»Verliebt?«, sagte Thérèse stirnrunzelnd. »Als Sie mir sagten, Sie könnten sich nicht in eine einzige Frau verlieben, wollten Sie mich wohl zum Besten halten?«
»Nein, bestimmt nicht, ich habe das gesagt, was ich dachte!«
»Dann haben Sie sich also getäuscht, und nun sind Sie verliebt; ist das ganz sicher?«
»Ach! Ach! Werden Sie nicht gleich böse, mein Gott, so sicher ist das nun auch wieder nicht. Gedanken an Liebe sind mir durch den Kopf gegangen, haben meine Sinne berührt, wenn Sie so wollen! Haben Sie so wenig Erfahrung, dass Sie so etwas für unmöglich halten könnten?«
»Ich bin in einem Alter, in dem man Erfahrungen hat«, antwortete Thérèse, »aber ich habe lange allein gelebt. So habe ich von bestimmten Situationen eben keine Erfahrungen. Erstaunt Sie das? Und doch ist das nun einmal so. Ich bin sehr arglos, obwohl ich schon einmal betrogen wurde … wie jedermann. Und Sie haben mir hundertmal gesagt, Sie verehrten mich viel zu sehr, um in mir eine Frau zu sehen, zumal Sie die Frauen nur mit größter Grobheit lieben könnten. Ich glaubte also geschützt zu sein vor der Beleidigung Ihres Begehrens; auch habe ich an Ihnen ganz besonders Ihre Aufrichtigkeit in diesem Punkt zu schätzen gewusst. Ich fühlte mich Ihrem Schicksal umso mehr verbunden, als wir lachend, Sie erinnern sich, aber im Grunde doch ernsthaft zueinander gesagt hatten: ›Zwischen zwei Geschöpfen, von denen das eine Idealist und das andere Materialist ist, liegt das ganze Baltische Meer.‹«
»Ich habe das in gutem Glauben gesagt und bin zuversichtlich an meinem Ufer entlanggewandert, ohne dass ich daran gedacht hätte, das Wasser zu überqueren; doch es stellte sich heraus, dass auf meiner Seite das Eis nicht trug. Ist das meine Schuld, dass ich vierundzwanzig Jahre alt bin und Sie schön sind?«
»Bin ich denn noch schön? Ich hatte gehofft, nein.«
»Ich weiß nicht so recht; zuerst fand ich es nicht, und dann habe ich Sie eines Tages doch so gesehen. Sie selbst, Sie haben das nicht gewollt, das weiß ich; und als ich diesen verführerischen Zauber spürte, habe ich es auch nicht gewollt, ganz und gar nicht, sodass ich versuchte, mich dagegen zu wehren und davon abzulenken. Ich habe dem Teufel zurückgegeben, was des Teufels ist, nämlich meine arme Seele; und ich habe hier dem Kaiser nur das dargebracht, was dem Kaiser gebührt, meine Achtung und mein Schweigen. Doch diese ungute Erregung taucht nun schon acht oder zehn Tage lang in meinen Träumen auf. Sie verschwindet, sobald ich in Ihrer Nähe bin. Mein Ehrenwort, Thérèse, wenn ich Sie sehe, wenn Sie mit mir reden, bin ich ganz ruhig. Ich erinnere mich nicht mehr, Sie gescholten zu haben in einem Augenblick von Wahnsinn, den ich mir selbst nicht erklären kann. Wenn ich von Ihnen spreche, dann sage ich, Sie seien nicht jung und die Farbe Ihrer Haare gefalle mir nicht. Ich verkünde, Sie seien meine große Gefährtin, das heißt mein Bruder, und ich habe das Gefühl, ehrlich zu sein, wenn ich das sage. Und dann weht irgendein Frühlingshauch durch den Winter meines törichten Herzens, und ich bilde mir ein, Sie seien es, die ihn mir zubläst. Ja, wahrhaftig, Sie sind es auch, Thérèse, Sie mit Ihrem Kult um das, was Sie die echte Liebe nennen! Das stimmt nachdenklich, ob man will oder nicht!«
»Ich glaube, da irren Sie sich, ich spreche nie von Liebe.«
»Ja, ich weiß. In dieser Hinsicht haben Sie eine vorgefasste Meinung. Irgendwo haben Sie gelesen, von Liebe zu sprechen bedeute schon, Liebe zu schenken oder zu nehmen; doch Ihr Schweigen ist von großer Beredsamkeit, Ihre Zurückhaltung macht fiebrig und Ihre übertriebene Vorsicht übt einen teuflischen Reiz aus.«
»Wenn das so ist, sehen wir uns besser nicht mehr«, sagte Thérèse.
»Warum nicht? Was macht es Ihnen schon aus, dass ich ein paar schlaflose Nächte gehabt habe, da es doch nur an Ihnen liegt, mich wieder so ruhig werden zu lassen, wie ich vorher war?«
»Was muss ich dafür tun?«
»Das, worum ich Sie gebeten habe: Geben Sie zu, dass Sie jemandem angehören. Ich werde es mir gesagt sein lassen, und da ich sehr stolz bin, werde ich geheilt sein, als hätte mich der Zauberstab einer Fee berührt.«
»Und wenn ich Ihnen sage, dass ich keinem angehöre, weil ich niemanden mehr lieben will; genügt Ihnen das nicht?«
»Nein, ich wäre so töricht zu glauben, Sie könnten Ihre Meinung ändern.«
Thérèse musste lachen, wie anmutig es Laurent verstand, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Na schön«, sagte sie zu ihm, »Sie sollen geheilt werden, und nun geben Sie mir eine Freundschaft zurück, die mich stolz machte, anstelle einer Liebe, die mich erröten ließe. Ich liebe jemanden.«
»Das genügt nicht, Thérèse: Sie müssen mir sagen, dass Sie ihm angehören!«
»Sonst würden Sie glauben, dieser Jemand, das seien Sie selbst, nicht wahr? Nun denn, ich habe einen Liebhaber. Sind Sie nun zufrieden?«
»Voll und ganz. Und sehen Sie, ich küsse Ihre Hand, um Ihnen für Ihre Offenheit zu danken. Machen Sie das Maß Ihrer Güte voll und sagen Sie mir, dass es Palmer ist!«
»Das ist mir ganz unmöglich. Ich müsste lügen …«
»Nun … daraus werde ich nicht klug!«
»Es ist niemand, den Sie kennen; es ist eine Person, die nicht hier ist.«
»Die jedoch ab und zu kommt?«
»Anscheinend … da Sie doch ein Bekenntnis belauscht haben …«
»Danke, danke, Thérèse! Jetzt stehe ich wieder fest auf den Beinen; ich weiß, wer Sie sind und wer ich bin, und wenn ich alles sagen darf, ich glaube, ich liebe Sie so noch mehr; nun sind Sie eine Frau und keine Sphinx mehr. Ach! Hätten Sie doch früher gesprochen!«
»Diese Leidenschaft hat Sie wohl ziemlich mitgenommen?«, meinte Thérèse spöttisch.
»Ach nein, oder doch, vielleicht! In zehn Jahren, Thérèse, kann ich es Ihnen sagen, und wir werden darüber zusammen lachen.«
»Abgemacht! Guten Abend.«
Laurent ging gefasst und tief enttäuscht zu Bett. Er hatte wirklich um Thérèse gelitten. Er hatte sie leidenschaftlich begehrt, ohne dass sie es ahnen durfte. Aber gerade diese Leidenschaft war bestimmt nicht gut gewesen. Ebenso viel Eitelkeit wie Neugier hatten sich eingeschlichen. Diese Frau, von der alle Freunde sagten: »Wen liebt sie eigentlich? Ich möchte gern derjenige sein, aber es ist keiner von uns«, war ihm wie ein Wunschbild erschienen, nach dem es zu greifen galt. Seine Phantasie war entbrannt, sein Stolz hatte sich verzehrt in der Angst, in der fast untrüglichen Gewissheit, dass er scheitern würde.
Doch dieser junge Mann war nicht einzig und allein von Stolz besessen. Er hatte dann und wann eine glänzende und souveräne Vorstellung vom Guten, vom Schönen und vom Wahren. Er war ein Engel, womöglich ein gefallener Engel wie so viele andere auch, doch zumindest verirrt und krank. Das Verlangen zu lieben zehrte an seinem Herzen, und hundertmal am Tag fragte er sich voller Entsetzen, ob er nicht schon zu viel Missbrauch mit seinem Leben getrieben habe und ob er noch genügend Kraft besitze, um glücklich zu werden.
Ruhig und traurig wachte er auf. Schon trauerte er seinem Trugbild, seiner schönen Sphinx nach, die in ihm mit gütiger Aufmerksamkeit zu lesen verstand, die ihn bald bewunderte und bald schalt, die ihn aber auch ermutigte oder bedauerte, ohne jemals irgendetwas von ihrem eigenen Schicksal preiszugeben, und die doch ganze Schätze an Zuneigung, Hingabe, ja vielleicht Wonne ahnen ließ! Zumindest gefiel es Laurent, das Schweigen von Thérèse über sich selbst so zu deuten und ebenso ein gewisses geheimnisvolles Lächeln wie das der Mona Lisa, das sich auf ihren Lippen und in ihren Augenwinkeln zeigte, wenn er in ihrer Gegenwart lästerte. In diesen Augenblicken sah sie so aus, als denke sie bei sich: »Angesichts dieser bösen Hölle wäre es mir ein Leichtes, das Paradies zu beschreiben, doch dieser arme Narr würde mich nicht verstehen.«
Nachdem das Geheimnis ihres Herzens aufgedeckt war, verlor Thérèse in den Augen von Laurent zunächst ihr ganzes Ansehen. Sie war nur noch eine Frau wie alle anderen auch. Er war sogar versucht,