Kiua jammerte auch nicht, als Lenna ihr eine Infusion anlegte. Dann schlief sie, nachdem Lenna ihr Ketamin gespritzt hatte.
Es war ein böser Anblick, die Därme schwammen in Eiter, der ganze Bauch war voller Eiter. Ein perforierter Blinddarm. Warum war das so schnell gegangen? Meist bildet sich doch ein Abszess um einen erst entzündeten und dann perforierten Blinddarm herum, und in manchen Büchern steht, dass man in dem Stadium nicht mehr operieren sollte, um nicht beim Eröffnen der Abszesshöhle die Infektion in den Bauchraum zu verschleppen. Freilich, der Rat kam mir immer ein bisschen akademisch vor: Woher soll man wissen, dass sich ein Abszess mit einer festen Wand gebildet hat. Wenn ich so einen Abszess bei einer Laparotomie finde, lege ich einfach einen Drainageschlauch und schließe den Bauch rasch wieder.
Wir versenkten den Blinddarmstumpf und wuschen und wuschen den Bauch wieder und wieder mit Kochsalzlösung. Ob Kiua eine Chance hatte?
Später, daheim, betete ich für Kiua. Ich bat Gott, eine Ausnahme zu machen und ausnahmsweise einmal einzugreifen. Und sei es um meinetwegen.
Natürlich war das töricht. Ist Gott vielleicht jemand, der sich erweichen lässt? Ist Gott vielleicht jemand, der die Geschicke der Welt im Zickzackkurs lenkt? Je nach dem von welcher Seite die meisten Gebete wehen?
Es wurde vor nicht langer Zeit eine Studie veröffentlich, in der gezeigt wurde, dass in den an der Studie beteiligten amerikanischen Krankenhäusern sich Patienten, für die gebetet wurde, schneller erholten als Patienten, für die nicht gebetet wurde. Dass die Überlebensrate z. B. nach Operationen von solchen Patienten, für die irgendjemand betete, höher war als für Patienten, für die niemand betete.
Es folgte dann ein, ich nehme an, ironischer Leserbrief, in dem der Schreiber forderte, es müsse nun eine zweite Studie durchgeführt werden, um die Dosis Wirkung Beziehung herauszufinden. Half viel beten viel, und wenig beten wenig? Was war die minimale Bet-Dosis unterhalb derer sich Gott nicht rührte?
Freilich, ich habe immer wieder Menschen getroffen, die fest davon überzeugt waren, dass ihre Gebete halfen, dass ihre Gebete den Lauf der Dinge änderten. Peter Garland z. B. und Antje Gerlach. Peter Garland glaubte fest, dass es sogar regnen würde, wenn er nur dafür betete. Und es regnete tatsächlich einmal einen halben Tag nachdem er zusammen mit Chief Kyungu (im Karonga Distrikt, in Malawi) für Regen gebetet hatte.
Tja.
Am Morgen ging es Kiua ein klein wenig besser, der Bauch war nicht mehr ganz so hart, das Fieber war heruntergekommen. Die Mutter saß an Kiuas Bett. Auf dem Weg zu meinem Büro bat ich Gott noch einmal dringend, eine Ausnahme für Kiua zu machen. Ich hielt es für möglich, dass er das konnte.
Ob er es auch wollte?
Am Abend hatte das Fieber wieder angefangen. Der Effekt vom Auswaschen des Bauches war wohl vorüber, und all die Antibiotika, die wir gaben, halfen wohl nur begrenzt. Kiua sah mich stumm und müde an.
Und am nächsten Morgen war das Ende abzusehen. Kiua hatte wieder 40 Fieber, der Puls raste, die kleine Blume war am Verwelken, der dunkle Engel war dabei wieder fortzufliegen.
Später sagte ich zur Mutter, wie Leid es mir tue, aber wir hätten alles getan, was wir hätten tun können.
»Es war Gottes Wille«, sagte sie leise.
Und vergib uns unsere Schuld
[13. August 2006]
Sie brachten ihn um Mitternacht. Er hatte einen Leistenbruch, der sich nicht mehr reponieren ließ, so sehr ich mich auch bemühte, eine eingeklemmte Hernie. Augustin hieß er.
»Und wie lange haben Sie diese Schwellung schon?«
»Seit drei Tagen.«
»Und warum sind Sie nicht sofort gekommen.«
»Ich habe erst Geld finden müssen für den Bus und für hier.«
»Aber jeder weiß doch, dass wir Notfälle behandeln, ohne erst nach Geld zu fragen!«
Ich operierte Augustin sofort. Mtandi gab die Narkose, Lenna assistierte mir. Der eingeklemmte Darm sah nicht gut aus, stellenweise war er schwärzlich. Sollte ich eine Laparotomie machen und das eingeklemmte Stück resezieren? Und eine End-zu-End Anastomosen machen? Es ist nicht so einfach, um Mitternacht die richtige Entscheidung zu treffen. Es fehlt der Enthusiasmus für eine große Operation. Vielleicht würde sich der Darm ja erholen, auch wenn er nicht gut aussah. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, bis zum Morgen mit der Operation zu warten. Drei Tage oder drei Tage und acht Stunden, wo wäre der Unterschied gewesen? Aber die Gedanken mahlen langsam um Mitternacht, man handelt, ohne Alternativen richtig durchdenken zu können. Ich jedenfalls. Und ich verschloss die Leiste wieder, nachdem ich den Darm zurück in den Bauch verlagert hatte. Vielleicht würde er sich ja erholen.
Augustin kam aus Itete. Itete liegt am Rande vom Einzugsgebiet vom Lugala Krankenhaus auf dem Weg nach Ifakara. Es ist ein großes Dorf. Bruder Samuel wohnt dort. Er war einst clinical officer und gründete dann einen kleinen Franziskaner Orden in Itete. Und begann ein Waisenhaus zu betreiben für die Kinder verstorbener AIDS-Patienten. SolidarMed, diese schweizer Hilfsorganisation, die jetzt auch uns die Behandlung von AIDS-Patienten ermöglicht, liebt ihn. Was immer er beantragt, sie schieben es ihm vorne und hinten rein, Erweiterungsbauten für sein Waisenhaus, einen Schweinestall, eine Solarpumpe, Computer, einen Aufenthalt in der Schweiz.
Ein Kind in Itete soll gesagt haben, wenn doch nur seine Eltern auch bald stürben, damit es auch in dieses Waisenhaus ziehen könne!
»Ich habe Bruder Samuel nur einmal besucht, aber ich teile diese Begeisterung von SolidarMed für Bruder Samuel einfach nicht«, sagte ich neulich zu Thomas Gass von SolidarMed, als der mich kürzlich für drei Tage besuchte.
»Ich auch nicht. Aber wenn die vom Vorstand den Bruder Samuel besucht haben, sind sie immer ganz hin und weg. Als scheine ihm die Sonne aus dem Arsch. Bruder Samuel ist halt ein Politiker, wie er im Buche steht und weiß, wie man Leuten Honig um den Bart schmiert. Aber ich muss da jetzt einfach mal auf die Bremse treten. Ich habe dieses Mal bemerkt, dass er da nebenbei ohne jede Genehmigung einen Gesundheitsposten betreibt. In dem den ganzen Tag nur ein Laienbruder sitzt. Wenn das auffällt, wird auch SolidarMed damit hineingezogen werden, denn wir unterstützen ihn ja. Und die Gesetze sind da eindeutig. Das geht nicht so weiter. Diesen illegalen Gesundheitsposten muss er schließen und zwar sofort.«
»Hm.«
»Und Tom und Petra (das Architektenehepaar aus Ifakara), haben mir erzählt, dass die Waisenkinder mit den Brüdern in einem Bett schlafen müssen, weil nicht genug Betten da seien. Das finde ich auch nicht so gut.«
Na ja, am nächsten Tag ging es Augustin leidlich.
Und am übernächsten Morgen ging es Augustin immer noch leidlich. Vielleicht war es ja doch richtig gewesen, den Darm einfach nur zu reponieren. Und nicht gleich eine Resektion zu machen.
Am dritten Tag nachmittags bemerkte ich, dass Augustin eine Peritonitis entwickelt hatte. Scheiße. Ich ließ ihn zum OP schieben. Wieder gab Mtandi die Narkose, wieder assistierte mir Lenna. Ich machte einen Längsschnitt. Das eingeklemmte Darmstück war fleckförmig vollständig schwarz. Und auch wenn sich eine längere Strecke erholt hatte, musste ich doch den ganzen Abschnitt resezieren, um die End-zu-End Anastomose an wirklich gesundem Darm anlegen zu können. Aber es war noch kein Eiter im Bauch, es würde noch alles gut gehen. Denn ich bin gut darin, End-zu-End Anastomosen anzulegen. Eine Reihe Einzelknopfnähte, eine fortlaufende Naht. In welcher Reihenfolge spielt keine Rolle. Mal mache ich es so, mal so. Unser PDS Nahtmaterial eignet sich vorzüglich dafür. Und wir haben es in allen Stärken.
Ich ging zufrieden nach Hause, die Naht sah bestens aus, in einer Woche würde der Patient wieder zurück nach Itete gehen können.
Kaum daheim angekommen, wurde ich wieder zum Krankenhaus gerufen. Augustin war tot, auf dem Weg vom OP zur Station hatte er einen Herzstillstand gehabt. Und Mtandi weiß in solchen Situationen ja einfach nicht, was er machen sollte. Er eiert dann einfach nur rum. Wie oft habe ich ihm schon erklärt,