Das ist weder polemisch noch sonstwie übertrieben; auf Luther berief sich während der Nürnberger Prozesse 1946 explizit auch Julius Streicher, Herausgeber des Stürmer, und brachte zum Zweck seiner Verteidigung vor: »Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir z.B. ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch ›Die Juden und ihre Lügen‹ (= ›Von den Juden und ihren Lügen‹) schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht. Man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.«
Hierin sprach der Berufslügner, Denunziant, Demagoge und Hetzer Streicher die Wahrheit über den »Dr. Martin Luther«, wie er ihn gleich dreimal in ehrerbietender Absicht nennt. »Von den Juden und ihren Lügen« ist eine Handreichung zum Pogrom, eine Anweisung für und eine Rechtfertigung von Massenmord. Luther forderte die Verbrennung der Synagogen, ein Lehrverbot für Rabbiner bei Androhung der Todesstrafe, Aufhebung der Wegefreiheit für Juden, die Zerstörung ihrer Häuser und ihre Zwangsunterbringung, die Wegnahme ihrer religiösen Bücher, ihre Zwangsenteignung und Zwangsarbeit.
Luthers Pamphlet geht über zeittypische antisemitische Ressentiments, die sich bis heute erhalten haben, weit hinaus: seine Forderungen nach mit Gewalt durchzusetzender Unterdrückung der Juden bis hin zu ihrer Ermordung sind konkret gemeint und aufzufassen. Verstanden wurde Luther nicht nur von den Nationalsozialisten, die seine antisemitischen Vernichtungsphantasien im alten lutherischen Geist mit modernsten Mitteln umsetzten; seine gedruckte Hetze war ein populäres Vademecum, wann immer es galt, die ältere jüdische Weltanschauungskonkurrenz auszuschalten. Was Luther verlangte, wurde Jahrhunderte später »Arisierung« genannt, und dazu war Luther wie seinen Nachfolgern jedes Mittel der Verleugnung und Denunziation recht.
Luther bezichtigt die Rabbiner, »vorsätzliche Lügner und Lästerer der Gottesworte« zu sein, nennt die Juden ein »böses, ärgerliches gotteslästerliches Volk«, Leute, die, »selbst wenn sie 100.000 Jahre lang lügen sollten und alle Teufel zu Hilfe nähmen, trotzdem für immer mit der Schande leben müssten« für das »Fluchen und Lästern aus dem Herzen und Maul des Juden«, »denn was weder die Vernunft noch das menschliche Herz erfasst, das wird erst recht nicht das verbitterte, bösartige, blinde Herz der Juden begreifen.« Man kann diese wahre Lutherbibel, diesen Nibelungenschrein des Judenhasses auf jeder x-beliebigen Seite öffnen und wird immer sofort fündig; Luther inszeniert sich als Rächer mit Feuer und Schwert, der die Mär vom »Mord an unserem Herrn Jesus Christus« so lange repetiert, bis er seine neiderfüllte Niedertracht für den höchsten Ausdruck christlicher Liebe hält. Da könnte etwas dran sein; in der mörderischen Intention seiner antijüdischen Raserei ist Luther ganz bei sich, selbstzufrieden, selbstgewiss und gottgefällig sich dünkend, ein Protestant reinsten Abwassers.
In Zeiten, in denen angeblich aufgeklärte Mitteleuropäer die Liebe zum Islam entdecken und davon schwärmen, wie schön es sei, einem muslimischen Schwiegervater sein Patriarchenhändchen abzuküssen und in denen die schon erwähnte Frau Käßman nach jedem islamistisch motivierten Mordanschlag den Tätern ihre Geschwisterhand darreicht, darf man sich über die Salonfähigkeit des Antisemitismus nicht wundern, wie ja das antisemitische Ressentiment überhaupt für viele ein für Menschen unbegreiflicher, aber manifester Reflex ist. Die Behauptung, dass man hierzulande »ja nichts gegen Juden sagen dürfe«, gehört längst zur Grundausstattung aller Antisemiten, die selbstverständlich »nichts gegen Juden haben«, nur Israel gerne in einen jüdischen Friedhof verwandelt sähen.
Dem Aschaffenburger Alibri Verlag, in dem auch Bücher von Karlheinz Deschner und Denis Diderot erscheinen, gebührt das Verdienst, Luthers Text erstmals in heutigem deutsch zu präsentieren; linksseitig liest man ein Faksimile des Originals, rechts den Text in gewohnter Typographie. Der Inhalt bleibt, weil zu widerwärtig, dennoch schwer zu lesen. »Ich hatte mir wirklich vorgenommen, nichts mehr über oder gegen die Juden zu schreiben«, heuchelt Luther los, um dann von der ersten Zeile bis zum letzten Amen seine Sprach- und Wirkungsmacht wider das Judentum in Stellung zu bringen. Der Rest ist braune Geschichte und Gegenwart, nur kann eben kein »Lutherliebhaber«, wie chrismon solche Kundschaft nennt, noch länger die Lüge aufrecht erhalten, er oder sie hätte »es nicht gewusst«. Schließlich ist Luthers »Von den Juden und ihren Lügen« seit Jahrhunderten ein verlässlicher Lesespaß für die ganze deutsche, protestantische Familie.
Hitler, der letzte Monorch
Als Bild am Samstag, dem 19.12. 2015, mit dem Aufmacher »Arzt-Dokument bestätigt offiziell: Hitler hatte nur einen Hoden!« quasi angeeiert kam, stutzte ich: Das kam mir irgendwie bekannt vor. Tatsächlich hatte ich schon 1993 geschrieben: »Der Führer hatte nur ein Ei / Daran brach das Reich entzwei.«
Es waren diese letzten zwei Zeilen eines Gedichts, das unter dem Titel »Die Wahrheit über den Führer« erschien und im Sammelband »Am Arsch die Räuber« nachzulesen ist. Hier noch einmal der alte Text in Gänze:
Die Wahrheit über den Führer
Gewidmet Rainer Zitelmann, Dozent am Alzheimer-
Institut für Neue Deutsche Geschichte, Berlin
Hitler hatte einen Kleinen
Wurde so zu dem gemeinen
Kerl, der er dann später war
– ist echt wahr!
Hitlers Pimmel war gespalten
Sonst hätt’ er Russland aufgehalten.
Hitler kriegte keinen hoch
Nur der rechte Arm ging noch.
Hitler wusch den Schniepel nie
– darum Schande Normandie.
Der Führer hatte nur ein Ei
Daran brach das Reich entzwei.
Die letzte meiner Thesen über Hitler wurde so, via Bild, publizistisch in den Rang der historischen Wahrheit erhoben; ich bin gespannt, welche meiner anderen Theorien über den Zusammenhang zwischen Hitlers Genitalzustand und seiner Kriegspolitik noch auf medialem Wege medizinisch-wissenschaftlich erhärtet werden. Schließlich wird die Einhodigkeit Adolf Hitlers alle paar Jahre wieder hervorgekramt und Hitlers eines Ei medial neu aufgekocht oder weggebraten. Die deutschen Darsteller von Zeitungs-, Magazin- und TV-Historikersendungs-Chefs wüssten gar nicht, was sie tun sollten, hätte es Hitler nicht gegeben. Sie sind ihm zu Dank verpflichtet angesichts all dessen, was er für sie tat.
Mein Gewährsmann UD Braumann schrieb mir über das mediale Eierlaufen: Einhodigkeit nennt man »Monorchie«, was dem Code Q55.0 aus der internationalen Krankheitsklassifikation ICD-10 entspricht: https://de.wikipedia.org/wiki/Monorchie
Es gibt auch noch »Anorchie« (= Hodenlosigkeit) und »Trinorchie« (= Dreihodigkeit respektive die Heilige Dreifaltigkeit im faltigen Sack). Ich schlage vor, dass künftig jede Person offen sichtbar in symbolischer Form ihre (sic!) Hodenanzahl kenntlich macht, z.B. am Hemdkragen oder anderweitig in Gesichtsnähe. Ach ja, und der Begriff »Kryptorchie« bedeutet sowas wie Hodenverborgenheit (neinnein, nicht -verborgtheit), eben dass Hoden nicht in »skrotaler Position« sind. Wer weiß, wo bei Hitler der andere Hoden sich hinzubegeben beliebte? Vielleicht war der Hodensack nur zu klein, und so mußte einer ausziehen (Hoden ohne Raum)?
Eine schöne Zusammenfassung zur Kryptorchie – auch Kryptorchismus genannt – findet sich hier: http://www. urologielehrbuch.de/kryptorchismus.html. Da steht unter »Häufigkeit der Monorchie«: »In 5-20 % der echten (nicht palpablen) Kryptorchismusfällen besteht eine Monorchie (fehlender Hoden). Ursache für einen fehlenden Hoden ist z.B. die intrauterine Hodentorsion (vanishing testis). Die Zeiten des Kryptorchismus haben weder Anfang noch Ende.«
Soweit UD Braumann; ich spende hiermit zweimal fünf Euro für die Weltkalauerhilfe und frage