Es war keine große Überraschung, dass George H.W. Bush ein gefragter Mann war. Wenige konnten sich gleichzeitig mit den drei Attributen Kriegsheld, Phi Beta Kappa und Kapitän des Baseballteams schmücken. Dad wog die Angebote von der Wall Street mit gebührendem Ernst ab, schließlich respektierte er die Arbeit seines Vaters und hätte auch gerne seinen Wirtschaftsabschluss beruflich genutzt. Außerdem wäre ein Job in der Finanzwelt lukrativ genug gewesen, um Mutter und mich mit einem soliden Einkommen versorgen zu können.
Doch irgendetwas veranlasste ihn letztlich dazu, einen anderen Weg einzuschlagen. Die Wall Street stand für eine konventionelle Karriere. Aber nachdem er Bomber geflogen, auf Flugzeugträgern gelandet und dabei mit Menschen aus allen Schichten gearbeitet hatte, erschien die Aussicht darauf, jeden Tag mit dem Zug zwischen Connecticut und einem Schreibtischjob in New York hin und her zu pendeln, nicht sonderlich reizvoll. Statt mit Wertpapieren zu handeln, wollte er lieber etwas aufbauen. Er gedachte etwas anderes mit seinem Leben anzustellen und scheute nicht davor zurück, ein Risiko einzugehen.
Dad wollte außerdem beweisen, dass er nicht auf die Hilfe seiner Familie angewiesen war. Dieses Streben nach Unabhängigkeit lag ihm im Blut. Schon sein Ururgroßvater, Obadiah Bush, war mit den sogenannten Forty-Niners während des Goldrausches westwärts gezogen. Auch sein Großvater G.H. Walker hatte sich vom Familiengeschäft in St. Louis losgesagt, um in New York sein Glück zu suchen. Und sein Vater, Prescott Bush, war stolz darauf, dass er es ohne einen Cent seiner Eltern geschafft hatte.
Trotzdem stellte sich nach wie vor die Frage, was er konkret tun sollte. Meine Eltern hatten das Buch The Farm von Louis Bromfield gelesen, in dem dieser die klassische amerikanische Erfahrung, sein eigenes Land zu bestellen, beschrieb. Sie flirteten eine Zeitlang mit dieser Idee, entschieden sich jedoch letztlich dagegen. Ich kann mir übrigens meine Mutter richtig gut beim Melken einer Kuh vorstellen …
Im Februar 1948 starb S.P. Bush, Dads Großvater, und mein Vater flog mit der Familie nach Columbus zum Begräbnis. Auf dem Weg dorthin unterhielt er sich mit Neil Mallon, einem engen Freund Prescott Bushs aus gemeinsamen Yale-Zeiten. Neil besaß eine Firma namens Dresser Industries, die Bohrausrüstung und sonstiges Zubehör an Öl fördernde Unternehmen verkaufte. Neil schlug Dad jedenfalls vor, in Erwägung zu ziehen, für ihn zu arbeiten: Er könne dort von Grund auf lernen, wie ein Betrieb funktioniere, wie man das Inventar verwalte, Verkäufe tätige und Produkte auf den Markt bringe. Er könne dort aus nächster Nähe eine faszinierende Industrie, die Ölbranche, erleben. Es gab nur einen Haken an der Sache: Er müsse vor Ort an den Ölfeldern des Permian Basin leben – dabei handelte es sich um eine isolierte, staubige, glühend heiße Ecke im Westen von Texas, die in erster Linie von Ranchern und Ölarbeitern bewohnt wurde. Dort war es, wo das Öl sprudelte.
Diese Chance weckte das Interesse meines Dads. Er hatte Artikel zum texanischen Ölboom gelesen und schillernde Persönlichkeiten wie H.L. Hunt und Clint Murchison verdienten sich dort eine goldene Nase. Er hatte seinen kurzen Aufenthalt in Corpus Christi während der Pilotenausbildung genossen. Und eines war auch sicher: Er wäre dort ganz auf sich gestellt. Prescott Bush und G.H. Walker warfen zwar lange Schatten, aber nicht bis nach Odessa, Texas.
Kurze Zeit nach seinem Abschluss bot Neil Dad einen Job bei einem Tochterunternehmen von Dresser namens Ideco an. Ideco stand dabei für International Derrick and Equipment Company. Dad nahm die Offerte an. Es besteht kein Zweifel daran, dass mein Vater diese Stelle aufgrund der Kontakte seiner Familie erhielt. Und auch ich sollte in meinem Leben von solchen Verbindungen profitieren und hatte das Glück, dass großzügige Familienmitglieder und Freunde mir diese Chancen ermöglichten. Aber auch der Einfluss solcher Beziehungen kennt Grenzen. Zwar können sie Türen öffnen, trotzdem sind sie keine Erfolgsgarantie.
Im Falle meines Vaters öffnete Neil Mallon die Türe zu einem Job als Angestellter in einem Ideco-Depot in Odessa, für den er ein Gehalt von 375 Dollar im Monat erhielt. Seine Pflichten umfassten das Wischen von Böden, das Ordnen des Inventars und das Anstreichen von Tiefpumpen. Er traf außerdem auch auf interessante Persönlichkeiten und konnte sich ein Bild machen, ob ihm das Ölgeschäft behagte. Abgesehen davon gab es keine Garantien.
Zum zweiten Mal in seinem noch jungen Leben traf George H.W. Bush eine mutige und lebensverändernde Entscheidung. Nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, entschied er sich gegen die Sicherheit, die ihm das College geboten hätte, und zog stattdessen in den Krieg. Nun würde er die Annehmlichkeiten Connecticuts hinter sich lassen, um mit seiner jungen Braut und seinem kleinem Sohn ins westliche Texas überzusiedeln.
GEORGE BUSH TRAF diese Entscheidung nicht alleine. Auch Barbara Bush genoss Mitspracherecht. Es war nicht unbedingt ein logischer Schritt für meine Mutter, dorthin zu ziehen. Sie war als Kind einer relativ wohlhabenden Familie in Westchester County im Bundesstaat New York aufgewachsen. Ihr Vater, Marvin Pierce, stammte aus Ohio und war einer der herausragendsten Sportler an der hiesigen Miami University gewesen. Er war ein großer, vierschrötiger Kerl, der sich seinen Mittwestler-Charme und seine kompromisslose Arbeitsmoral zunutze machte, um sich eine Karriere als Präsident der McCall Corporation, damals eines der größten amerikanischen Verlagsunternehmen, zu erarbeiten.
Ihre Mutter, Pauline Robinson Pierce, war eine Nachfahrin James E. Robinsons, der Richter am Obersten Gerichtshof von Ohio gewesen war. Sie genoss die Stellung ihrer Familie innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie und gab gerne Geld für die schönen Dinge des Lebens aus. Pauline Robinson Pierce beaufsichtigte ihre Kinder streng. Sie kaufte die Garderobe meiner Mutter und entschied, wo sie zur Schule und aufs College ging. Außerdem war sie ganz vernarrt in Mutters ältere Schwester Martha, ein Fotomodell, das etwa in der Vogue zu sehen war. Mrs. Pierce glaubte an einen Lebensstil, der kultiviert und raffiniert war. Ich kann mir ihr Entsetzen angesichts der Tatsache, dass ihre Tochter nun in den westlichen Teil von Texas zog, gut vorstellen. Das Einzige was dort nämlich als raffiniert durchging, war das Öl.
Zum Glück musste mein Vater aber nicht Pauline Pierce überzeugen, sondern nur meine Mutter – und ihr war die Idee leicht schmackhaft zu machen. Sie gestand mir später: »Ich war jung und verliebt, ich wäre überallhin mitgekommen, wo dein Vater hingewollt hätte.«
Ich glaube aber, dass mehr hinter ihrer Bereitschaft steckte, nach Texas zu gehen, als nur ihre Ergebenheit gegenüber meinem Vater. »Weihnachten war ein Albtraum«, vertraute sie mir an. »Wir verbrachten den Weihnachtsabend in Greenwich bei den Bushs. Dann ging es am Weihnachtsmorgen weiter zu meinen Eltern in Rye. Anschließend wieder zurück zum Mittagessen nach Greenwich.« Westwärts zu ziehen, war eine Erlösung von den Zwängen zweier wetteifernder Sippen.
Obwohl es ihr damals vielleicht nicht bewusst war, hatte auch meine Mutter eine nach Unabhängigkeit strebende Ader. Ansonsten wäre sie vermutlich keine so bereitwillige Partnerin bei der Suche nach neuen Abenteuern gewesen. Ich kann höchstens raten, wie Dads Leben verlaufen wäre, wenn seine Ehefrau nicht so offen gegenüber Veränderungen gewesen wäre. Die Geschichte wäre womöglich anders verlaufen.
Eine meiner liebsten Familiengeschichten ereignete sich kurz nach der Hochzeit meiner Eltern. Meine Mutter zündete sich eine Zigarette an, und mein Großvater, ihr Schwiegervater Prescott Bush, ermahnte sie augenzwinkernd: »Habe ich dir etwa gestattet zu rauchen?«
Schlagfertig konterte sie: »Nun, ich habe ja schließlich nicht dich geheiratet.«
In der Regel sprach niemand so mit meinem Großvater. Diese spitze Replik war einfach so herausgerutscht. Glücklicherweise reagierte er mit schallendem Gelächter. Eines war jedenfalls sicher: Barbara Bush war willens, ihre Meinung zu sagen. Das sollte sie in späteren Jahren auch ziemlich regelmäßig tun. Mit ihrem scharfen Witz und ihrer Selbstironie machte sie sich so bei Millionen von Amerikanern beliebt. Ihre Bereitschaft, ihre Meinung zu verkünden, unterschied sich stark von der Haltung