Tiefer eintauchen: Kosmologie und Befreiung
Wenn wir den spirituellen Zustand der Ohnmacht betrachten, dann werden wir dahin geführt, eine dritte, vielleicht grundlegendere Perspektive einzunehmen: unsere Wahrnehmung des Wesens der Wirklichkeit selbst. Wir nennen diese Perspektive die kosmologische. Sie stellt möglicherweise die größte Herausforderung dar, doch gleichzeitig auch die an neuen Alternativen reichhaltigste. Unsere Kosmologie umfasst unser Verständnis vom Ursprung, der Entwicklung und dem Sinn des Universums sowie den Ort der Menschen darin. Die Art und Weise, wie wir den Kosmos erfahren und verstehen, unsere „Kosmovision“, bildet den innersten Kern unserer Ansichten über das Wesen von Veränderung.
In den letzten drei Jahrhunderten hat eine mechanistische, deterministische, atomistische und reduktionistische Kosmologie die Menschheit zunehmend beherrscht. In jüngerer Zeit hat der Konsumismus unsere Wahrnehmung der Realität sogar noch mehr eingeengt und trivialisiert. Diese Faktoren zusammengenommen haben unsere Fähigkeit, Veränderung zu denken und schöpferisch zu handeln, ernsthaft beeinträchtigt.
Im Lauf der letzten hundert Jahre jedoch hat sich aus den Naturwissenschaften heraus ein neues Verständnis des Kosmos zu entwickeln begonnen. In vieler Hinsicht erinnert es an eine frühere Kosmologie, wie sie unter autochthonen Völkern immer noch allgemein akzeptiert ist. Diese Kosmologie betrachtet das Universum als einen einzigen Organismus, der auf ganzheitliche Art wirkt. Im Unterschied zu einigen traditionellen Kosmologien nimmt die neue, aus den Wissenschaften herkommende Kosmologie das Universum jedoch als ein sich entwickelndes Universum in den Blick. Der Kosmos ist keine statische, ewig gleichbleibende Größe, sondern vielmehr ein Prozess, der sich ständig entfaltet und neu schafft. Wir werden sehen, dass diese Weltanschauung eine Herausforderung für unser Verständnis der Dynamik von Veränderung darstellt. Sobald wir uns unserer Verbundenheit mit dem Kosmos bewusst werden, wird Veränderung in einem neuen Kontext gesehen, der unsere Annahmen über lineare Kausalität und blinden Zufall von Grund auf infrage stellt. Die Bedeutung von Intuition, Spiritualität und alten Weisheitstraditionen wird immer klarer. Wir gelangen dahin, uns nicht länger als passive Konsumenten oder unbeteiligte Zuschauer in einem Spiel blinden Zufalls zu begreifen, sondern vielmehr als aktive Teilnehmer am unbegreiflichen Geheimnis des Prozesses, in dessen Verlauf das Universum seinen Sinn entfaltet.
Die Ökologie der Veränderung
Sobald wir die verschiedenen Schichten von Hindernissen für den Wandel betrachten und die neue Kosmologie erkunden, wie sie aus den Naturwissenschaften hervorgeht, beginnen wir auch die wechselseitige Beziehung zwischen den Dimensionen eines ganzheitlichen Prozesses der Veränderung zu begreifen. Dies ist etwas, was wir im Bezugsrahmen von Ökologie denken können. Das Wort „Ökologie“ bezieht sich üblicherweise auf das Verhältnis zwischen Organismen und deren Umgebung. In ihrem Wesen geht es um eine Erforschung von wechselseitiger Beziehung und gegenseitiger Abhängigkeit. Wenn man stärker vom Wortsinn ausgeht, dann meint Ökologie „die Erforschung des Heims“ (das griechische Wort oikos, also Heim oder Haus, kann auch als die Erde selbst verstanden werden). Deshalb scheint es angebracht, von einer „Ökologie der Veränderung“ zu sprechen, um damit den Prozess in seinen wechselseitigen Beziehungen zu beschreiben, der in Gang gesetzt werden muss, um die Gesundheit unserer gemeinsamen Heimat, der Erde, wiederherzustellen.
Eine effektive Ökologie der Veränderung wird einer neuen Sichtweise der Wirklichkeit bedürfen, sie braucht etwas, das als konkretes Ziel dienen und uns Hoffnung vermitteln kann. Nach dem Untergang des „Realsozialismus“ in den letzten fünfzehn Jahren (der trotz seiner Beschränkungen wenigstens die Hoffnung nährte, dass irgendeine Alternative möglich sei) ist eine überzeugende Vision von einer veränderten Welt so dringend wie selten zuvor. Wenn wir realistische Wege aufzeigen, wie wir in Würde im Einklang mit der Erde leben können, dann können wir damit anfangen, eine Alternative zu entwickeln, eine das Leben fördernde kraftvolle Strömung der Inspiration, die uns in eine bessere Zukunft vorantreibt.
Eine konkrete Vision einer Welt, die es möglich macht, würdevoll in Einklang mit anderen Kreaturen zu leben, ist die des „Bioregionalismus“. Bioregionalismus entwirft eine Gesellschaft auf der Grundlage von kleinen lokalen Gemeinschaften, die in einem Netzwerk von Beziehungen miteinander verbunden sind, welche von Gleichheit, Miteinander-Teilen und ökologischem Gleichgewicht anstelle von Ausbeutung geprägt sind. Dieses Modell strebt die Schaffung von Gemeinschaften an, die sich selbst tragen und sich selbstständig weiterentwickeln. Die Größe dieser Gemeinschaften entspräche den natürlichen „Bioregionen“ auf der Grundlage der Ökologie, der Geschichte von Natur und Kultur einer bestimmten Gegend, sie wäre von den Werten der Selbstgenügsamkeit und der Harmonie mit der Natur geprägt und gelangte auf diese Weise zu gemeinschaftlicher Entscheidung, zur Befriedigung individueller Bedürfnisse und zum Aufbau einer lokalen Kultur. (Nozick 1992)
Auf den ersten Blick mag eine solche Vorstellung als unrealistisch, ja utopisch erscheinen. Doch im Laufe der Lektüre dieses Buches wird es zunehmend klarer werden, dass dieses Modell viel besser in Einklang mit den Bedürfnissen der Menschheit und dem sich entfaltenden evolutionären Prozess des Kosmos steht als die Strukturen von Herrschaft und Ausbeutung, die zurzeit unserem Planeten Gewalt antun. Uns ein Modell in diesem Sinne anzueignen könnte in der Tat unsere einzige echte Hoffnung auf ein zukünftiges lebenswertes Leben sein.
Schließlich wollen wir unsere Einsichten noch einmal durchgehen, vertiefen und in eine Einheit bringen, indem wir einige mögliche Prozesse beschreiben, wie man sich dem Tao der Befreiung öffnen und es verwirklichen kann. Auf diese Weise werden auch die Umrisse der Ökologie der Veränderung deutlicher hervortreten. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass dies ein neues Nachdenken und neue Prozesse anstößt, welche die Praxis all derer bereichern können, die sich um die Gesundung und das Wohlbefinden der planetarischen Gemeinschaft sorgen.
Letztlich ist es der Sinn dieses Buches, in all den Kämpfen um die Verbesserung und Stärkung der menschlichen und nichtmenschlichen Lebensgemeinschaft der Erde neue Hoffnung und schöpferische Energie zu vermitteln. Gewiss steht unsere Aufgabe unter dem Vorzeichen der Dringlichkeit. Der Weg, der vor uns liegt, wird nicht leicht sein. Duane Elgin gebraucht für die Zeit, die uns bevorsteht, den Ausdruck „planetarische Kompression“: Die Krisen des ökologischen Niedergangs und der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, des Klimawandels und der Armut werden uns in einen Strudel von Zwängen hineinziehen, wobei „die menschliche Zivilisation entweder im Chaos versinken wird oder in einem spiralförmigen Prozess der Veränderung emporsteigt“ (1993, 120). Wir können weitreichende Veränderungen vermeiden und damit in eine Zukunft mit größerem Elend, Armut und ökologischer Zerstörung abgleiten, oder wir können aufwachen, uns der Dringlichkeit und Radikalität der erforderlichen Veränderungen stellen und das Tao der Befreiung wählen.
Wenn wir uns zu Letzerem entschließen, dann gibt es eine Chance für ein spirituelles Erwachen der Menschheit und eine neue planetarische Zivilisation, in der Schönheit, Würde, Vielfalt und der uneingeschränkte Respekt vor dem Leben das Zentrum von allem bilden – eine echte Große Wende. Wir hoffen, dass die Überlegungen in diesem Buch zu der Weisheit beitragen können, die wir brauchen, um wirkungsvoll für eine solche Veränderung zu arbeiten.
Teil I: Erkundung der Hindernisse
2. Ein pathologisches System entlarven
In Einklang mit dem Tao
ist der Himmel klar und rein,
die Erde ist in ruhiger Heiterkeit und ganz,
der