Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Wiesmann
Издательство: Bookwire
Серия: Kommissarin Fey Amber
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672603
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ins Bett, geschweige denn ein kultivierter Römer.“

      Carmelita reagierte schroff.

      „Du bist schön, aber das gibt dir nicht das Recht, mich zu demütigen.“

      Siobhan lachte.

      „So gefällst du mir schon besser. Willst du meine Idee hören?“

      Carmelita ging ohne eine Antwort weiter.

      „Also gut. Ich erzähl sie dir jetzt. Bei nächster Gelegenheit färben wir unsere Kleider purpur. Dann werden uns die Leute bestaunen und wir dürfen mit auf einem Wagen sitzen und gelangen schnell an einen Hafen.“

      „Du bist ein törichtes Mädchen. Stehlen wird man uns die Kleider und wir landen im Wald, als Fraß für die Wölfe. Ohne mich. Wir gehen besser getrennte Wege.“

      Siobhan beendete das Thema und hielt Carmelita mit Männergeschichten bei Laune.

      VIII Das Ticket

      Nachdem sie die Nacht eng umschlungen auf einem Lager aus trockenem Laub verbracht hatten und sich mit Schreiattacken erfolgreich gegen umherstreunende Wölfe gewehrt hatten, erreichten sie mit knurrenden Mägen ein Dorf. Bellende Hunde empfingen sie, dann schritten einige Männer in ledernen Stiefeln und mit Fellen um die Schultern und Lenden auf sie zu. Die Männer blieben nicht einfach stehen, sondern umkreisten die Besucher. Frauen, die allein auf Wanderschaft waren, sah man sich gerne näher an. Die Männer drängten sich um Siobhan, rochen an ihr und strichen durch ihr Haar. Eine zweite Frau, so mochten sie erwogen haben, wäre noch durchzufüttern und der Lohn dafür stand außer Frage. Ob aus Neid über das rege Interesse an Siobhan oder aus Männerkenntnis, Carmelita nahm ihren Stock und bahnte sich einen Weg, dicht gefolgt von Siobhan. Carmelita wusste, dass sie in der Nähe der heimischen Frauen am sichersten waren und so betraten sie eine der aus Lehm und Strauchwerk gebauten Hütten.

      In der Mitte glimmte Asche in einer Feuerstelle. Eine alte und eine junge Frau saßen auf dem Boden. Die alte Frau schnitt trockenes Fleisch mit einem scharfen Stein in Streifen. Die junge Frau kaute auf einem Stück geschorenem Fell, um das Leder weich zu machen. Die Besucher erregten hier weniger Aufmerksamkeit als bei den Männern. Die Frauen warteten geduldig. Carmelita erklärte Siobhan die Situation.

      „Die wollen, dass wir ihnen etwas zum Tausch anbieten. Hast du was?“

      „Und du? Hast du was?“, entgegnete Siobhan in der Hoffnung, nicht genötigt zu werden, ihre einzigen Schätze zu opfern. Fest stand, dass sie bald etwas essen mussten, sonst würden ihre Kräfte nachlassen. Die umherstehenden Kinder bedrängten Siobhan, den Lederbeutel zu öffnen. Sie zogen daran und tippten mit den Händen darauf. Auch die beiden Frauen warfen ihr auffordernde Blicke zu. Sie fügte sich besser, denn die Männer könnten mit Gewalt den Wünschen der Frauen nachhelfen. Siobhan sah ihre Chance und bat Carmelita zu übersetzen.

      „Seht her! Ich zeige euch die schönste aller Farben.“

      Sie öffnete ihr Gewand und zeigte die purpurnen Verfärbungen auf ihrem Hemd. Sofort erhob sich die junge Frau und befühlte den Stoff. Das Purpur strahlte im Kontrast zum Weiß des restlichen Hemdes sehr kräftig. Die Frau sprach aufgeregt, sodass Siobhan ihre Zahnstummel sehen konnte. Das Beißen auf dem Leder hatte über die Jahre ihre Zähne um die Hälfte verkürzt. Immer wieder zupfte sie an dem Hemd. Siobhan zog es aus und reichte es ihr. Sogleich warf die Frau das Tuch über ihre Schultern. Die alte Frau trat hinzu und verlangte auch nach einem purpurnen Gewand.

      „Bringt mir eure Kleider!“, ließ sie Carmelita übersetzen. Beide Frauen sahen sich fragend an, doch Carmelita half nach und so brachten die Frauen Felle und Stoffe, die sie aus früheren Tauschgeschäften ergattert hatten. Es wurde ein langer Tag. Auch von den anderen Hütten strömten Frauen hinzu. Sie brachten ihre Männer mit, sodass bald das ganze Dorf versammelt war. Niemand konnte sich erklären, was Siobhan vorhatte.

      Am späten Abend war die Aktion vorbei und das Dorf befand sich in heller Aufregung. In einem hohlen Stein hatte Siobhan den Farbstoff angerührt. Die Begeisterung über die ersten Färbungen erzeugte eine wahre Euphorie. Alle brachten etwas zum Färben und als Gegenleistung etwas zu Essen, was Carmelita sofort unter ihren zerfetzten Kleidern verschwinden ließ.

      Am nächsten Morgen gab es eine Überraschung. Die Bewohner des Dorfes traten stolz vor ihre Hütten, Männer, Frauen und Kinder. Alle trugen ein purpurnes Kleidungsstück, und wenn es bloß die Federn ihres Kopfschmucks waren. Sie bewunderten sich gegenseitig. Carmelita hatte die Nacht hindurch gegrunzt und geschnarcht, aber war die Erste am Morgen, die fertig für die Abreise war. Verschnürt unter ihren Lumpen steckte getrockneter Fisch und Schwarte vom Wildschwein. Sogar Ziegenquark hatte sie in einem Lederbeutel dabei.

      Es folgten Tage des Wanderns. Siobhan hatte sich Schuhe machen können und natürlich hatten auch sie ihre dürftigen Gewänder purpur gefärbt. Wie sie erwartet hatte, waren ihnen die Leute, die ihren Weg kreuzten, wohlgesinnt. Manche hielten sie für römische Gesandte und manche, die etwas zu bieten hatten, bekamen ihre Kleider gefärbt, sodass die beiden Frauen keine Not leiden mussten und Carmelita sogar neue Gewänder für sich kaufen konnte. Der Farbstoff war ihr Ticket zum Meer. Siobhan teilte das Pulver in kleine Portionen. Falls sie jemand berauben wollte, hätte er alle Falten und Taschen in den vielen Lagen von Carmelitas neuen Kleidern durchsuchen müssen und da sie immer noch triefende Warzen und eitrige Abszesse vorweisen konnte, war sie vor solchen Übergriffen sicher.

      IX Blei

      Trotz Julius Caesars Invasionsversuchen galt Britannien nicht als erobert. Die heimischen Stämme hatten sich erfolgreich gewehrt, aber die Römer hatten Feldlager erbaut, die ihre Vormachtstellung festigten. Augustus ließ an der Küste Häfen bauen, die die Römer als Versorgungsstützpunkte nutzten. Schiffe verkehrten zwischen dort und dem Festland in Germanien.

      Siobhan war darüber bestens informiert. Kafur hatte sie in den Nächten auf dem Schiff mit Geschichten aufgemuntert und dabei nicht nur von den Ruhmestaten seiner keltischen Landsleute erzählt, sondern sie auch über die politischen und strategischen Vorstellungen des römischen Imperiums aufgeklärt.

      Die Trauer über Kafurs Tod bewältigte sie des Nachts, wenn Carmelita eingeschlafen war und ihr Schluchzen nicht hörte. Manchmal lag sie lange wach und dachte über ihren Schwur nach. Einen Mann zu finden, der Kafur ebenbürtig war, hielt sie für ausgeschlossen. Einen Kompromiss würde es niemals geben, aber dann bliebe sie kinderlos. Sie schaute auf den Ring und eine Sorge beschlich sie. Seitdem sie durch ihre purpurnen Kleider zu Ansehen gekommen waren, würden auch der Ring und die kleine Figur höhere Wertschätzung bei Fremden erfahren. Bei einem erneuten Überfall würden sie gestohlen werden und das könnte sie sich nie verzeihen.

      Nach tagelangem Fußmarsch erreichten sie eine größere Stadt entlang der Themse. Dort suchte Siobhan nach einem Mann, der sich im Handwerk auskannte und mit Metallen arbeitete. Nach einigen Erkundigungen traf sie einen Römer namens Claudius, der allerdings als Bettler sein Dasein fristete, hatte er doch beim Glücksspiel alles Hab und Gut verloren. Wenn der Gewinner nicht so gnädig gewesen wäre, hätte Claudius sogar mit seinem Leben bezahlen müssen, denn das hatte er am Ende auch verwettet. Siobhan legte dem Bettler ein Stück Schafskäse in den Gabenkorb. Sofort stürzte sich Claudius darauf und verschlang den Käse gierig.

      „Danke, ehrwürdige Frau. Habt ihr mehr davon? Ich könnte es euch abkaufen.“

      Siobhan sah in sein verschmitztes Gesicht.

      „Schon vergessen, du bist ein Bettler. Was könntest du mir bieten?“

      „Ein Spielchen.“

      Im Handumdrehen präsentierte Claudius einen ledernen Becher mit fünf Würfeln darin.

      „Ein spannendes Spiel, bei dem jeder von uns gewinnen kann.“

      Siobhan schaute misstrauisch.

      „Was könnte ich gewinnen? Du hast doch nichts.“

      „Kommt drauf an“, sagte Claudius und leckte sich