Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eike Geisel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871537
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ihre pazifistische Wer­wolf-Truppe geschaffen hat. Mit ihrer durch weiße Armbinden vollzogenen Verwandlung von Schülerlotsen in Luftschutzwarte machen die Jugendlichen ihr Gefolgschaftsbedürfnis geltend und demonstrieren mit Schweigemärschen hauptsächlich, dass es keines Krieges hier mehr bedarf, um in Reih und Glied zu denken. Und wer die weißen Bettlaken aus den Fenstern hängen sieht, muss den Eindruck gewinnen, jetzt sei endlich erreicht, was die alte Friedensbewegung immer behauptet hatte, nämlich dass Deutschland ein besetztes Land sei, dessen Bewohner nun auf den Balkon treten mit der Mitteilung: Wir übergeben uns!

      II.

      Schuld am imaginierten Weltuntergang sind die USA, doch am Grund dieser Schuld liegt Israel – das ist die Botschaft der unbefangenen Apokalyptiker auf der Straße. Deshalb war auch, noch ehe eine einzige irakische Rakete auf Israel niedergegangen war, von der deutschen Treffsicherheit auf jüdischen Friedhöfen zu lesen.

      Wenn Ekkehart Krippendorff, Politikprofessor in Berlin und gleichzeitig eine Art freier Mit- und Weiterdenker Augsteins, am 22. Januar 1991 in der taz schrieb: »Ohne Wenn und Aber für Israel«, dann war diese Überschrift nur die branchenübliche, das heißt, die aus dem deutsch-jüdischen Versöhnungsgeschäft herrührende Tarnformel für ihr genaues Gegenteil. Denn ohne Wenn und Aber ist man in Deutschland nur für die toten Juden.

      Es handelte sich bei dem Text von Krippendorff, der gelegentlich wie und bei Augstein von der »Fremdbestimmung der Sieger« schwadronierte, um genau jenes Quantum moralischer Nachrüstung, dessen die neu erweckte Friedensbewegung noch ermangelte, um sich das rechte Gewissen zu einer besonderen Fortzeugung des Antisemitismus zu machen: zu einem Judenhass, der aus der Friedensliebe kommt – zu einem moralischen Antisemitismus. Im Namen des Friedens gegen Israel zu sein ist etwas Neues. Denn dieses Ressentiment hat alle praktischen und politischen Beweggründe abgestreift. Es handelt sich bei ihm nicht mehr um den wie Bebel sagte »Sozialismus der dummen Kerle«. Dieser neue Antisemitismus erwächst weder aus niedrigen Instinkten noch ist er Ausfluss ehrbarer politischer Absichten. Er ist die Moralität von Debilen.

      Das antijüdische Ressentiment entspringt den reinsten menschlichen Bedürfnissen, es kommt aus der Friedenssehnsucht. Es ist daher absolut unschuldig, es ist so universell wie moralisch. Dieser moralische Antisemitismus beschließt die deutsche Wiedergutwerdung insofern, als sich durch ihn die Vollendung der Inhumanität ankündigt: die Banalität des Guten.

      Vom Giftgas reden weder Augstein noch Krippendorff. Denn im Hause des Henkers redet man nicht vom Strick. Es könnte passieren, dass das neue Deutschland, dessen Beginn Krippendorff im Unterschied zu Augsteins »Stun­de Null« einmal auf den 2. Juni 1967 vordatiert hat, in einem Atemzug mit Gas genannt wird. Hatte sich denn Dorothee Sölle bei Gildemeister Zutritt verschafft, um dort ihr Mutter Unser zu beten, oder ist Walter Jens, der Sitzheld von Mutlangen, etwa nach Eschborn gewandert, um sich philologisch über die Ausfuhrgenehmigungen herzumachen? Das damalige friedensbewegte Geschwätz über das auserwählte Volk der Bombe, über die besondere Bedrohung Deutschlands schloss das Schweigen über dessen besondere Bedrohlichkeit ein. Und weil er jahrelang besonders heftig geschwiegen hatte, hängte der DGB kurz nach Ausbruch des Krieges, noch fünf symbolische Minuten an.

      Bei ersten Demonstrationen gegen den Golfkrieg kam das Wort Gas nicht vor, und erst recht nicht, wen es bedroht. Um so heftiger hingegen war die Forderung zu hören, dem Diktator bei der Ausführung seines von ihm angedrohten Massenverbrechens – nämlich Israel in ein Krematorium zu verwandeln – nicht in den Arm zu fallen. Die mit der Friedensforderung behauptete Anteilnahme am Schicksal der irakischen Bevölkerung ist indes nicht so selbstlos, wie sie sich gibt. Diese Sympathie verrät unmissverständlich, dass es sich bei ihr um einen vorausschauenden Rückblick handelt: am Irak soll nicht vollstreckt werden, was den Deutschen bereits widerfahren war. Mit dem beständigen Hinweis der Demonstranten, dass Deutschland aufgrund seiner eigenen Geschichte eine besondere und weltweite Verantwortung für den Frieden habe, soll vor allem eine deutsche Errungenschaft der jüngeren Geschichte vergessen gemacht werden: dass nämlich der einzige deutsche Beitrag zur Zivilisation im 20. Jahrhundert darin besteht, den Krieg als Mittel der Politik eben nicht abgeschafft, sondern im Gegenteil ihn als Sachwalter der Humanität überhaupt erst möglich gemacht zu haben.

      Die Juden Israels gelten als quantité négligeable – bes­tenfalls, oder aber als die eigentlich Schuldigen, wie man es bei Krippendorff nachlesen kann. Er übersetzt die irakische Propaganda in die Sprache der deutschen Betroffenheit. Wenn Saddam Hussein tönt, was die Etikette Krippendorf verbietet, dass nämlich die Juden das Unglück der Araber seien, dann heißt das im Jargon der moralischen Nachrüstung des Antisemitismus: »Das ist der Sturm, zu dem die Politik des Staates Israel den Wind gesät hat. Man stelle sich vor, Israel würde sich noch heute bedingungslos aus den besetzten Gebieten zurückziehen ...«

      Bedingungslos – das hätte er gern. Außerdem müsse die deutsche Friedensbewegung »unzweideutig darauf bestehen, dass die rigide, arrogante, ja ›rassistische‹ israelische Politik einen wesentlichen Anteil an der Popularität des brutalen Saddam Hussein« habe.

      Ähnlich argumentierte vor einem halben Jahrhundert eine andere Bewegung, die unzweideutig darauf bestand, dass die rigiden jüdischen Kaufhausbesitzer einen wesentlichen Anteil an der Popularität des Führers hatten. Der hat ja bekanntlicherweise dann die Kaufhäuser abgeschafft und den Sozialismus eingeführt. Krippendorff setzt, wenn er die Politik Israels qualifiziert, das Adjektiv rassistisch in Anführungszeichen. Was will er damit sagen, wenn er dieses Wort mit Samthandschuhen anfasst, wo er es doch wörtlich meint? Bedauert er, dass die Nürnberger Gesetze nicht mehr gelten, denen zufolge nur Deutsche Rassisten sein durften? Will er den Leser darauf vorbereiten, dass, sollte er künftig einmal mit Anführungszeichen von der »jüdischen Verschwörung« schreiben, diese dann auch wirklich gemeint sei. Tatsächlich sind diese diakritischen Zeichen Signale der Kumpanei zwischen dem Autor und dem Publikum, sie sind Lidschläge eines einvernehmlichen Zwinkerns: wir wissen schon, was gemeint ist.

      In einer 1987 im Spiegel erschienenen Eloge auf die Protestbewegung hatte sich Krippendorff an einer Diagnose versucht, die eher einer Selbstbezichtigung gleichkam: »Die deutsche Sprache, ein sichereres Indiz für veränderte Kultur als alle politische Analyse, ist nicht mehr dieselbe wie noch vor zwanzig oder gar hundert Jahren: Sie ist flexibel, schöpferisch, unbotmäßig, fantasievoll geworden.«

      Vor allem flexibel, so legt sein antiisraelisches Pamphlet in der taz nahe, wenn es um Ursache und Wirkung, und phantasievoll, wenn es um die Wahrheit geht. Im triefigen Mitleidston schreibt er über den »ganz und gar friedlichen, passiven Widerstand der Palästinenser«, als hätten diese nicht schon genug an den Schlägen der Besatzungsmacht zu leiden, sondern auch noch einen Tritt der deutschen Friedensbewegung nötig, mit dem sie, die doch allen Grund haben, nicht mit weißen Armbinden, sondern mit Steinen in der Hand sich zu wehren, auf das Niveau ihrer deutschen Anwälte herabgedrückt werden sollen.

      »Ein Deutscher ist ein Mensch«, notierte Adorno einmal, »der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.« Krippendorffs Bekenntnis ohne Wenn und Aber zu Israel nimmt sich aus wie das Plädoyer des Advokaten in der »Fledermaus«, der sich dem schlecht vertretenen Klienten gegenüber mit den Worten verteidigt: »Ich wollte Sie nicht beleidigen, sondern verteidigen«. Er hat sich, wie Augstein auch, nur über Kritik von außen geärgert, darüber, dass ein frecher Jude sich in der taz über die Dämlichkeit der Friedensbewegung auslassen durfte. Von einem, der nicht ihren Stallgeruch teilen will, lassen sich Krippendorff und die anderen, »die wir mittendrin stehen«, doch nicht den mühsam erworbenen moralischen Antisemitismus vermiesen. Und wie Augstein so fordert auch Krippendorff die Juden auf, sie sollten gefälligst die besseren Menschen sein.

      Schon 1942 hätten sie diese Ermahnung missachtet, indem sie die Deportationen nicht mit einem Sitzstreik abgewendet hätten, schrieb Krippendorff in der taz zwei Tage, bevor er als Israelexperte debütierte: »Man stelle sich vor, die Kolonne der Hunderte und Tausende auf dem Weg zu den Güterbahnhöfen hätten sich schlicht hingesetzt – hätten Polizei, SA, Wehrmacht und SS es gewagt, im Angesicht aller deutschen Zuschauer diese Menschen zusammenzuschlagen und sie Körper für Körper, widerstandslos und doch mächtig, auf Lastwagen zu verfrachten?«

      Ein einziges jüdisches