Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Wiesmann
Издательство: Bookwire
Серия: Kommissarin Fey Amber
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672603
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bückte sich und umfuhr eine bestimmte Stelle im Sediment des Sandes.

      „Sehen Sie bitte. Hier handelt es sich um einen kleinen Toneinschluss, der die Stelle der Verfärbung des Sandes zentral markiert. Es könnte doch sein, dass der kleine Tonklumpen beim Abtragen von Sedimentschichten aufgebrochen wurde und dadurch der Sand rot eingefärbt wurde.“

      Bowereit tat genervt, aber Schliefken behielt die Situation im Auge.

      „Was genau wollen Sie damit sagen, Herr Steinhofen? Wären wir nicht ohnehin auf diesen Sand gestoßen?“

      „Wären wir, aber nicht so!“ ereiferte sich Steinhofen. Angelina nahm etwas Sand zwischen zwei Fingerspitzen und rieb. Bowereit drängte auf Beendigung der Debatte.

      „Das führt zu nichts, reine geologische Abnormalität. Irrelevant. Kommen Sie, Herr Schliefken, wir sehen uns den Bodenschnitt im Süden des Grabungsfeldes an.“

      „Einen Moment noch“, bat Schliefken. „Lassen wir Herrn Steinhofen doch erklären.“

      Steinhofen holte tief Luft. Seine Hand zitterte wie bei einem Alkoholiker. Offensichtlich war er sich bewusst, dass er es gerade darauf anlegte, sein Verhältnis zu Bowereit stark zu beeinträchtigen.

      „Ich meine, dass der Sand erst kürzlich, also vielleicht erst gestern oder heute, so rot gefärbt wurde, es sich also nicht um eine geologische Abnormalität handelt.“

      Bowereits fachliche Einschätzung der Lage wurde gerade von einem Durchschnittsstudenten massiv torpediert. Er warf Steinhofen einen abmahnenden Blick zu und wandte sich an Schliefken.

      „Ich glaube, wir sind uns einig, hier nur wertvolle Zeit zu vergeuden. Wenn Sie mir bitte folgen. Ich möchte Ihnen unsere letzte Fundstelle dort drüben zeigen.“

      Schliefken warf einen kritischen Blick auf die rötliche Verfärbung im Sediment, schüttelte dann aber ablehnend den Kopf.

      „Meines Erachtens sollten wir auf dem Teppich bleiben. Steinhofen, Sie haben aufmerksam hingeschaut, aber ich glaube nicht, dass Ihre Erklärung ausreicht, um ein ganzes Team von jungen Forschern in diese Richtung zu leiten. Wir schließen hier ab und machen im Süden weiter.“

      Schliefken verzichtete auf eine Besichtigung der südlichen Fundstelle und ließ sich von Bowereit zum Zelt begleiten, wo er sich noch eine Tasse Tee gönnte, bevor er zur Uni fuhr, um dort an seinem Buch über keltische Symbolik weiterzuschreiben. Eine Professur wäre längst fällig gewesen, aber irgendwie hatte ihm bisher das gewisse elegante Element in seiner Habilitationsschrift gefehlt.

      3 Gestern oder heute

      Angelina rieb den feinkörnigen Sand zwischen ihren Fingerspitzen und zeigte Steinhofen die rötliche Färbung auf ihrer Haut, ohne ein Wort dazu zu sagen. Steinhofen stemmte beide Hände auf die Oberschenkel und erhob sich. Leicht wankend kam er zur Ruhe.

      „Ich hasse das. Kann den Stress nicht ab. Immer wieder schmeiß ich die Prüfungen, weil ich ein scheiß Lampenfieber krieg. Und jetzt hab ich’s vergeigt, weil der Bowereit so ein Arschloch ist.“

      „Das ist nicht dein Problem. Nichts hast du vergeigt. Die sind nur zu blöd, dem Unwahrscheinlichen etwas mehr Glauben zu schenken. Sag mir, was du denkst. Ich habe da nämlich eine Theorie.“

      Kalle Steinhofen schaute Angelina an, als wollte er die Ernsthaftigkeit ihrer Aufforderung prüfen.

      „Also gut. Ich denke, dass im Ton ein Farbstoff oder Färbemittel, vielleicht auch nur Beeren, sagen wir Holunder, eingeschlossen war. Er könnte, wie die anderen Fundstücke an dieser Stelle, bereits 2000 Jahre hier gelegen haben. Einmal im Ton isoliert, konnte nichts entweichen. Als wir aber mit dem Abtragen der Schichten begannen, wurde die luft- und wasserdichte Stelle porös oder es entstand ein Haarriss, durch den der Farbstoff erstmals austreten konnte. Mithilfe der Feuchtigkeit und des Nieselregens von heute Nacht breitete sich das Färbemittel im Sand aus und erzeugte die Spuren, die wir hier zu enträtseln versuchen.“

      „Bingo! Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Hast du die Stelle als Erster gefunden?“

      „Ich bin mir nicht sicher. Es ist mein Grabungsbezirk, aber als ich heute Morgen ankam, war Bowereit bereits hier und hatte selbst Schichten abgetragen.“

      „Glaubst du, er spielt uns was vor?“

      „Er ist klug genug, diese Fundstelle nicht zu ignorieren, aber er tut es trotzdem.“

      „Wäre es möglich, dass er bewusst etwas verbirgt?“, flüsterte Angelina, obwohl zum Flüstern kein Anlass bestand.

      „Warum sollte er das tun? Das macht für mich keinen Sinn. Wenn er hier nicht weitersuchen lässt, dann war’s das – ein für alle Mal.“

      „Wer sagt dir das? Vielleicht hat er längst eine labortechnische Untersuchung des Farbstoffs eingeleitet und glaubt, einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein. Das bedeutet für ihn persönlich an Schliefken vorbeizuziehen. Ideal für eine Professur, wenn da wirklich was dran ist.“

      „Du meinst, der Bowereit will sich profilieren und verkauft uns für dumm, um später allein die Lorbeeren einzuheimsen?“

      „Nett ausgedrückt. Arschloch würde reichen.“

      „Was machen wir denn nun?“, druckste Steinhofen und sah Angelina hilfesuchend an. Angelina schaute sich um. Alle Studenten waren emsig mit Schaben, Sieben und Sortieren beschäftigt. Sie fasste Steinhofen an die Schulter, als wollte sie ihm Mut machen, aber die Berührung wurde auch von einem einladenden Lächeln begleitet, sodass Steinhofen eigentlich einen triftigen Grund hatte, sich in der Sache „Rote Erde“ nicht mehr allein zu fühlen.

      „Leider stehen uns ohne Bowereits Zustimmung keine labortechnischen Untersuchungen zu“, beklagte Angelina. Sie rieb erneut den farbigen Sand zwischen ihren Fingerspitzen.

      „Es sieht nach Purpur aus. Was, wenn es Purpur ist und kein Rot? Rot ist eine Allerweltsfarbe, aber Purpur, das erinnert mich an die Karthager. Sie verbreiteten den wertvollen Farbstoff in alle Regionen ihres Reiches. Er war damals sehr gefragt und teuer. Sie gewannen ihn aus Seeschnecken.“

      „Schön und gut“, meinte Steinhofen. „Aber die Phönizier sind nie bis hier nach Haltern an die Lippe vorgestoßen. Ihr Reich endete in Teilen Spaniens. Wir brauchen eine C14-Analyse sowie eine chemische und mikroskopische Bestimmung, ob es sich um organisches oder geologisches Material handelt.“

      Angelina demonstrierte Entschlossenheit.

      „Wir schaffen das. Ich will nicht einfach aufgeben, besonders nicht, weil es spannend wird.“

      „Und wenn nichts dran ist, sind wir unten durch“, brummte Steinhofen.

      „Du hast Schiss? Dann mach ich das allein“, schimpfte Angelina und wandte sich ab.

      „Man wird ja noch überlegen dürfen. Ich bin dabei, hab aber keine Ahnung, wie wir da auf einen grünen Zweig kommen wollen.“

      Bowereit hatte die Studenten am südlichen Feldabschnitt eingewiesen und kam auf die beiden zu.

      „Ab morgen wechselt das Team. Herr Steinhofen, Sie sind raus. Ein Student aus Oxford wird Ihre Stelle einnehmen. Er steht seit geraumer Zeit auf der Warteliste und hat sich durch seine Masterarbeit qualifiziert. Nun strebt er einen PhD an. Das geht vor. Wir haben eh das Rotationsverfahren vernachlässigt. Vergessen Sie bitte nicht, Ihre privaten Sachen aus dem Spind zu räumen.“ Bowereit wandte sich an Angelina. „Sie können sich dort an der südlichen Kante nützlich machen, das Feld abstecken und mit den anderen die obere Humusschicht abtragen.“

      Bowereit biss die Kinnladen zusammen und entfernte sich mit steifen Schritten.

      „Das ist so ein Arsch“, fluchte Angelina. Bowereit drehte sich empört um, ging dann aber weiter.

      „Das hat er gehört“, zischte Steinhofen. „Aber was soll’s, das Schwein hat’s verdient.“

      „Mach dir nichts draus“,