der fehlenden Visa musste die Band nun ihre ersten sechs Konzerte an der Westküste absagen. „Ein erzürnter Bill holte schließlich den amerikanischen Botschafter um 4 Uhr morgens aus seinem Bett in London, damit er die Angelegenheit klärte“, fährt King fort. „Die Band saß dann schon im nächsten Flugzeug. Wenn es so etwas wie ein Trostpflaster für mich gab, dann war es das, dass ich die Ike and Tina Turner Revue zu sehen bekam, die Bill anstelle von Pink Floyd für den ersten Abend gebucht hatte.“
Als die Band nur mit ihren Gitarren in den USA eintraf, stand sie vor zwei massiven Problemen. Ihr US-Label Capitol („das nicht die geringste Ahnung von uns und unserer Musik hatte“, wie Peter Jenner betont) hatte verabsäumt, Instrumente bereitzustellen, weshalb die Band sich gezwungen sah, die örtlichen Musikläden abzuklappern, um sich Equipment auszuborgen. Als die Floyds schließlich im 5500 Besucher fassenden Winterland Auditorium ankamen, wo sie vor Janis Joplin und Richie Havens auftreten sollten, realisierte King, dass ihre hausgemachte Beleuchtungsanlage „absolut unnütz“ sei und „sich eher für eine Aufführung an der Grundschule“ eigne. Großzügigerweise erlaubten ihnen die Headliner, ihre Beleuchtung zu benützen.
In Großbritannien wurde die Musikszene an der amerikanischen Westküste auf romantische Weise als Gegenstück zur Musik-Clique der Londoner Underground-Szene verklärt. Im Windschatten der Beatles brachte die amerikanische Presse wiederum jeder britischen Band, die nach Amerika einreiste, großes Interesse entgegen. Der gerade erst gegründete Rolling Stone entsandte den Fotografen Baron Wolman nach Sausalito, wo Pink Floyd untergebracht waren. Die Band setzte sich bereitwillig vor seiner Kamera in Szene. „Sie waren offensichtlich hocherfreut, in San Francisco zu sein“, erinnert sich Wolman. „Syd schnappte sich ein paar Zuckerwürfel und steckte sie sich in den Mund – eine offenkundige Anspielung auf seine Vorliebe für LSD und eine der populäreren Methoden, sich die Droge zuzuführen.“
Allerdings gab Waters später zu bedenken, dass viele der prominenten Bands von der Westküste im Grunde genommen im Country und im Blues verwurzelt waren. Sie jammten und kifften zwar gerne und ausgiebig, waren in Bezug auf ihren Sound und ihre Einflüsse jedoch überraschend konservativ. Pink Floyds atemberaubender Mix aus Jazz, Beat-Pop und elektronischen Experimenten hatte so gar nichts mit Janis Joplin gemein. Der Kontrast zwischen den beiden Acts fiel auch der Musikpresse auf. Der Star-Kritiker Ralph Gleason vom Rolling Stone schrieb etwa: „An der Westküste haben wir zuletzt The Cream, The Who, Procol Harum, Jimi Hendrix und Pink Floyd gesehen. Drei dieser Acts sind Gewinner. Die anderen beiden bringen’s einfach nicht. Live wirken Pink Floyd – trotz all ihrer elektronischen Vorlieben – schlicht langweilig, wenn sie nach Big Brother und Janis Joplin auf die Bühne eines Tanzsaales müssen.“
Die Band fand, dass sie im Rahmen ihrer kleineren Club-Konzerte, bei denen sie ihre eigene Beleuchtung verwenden konnte, besser ankam – zumindest gelegentlich. Bevor sie von London losflogen, ließ sich Syd bei Vidal Sassoon noch die Haare machen, jedoch fand er keinen Gefallen an der daraus resultierenden Lockenpracht. Auch der Beleuchtungstechniker Peter Wynne-Willson ließ sich seine Haare einkräuseln. „Syd, ich und ein paar andere gingen in London zu Vidal Sassoon, um uns Dauerwellen machen zu lassen. Ich frage mich, ob Syd vielleicht eine allergische Reaktion auf seine neue Frisur hatte. Ich erinnere mich genau daran, dass bald darauf das blanke Entsetzen aus seinen Augen zu sprechen schien.“ Bevor er im Cheetah Club in Santa Monica auf die Bühne ging – so wird zumindest berichtet –, schmierte sich Barrett wütend den Inhalt eines Fässchens Pomade über die Haare und zerbröselte anschließend noch eine Handvoll Barbiturate darin. Wynne-Willson kann sich allerdings nicht daran erinnern. Ganz im Sinne großer Rock-Mythen und Legenden behaupten andere aber felsenfest, etwa auch Sam Hutt, dass Syd diese Nummer zuvor auch schon im UFO abgezogen hatte. („Ich erinnere mich daran, wie beeindruckt ich war. Ich dachte mir, dass dies ein Mann sei, der den Finger am Puls der Zeit hatte.“) Nick Mason hingegen erinnert sich nur daran, dass Syd sich zwar das Haarpflegeprodukt in die Frisur schmierte, aber keine Drogen. Als er einmal auf die Wahrscheinlichkeit dieser Geschichte angesprochen wurde, meinte David Gilmour augenzwinkernd: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Syd die guten Barbiturate verschwendet hätte.“
Als er erst einmal auf der Bühne stand, soll Barrett zunächst seine Gitarre absichtlich verstimmt haben, was in weiterer Folge dazu führte, dass sich Roger Waters in die Hand schnitt, als er wutentbrannt auf seinen Bass einschlug.
The Nazz, die Stammgäste im Cheetah Club waren, sprachen die Band nach der Show an. „Pink Floyd war in Los Angeles das Geld ausgegangen, weshalb sie schließlich ein paar Nächte lang bei uns wohnten“, behauptet Alice Cooper. „Wir hatten nämlich eine Bleibe in der Beethoven Street in Venice. Ich weiß noch, wie ich eines Morgens aufstand: Syd saß da und starrte eine Packung Cornflakes an – so wie ich und du vielleicht einen Fernseher anglotzen würden. Es war offensichtlich, dass bereits etwas ganz und gar im Argen lag.“
„Ich glaube nicht, dass uns das Geld ausgegangen ist“, widerspricht Andrew King. „Aber wir fühlten uns irgendwie einsam und entmutigt. The Nazz luden uns zu sich ein, um ein wenig Pot zu rauchen. Sie waren unglaublich freundlich zu uns, als wir das echt nötig hatten. Wir sahen ihnen auch zu, als sie in diesem Club auftraten und sie den Laden leerfegten.“
Auch abseits der Bühne war Syd eine große Belastung. So war er gegenüber Repräsentanten seiner amerikanischen Plattenfirma unkommunikativ und gab nur sehr knappe Antworten, als er von Dick Clark für die populäre TV-Show American Bandstand interviewt wurde. Vielsagenderweise bewegte Syd während der Playback-Darbietung des neuen Pink-Floyd-Songs „Apples and Oranges“ kaum die Lippen unter seiner Vogelnest-Frisur, weshalb die Regie öfters einen entnervten Roger Waters sowie den unerschütterlichen Nick Mason zeigte. Immerhin war dies schon eine Verbesserung im Vergleich zum Tag zuvor, als Syd in der Show von Pat Boone ihn kalt angestarrt und auf die Frage „Was gefällt dir?“ mit einem einzigen Wort geantwortet hatte: „Amerika“.
Niemand kann genau sagen, ob Syd während seines Aufenthalts in den USA Acid nahm oder nicht (die meisten gehen nicht davon aus), aber dafür spielten andere Rauschmittel eine umso größere Rolle.