die Myriaden von Kreaturen der Welt gedeihen und leben in Fröhlichkeit,
Anführer sind auf Frieden bedacht,
und ihre Länder werden in Gerechtigkeit regiert.
Wenn die Menschheit in das Tao eingreift,
wird der Himmel trüb,
die Erde wird ausgebeutet,
der Geist erschlafft,
Ströme trocknen aus,
das Gleichgewicht gerät aus den Fugen,
Kreaturen werden ausgelöscht …
(Tao Te King § 39)
Wenn Herrscher im Glanz leben und Spekulanten gedeihen,
während Bauern ihr Land verlieren und die Kornspeicher sich leeren;
wenn Regierungen Geld für Prunk und Waffen ausgeben;
wenn die Oberschicht extravagant und verantwortungslos ist,
nachsichtig mit sich selbst, und mehr besitzt, als sie jemals benutzen kann,
während die Armen nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen.
All das ist Raub und Chaos,
es hat mit dem Tao nichts gemein.
(Tao Te King § 53)
Ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einer Welt, in der Leben, Schönheit und Würde wirklich gedeihen können, besteht darin, die jetzige Wirklichkeit unseres Planeten zu verstehen. Wie wir bereits gesehen haben, leben wir in einer Zeit, in der die Ökosysteme der Erde in raschem Tempo zerstört werden, wobei eine kleine Minderheit der Menschheit ihr Monopol auf den weltweiten Wohlstand behauptet. Inzwischen vollziehen sich tiefgreifende und rasche Veränderungen in der Organisationsweise der Gesellschaft. In vieler Hinsicht stehen wir vor einem Scheideweg. Technische Durchbrüche auf den Gebieten der Kommunikation, der Computertechnik und der Gentechnik vergrößern die Macht des Menschen wie niemals zuvor. In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Welt auf allen Ebenen dem Diktat des „Marktes“ und des Profitstrebens unterworfen. In politischer Hinsicht entwickeln sich die transnationalen Konzerne zu den beherrschenden Mächten der Welt. Dabei erhalten sie Rückendeckung von der militärischen Macht der Länder, die ihren Interessen zu Diensten sind. In kultureller Hinsicht setzen die Massenmedien die Werte und Sehnsüchte des Konsumismus weltweit durch.
Vielen gilt diese Art von „Globalisierung“ als unvermeidlich. Und in der Tat versichern uns diejenigen, die als Sprachrohr der beherrschenden Mächte fungieren, dass sich dies so verhält. Es gibt keine Alternative.
Aber was wäre nun, wenn die Krisen der Armut und der ökologischen Zerstörung, mit denen wir es zu tun haben, nicht einfach nur zufällige Nebeneffekte oder „Kinderkrankheiten“ unseres wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Systems sind? Was wäre, wenn sie nicht einfach durch einige kleinere Reparaturarbeiten zu beheben sind? Wenn eine innere Erkrankung das Wesen dieser Krisen ausmacht? Wären wir dann nicht gezwungen, den Weg, auf dem wir uns befinden, neu zu überdenken und nach Alternativen zu suchen? Stünden wir dann nicht vor der Herausforderung, in neuer, kreativer Weise unser Denken und Handeln darauf auszurichten, zu verändern, was bisher als unvermeidlich galt?
Tatsächlich sind wir davon überzeugt, dass dem System selbst, das zurzeit unsere Welt beherrscht und ausbeutet, eine tief liegende Erkrankung innewohnt. In diesem Kapitel werden wir versuchen, dieses pathologische Phänomen aufzudecken. Dabei verfolgen wir nicht die Absicht, unsere Leser ohnmächtig oder überfahren zurückzulassen. Ganz im Gegenteil, der erste Schritt zur Genesung ist es, zu akzeptieren, dass wir krank sind, und diese Krankheit zu verstehen. In gewissem Sinne leben wir alle in einer Art kollektivem Wahn, in dem das, was sowohl unlogisch als auch zerstörerisch ist, als normal und unvermeidlich gilt. Natürlich mag es für diejenigen, die am meisten an dieser Erkrankung zu leiden haben, völlig klar sein, dass wir es mit einer grundsätzlichen Störung zu tun haben: für die Kreaturen, deren Lebensraum zerstört wird, und für die große Mehrheit der Menschheit, die an den Rändern unserer neuen globalen Wirtschaft lebt. Andererseits mag es für diejenigen, die (wenigstens kurzfristig) von den Vorteilen des Systems profitieren, weniger klar sein, dass wir es mit einer Krankheit zu tun haben. Für alle aber wirft eine gründlichere Analyse des Systems Erkenntnisse ab, die uns allen helfen können, die herrschende (Un-)Ordnung10 herauszufordern und Alternativen ins Auge zu fassen.
Worin besteht nun die Erkrankung unserer Welt? Ein erster Schritt besteht darin, die Symptome dieser Krankheit, die unseren Planeten heimsucht, näher zu betrachten – eine Krankheit, die in der Art und Weise ihren Ursprung hat, wie die Gesellschaft zurzeit organisiert ist. Konkret werden wir sowohl die Probleme von Armut und Ungleichheit als auch die ökologischen Probleme näher betrachten, die daraus resultieren, dass wir durch Raubbau und Verschmutzung über die Grenzen der Erde „hinausschießen“.
Krankheitssymptome
Armut und Ungleichheit
Ein erstes Krankheitssymptom ist die größer werdende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Viele mögen dagegen einwenden, dass finanziell gesehen die Menschheit heute reicher ist als jemals zuvor in ihrer Geschichte. Wir leben in einer Welt voller Wunder, die sich unsere Vorfahren vor einem Jahrhundert kaum vorstellen konnten: schnelles Reisen und rasche Kommunikation, eine hoch entwickelte Medizin, Maschinen, die Arbeit einsparen, und komfortabler Luxus. Einigen Schätzungen zufolge gibt es zurzeit eine größere Vielfalt an Konsumgütern als an lebenden Arten. Insgesamt produzieren die Menschen jetzt fast fünfmal so viel pro Kopf als vor hundert Jahren. (Little 2000)
Doch dieses schier unglaubliche Wachstum von Wohlstand hat nicht zur Ausrottung oder wenigstens zu einer deutlichen Verringerung der menschlichen Armut geführt. Tatsächlich blieb der Anteil der Menschen, die in Armut leben, während der letzten fünfzig Jahre relativ konstant. (Korten 1995). Einen echten Fortschritt gab es im Hinblick auf die Kindersterblichkeit, die Verlängerung der Lebenserwartung, der Alphabetisierungsrate und verbessertem Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Dennoch lebt fast ein Drittel der Weltbevölkerung immer noch von einem US-Dollar am Tag. Wenn man genauer hinsieht und insbesondere das Wegbrechen traditioneller Kulturen, Lebensweisen und der diese tragenden Ökosysteme betrachtet, dann gelangt man zur Feststellung, dass sich die tatsächliche Lebensqualität von vielen der Armen dieser Welt verschlechtert hat.
Inzwischen hat sich der Gegensatz zwischen Arm und Reich zu einer tiefen Kluft ausgeweitet. Relativ gesehen sind Asien, Afrika und Lateinamerika tatsächlich ärmer als wir vor hundert Jahren. Weltweit hat sich die Disparität der Einkommen zwischen Reichen und Armen verdoppelt. Schlimmer noch: Immer noch werden große Mengen an Reichtum von den ärmeren in die reicheren Länder transferiert. Für jeden Dollar an Entwicklungshilfe fließen drei als Schuldendienst in den Norden zurück. Der Nettotransfer von Reichtum ist sogar noch größer, wenn man die unfairen „Terms of trade“ (d. h. das Austauschverhältnis von Import- und Exportprodukten; d. Übers.) betrachtet, die die armen Länder zu niedrigen Löhnen und niedrigen Warenpreisen zwingen.
Wenn man den Wohlstand betrachtet, dann ist die Größenordnung der Ungleichheit sogar noch schockierender. Die drei reichsten Menschen der Welt verfügen über ein Vermögen, das das Bruttosozialprodukt der 48 ärmsten Länder zusammengenommen übersteigt. Wie wir bereits angemerkt haben, verfügen die Milliardäre zusammen über ein Vermögen von 2,4 Billionen US-Dollar; das ist mehr als das jährliche Einkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung. Im Vergleich dazu betrügen die Gesamtkosten für eine Grundschulbildung, eine medizinische Grundversorgung, angemessene Ernährung, sauberes Trinkwasser und Kanalisation für all diejenigen, die dies alles bislang nicht haben, bloß 40 Milliarden US-Dollar im Jahr, das heißt weniger als 2 % des Vermögens der weltweit Reichsten. (UNDP-Bericht 1998) Vor Kurzem wurden die zusätzlichen Kosten für die Millennium-Ziele der Entwicklungspolitik – die über die bereits angeführten Ziele hinaus noch die Eindämmung von HIV/Aids und der Malaria und die Erhaltung der Umwelt umfassen – von der Weltbank auf 40 bis 60 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Das schwedische Friedensforschungsinstitut