Sie und Er. George Sand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945386286
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bedauerte er kaum noch, sie geachtet zu haben, und begehrte nichts mehr von ihr, nicht einmal ihre Freundschaft, die er, wie er dachte, mühelos anderswo finden könnte.

      Dieser Zustand hielt zwei oder drei Tage an, in denen sich Laurent mehrere Ausflüchte zurechtlegte, um sich zu entschuldigen, sollte Thérèse ihn zufällig fragen, warum er sie so lange nicht besucht habe. Am vierten Tag befiel Laurent ein unbeschreiblicher Lebensüberdruss. Bei den Freudenmädchen und bei den leichten Damen wurde ihm ganz einfach übel; auch bei keinem seiner Freunde konnte er die geduldige und feinsinnige Güte von Thérèse finden, die seinen Verdruss bemerkt, die ihn abzulenken versucht, die mit ihm zusammen nach der Ursache oder einem Heilmittel geforscht, kurz, die sich um ihn gekümmert hätte. Sie allein wusste, was es ihm zu sagen galt, und schien zu verstehen, dass das Geschick eines Künstlers wie Laurent keine nebensächliche Angelegenheit war, von der ein erhabener Geist hätte behaupten dürfen, nun er sich unglücklich fühle, sei ihm eben nicht zu helfen.

      Er lief in solcher Eile zu ihr hin, dass er vergaß, was er ihr sagen wollte, um sich zu entschuldigen; doch Thérèse bekundete weder Missfallen noch Erstaunen über dieses Versäumnis, und sie ersparte es ihm zu lügen, indem sie einfach keine Fragen stellte. Nun fühlte er sich beleidigt und erkannte, dass er noch eifersüchtiger war als vorher.

      ›Sicher hat sie ihren Liebhaber getroffen‹, dachte er, ›mich wird sie vergessen haben.‹

      Gleichwohl ließ er sich seinen Ärger nicht anmerken und nahm sich von nun an so in Acht, dass Thérèse sich täuschen ließ.

      Mehrere Wochen vergingen ihm in einem ständigen Wechsel von Wut, Kälte und Zärtlichkeit. Nichts auf der Welt war für ihn so unentbehrlich und so wohltuend wie die Freundschaft dieser Frau, nichts war für ihn so bitter und so verletzend wie die Tatsache, dass er kein Recht auf ihre Liebe geltend machen konnte. Das Geständnis, das er ihr abverlangt hatte, trug in keiner Weise, wie er gehofft hatte, zu seiner Heilung bei, vielmehr verschlimmerte sich sein Leiden zusehends. Das war reine Eifersucht, die er sich nicht länger zu verbergen vermochte, denn sie hatte eine eindeutige und sichere Ursache. Wie hatte er sich nur einbilden können, sobald er diese Ursache kenne, werde er es verschmähen, zu kämpfen, um sie zu beseitigen?

      Und doch machte er keinerlei Anstrengungen, den unsichtbaren und glücklichen Nebenbuhler auszustechen. Sein Stolz, der in Thérèses Nähe grenzenlos war, ließ das nicht zu. War er allein, so hasste er den anderen, verleumdete er ihn in seinem Inneren, indem er diesem Phantom lauter Lächerlichkeiten andichtete, es beleidigte und zehnmal am Tag herausforderte.

      Verlor er aber die Lust am Leiden, dann kehrte er zum lasterhaften Leben zurück, vergaß sich selbst für einen Augenblick und verfiel wieder in tiefe Schwermut, verbrachte dann zwei Stunden bei Thérèse, war glücklich, sie zu sehen, die gleiche Luft zu atmen wie sie und ihr zu widersprechen aus lauter Freude daran, ihre grollend liebkosende Stimme hören zu können.

      Zuletzt hasste er sie dafür, dass sie seine Qualen nicht erriet; er verachtete sie, weil sie diesem Liebhaber treu blieb, der ja höchstens ein Durchschnittsmensch sein konnte, da sie keinerlei Bedürfnis empfand, über ihn zu sprechen; er verließ sie und schwor sich, sie lange Zeit nicht mehr aufzusuchen, aber schon eine Stunde später wäre er am liebsten umgekehrt, wenn er hätte hoffen dürfen, von ihr empfangen zu werden.

      Thérèse, die einen Augenblick lang seine Liebe bemerkt hatte, ahnte nichts mehr davon, so gut spielte er seine Rolle. Sie hatte dieses unglückliche Kind aufrichtig gern. Unter ihrem ruhigen und besonnenen Wesen war sie eine begeisterte Künstlerin und hatte, wie sie es nannte, eine Art Kult mit demjenigen getrieben, der es hätte sein können; nun blieb ihr nur noch übrig, ihn zu verwöhnen, aus übergroßem Mitleid, dem sich noch aufrichtige Achtung vor dem leidenden und verirrten Genie beimischte. Wäre sie ganz sicher gewesen, in ihm kein verhängnisvolles Begehren zu wecken, sie hätte ihn gestreichelt wie einen Sohn, und es gab Augenblicke, in denen sie sich zusammennehmen musste, dass ihr nicht das Du über die Lippen kam.

      War bei diesem mütterlichen Gefühl noch Liebe mit im Spiel? Ganz bestimmt, doch ohne Thérèses Wissen, denn eine wahrhaft keusche Frau, deren Leben lange Zeit mehr Arbeit als Leidenschaft gewesen ist, kann lange vor sich selbst das Geheimnis einer Liebe hüten, gegen die sie sich wehren zu müssen glaubt. Thérèse meinte sicher zu sein, sie werde niemals an ihre eigene Befriedigung in dieser Zuneigung denken, die ganz auf ihre Kosten ging; sobald Laurent in ihrer Nähe Ruhe und Wohlbefinden verspürte, fühlte auch sie in sich selbst solche Kräfte, die sie ihm wiederum zufließen lassen konnte. Sie wusste sehr gut, dass er unfähig war, so zu lieben, wie sie sich das vorstellte; außerdem hatte diese launenhafte Anwandlung, die er ihr gestanden hatte, sie verletzt und erschreckt. Nachdem nun diese Krise vorüber war, beglückwünschte sie sich, in einer unschuldigen Lüge das Mittel gefunden zu haben, einem Rückfall vorzubeugen; und da Laurent bei jeder Gelegenheit, sobald er etwas erregt war, eiligst das unüberwindliche Hindernis des »Baltischen Meeres« heraufbeschwor, hatte sie keine Angst mehr und gewöhnte sich daran, ohne Verbrennungen mitten im Feuer zu leben.

      Alle diese Qualen und alle diese Bedrohungen der beiden Freunde blieben verdeckt und reiften gleichsam heran unter einer zur Gewohnheit gewordenen spöttischen Heiterkeit, die kennzeichnend ist für die Lebensart französischer Künstler, ja geradezu ihr unauslöschliches Siegel. Sie ist so etwas wie eine zweite Natur, die uns von den Fremden aus dem Norden sehr häufig vorgehalten wird und um derentwillen uns vor allem die ernsten Engländer nicht selten verachten. Und doch macht gerade diese Lebensart den besonderen Charme delikater Liebesbeziehungen aus und bewahrt uns häufig vor so manchen Torheiten und Fehlern. Die komische Seite der Dinge suchen heißt die schwache und unlogische Seite aufdecken. Der Gefahren spotten, in die sich die Seele verstrickt sieht, heißt ihnen entgegentreten, so wie unsere Soldaten singend und lachend ins Feuer ziehen. Über einen Freund spotten, heißt oft, ihn vor der Verweichlichung der Seele retten, an der er, durch unser Mitleid ermutigt, hätte Gefallen finden können. Und sich selbst zu verspotten, heißt, sich vor der törichten Trunkenheit übertriebener Eigenliebe bewahren. Ich habe festgestellt, dass Menschen, die niemals scherzen, mit einer kindischen und unerträglichen Eitelkeit beladen sind.

      Laurents Heiterkeit war wie ein blendender Rausch von Farben und Geist, genau wie seine Begabung, und sie wirkte umso natürlicher, als sie echt war. Thérèse war nicht so geistreich wie er, da sie von Natur aus verträumt und zu bequem war, viel zu reden; doch bedurfte gerade sie der Ausgelassenheit der anderen, damit ganz allmählich auch ihre Heiterkeit mit einfließen konnte, und dann war ihre eher stille Fröhlichkeit nicht ohne Charme.

      Die zur Gewohnheit gewordene gute Laune, an der sie festhielten, brachte es mit sich, dass die Liebe, ein Thema, über das Thérèse niemals scherzte und über das in ihrer Gegenwart auch nicht gescherzt werden durfte, sich mit keinem Wort einschleichen und mit keinem Ton anklingen konnte.

      An einem schönen Morgen war dann das Porträt von Herrn Palmer fertig; Thérèse übergab Laurent im Auftrag ihres Freundes eine ansehnliche Summe, und er versprach ihr, das Geld für den Krankheitsfall oder für unvorhergesehene dringende Ausgaben zurückzulegen.

      Während der Arbeit an dem Porträt hatte sich Laurent mit Palmer angefreundet. Er erschien ihm so, wie er war: aufrichtig, gerecht, hochherzig, intelligent und gebildet. Palmer war ein reicher Bürger, dessen ererbtes Vermögen aus dem Handel stammte. In der Jugend hatte er dieses Gewerbe noch selbst betrieben und dafür weite Reisen unternommen. Mit dreißig Jahren kam ihm die vernünftige Einsicht, sich für reich genug zu halten und für sich selbst leben zu wollen. Nun reiste er nur noch zu seinem Vergnügen, und nachdem er, wie er sagte, viele merkwürdige Dinge und ungewöhnliche Länder gesehen hatte, fand er jetzt am Anblick wahrhaft schöner Dinge und am Studium der Länder Gefallen, die durch ihre Kultur und Zivilisation wirklich interessant waren.

      Ohne auf dem Gebiet der Künste besonders gebildet zu sein, trat er mit einem ziemlich sicheren Urteil an sie heran und hatte auf allen Gebieten Ansichten, die so gesund waren wie seine natürlichen Neigungen. Seinem Französisch merkte man eine gewisse Befangenheit an, die so weit ging, dass er zu Beginn eines Gesprächs fast unverständlich und köstlich fehlerhaft redete; doch wenn er sich dann sicherer