Bei abnehmendem Mond. Jörg M. Pönnighaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg M. Pönnighaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783898968621
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      Lenna lachte. Jessica muss acht Monate schwanger sein, und Lenna ist vielleicht im vierten Monat schwanger.

      Ich ging zum nächsten Bett.

      Ich fragte Lenna später nach dem Ergebnis.

      »Ich habe es nicht geschafft, eine Lumbalpunktion zu machen; aber ich werde jetzt Lothi bitten, mir zu helfen.«

      Bei der Morgenvisite konnte Ngumbuke nur berichten, dass das Kind um Mitternacht gestorben war. Der Liquor war trübe gewesen …

      »in ihren Armen das Kind war tot.«

      Ninashukuru

      [5. August 2006]

      Es ist seltsam, so um halb drei gerufen zu werden. Bei zunehmendem Mond ist es um die Zeit ganz dunkel, du siehst nur die Lichter vom Krankenhaus rechts vor dir. Die Hähne krähen noch nicht, kein Hund bellt, es ist ganz still. Vielleicht siehst du hinauf zum Kreuz des Südens. Und irgendwie hast du eine große Distanz zu dir selbst und du redest dich mit du an statt mit ich.

      Natürlich hoffst du, dass du nur für eine Lappalie gerufen wurdest. Aber du weißt schon, das ist unwahrscheinlich. Wenn du für eine Frau gerufen wurdest, wird es eine Tubenschwangerschaft sein. Und wenn du für einen Mann gerufen wurdest, wird es eine eingeklemmte Hernie sein oder ein akuter Bauch. Und wenn du zur Entbindungsstation musst, dann wird es einen Kaiserschnitt geben. Die Hebammen rufen freilich meist schon das ganze OP-Team und nicht nur den Arzt.

      Du leuchtest mit deiner kleinen Taschenlampe auf den Weg vor dir. Du bist ihn schon mehr als tausend Mal gegangen, aber du könntest trotzdem noch über einen Stein stolpern oder in Gedanken die Abzweigung zum Krankenhaus verpassen.

      Und du fragst dich, was du hier in diesem entlegenen Teil der Welt eigentlich zu suchen hast.

      Es ist seltsam, so um halb drei zum Krankenhaus gerufen zu werden. Zu einer Zeit, wenn sich die Welt irgendwie langsamer dreht. Zu einer Stunde, wenn eigentlich nur Hexen unterwegs sind. Und selbst die scheinen zu schlafen, denn kein Hund bellt, kein Hund jault im Dorf.

      Die Frau war eben erst gebracht worden. Eine junge Frau. Mit Bauchschmerzen. Unterbauchschmerzen. Puls 100. Es würde wohl eine rupturierte Tubenschwangerschaft sein. Was sonst? Die Frau hatte ungefähr fünfzig Perlenschnüre um den Bauch. Die musstest du nach oben schieben, um die Frau untersuchen zu können. Sundi Kulwa hieß sie. Die Perlenschnüre sollen den Männern gefallen beim Bumsen. Außerdem befestigen die Frauen natürlich auch ein Tuch an diesen Schnüren, wenn sie ihre Tage haben.

      Und dann wollte dir Mduda auch noch eine Frau zeigen, die schon am Nachmittag gekommen war. Auch mit Bauchschmerzen. Sie hatten vergessen, sie dir noch am Nachmittag zu zeigen.

      Du schicktest sie beide zum Ultraschall.

      Die junge Frau hatte offensichtlich Blut im Bauch. Du aspirierst ein wenig, einfach um ganz sicher zu sein. Sagst, sie sollen das OP-Team rufen.

      Die etwas ältere hat nur eine Blinddarmentzündung.

      Du wartest auf das OP-Team. Legst dich im Dunkeln auf eine Liege. Wartest. Es ist wieder still draußen. Du hast das Gefühl, du schwebst. So leicht kommst du dir vor. Dann eine Tür. Schritte. Die erste vom OP-Team ist gekommen. Mwahija. Du stehst auf, gehst auch zu den Umkleideräumen.

      »Habari ja usiku.«

      »Nzuri.«

      Du ziehst dich auch um. Lothi kommt, kurz darauf auch Edda. Mduda bringt die Patientin. Lothi leitet die Anästhesie ein. Zügig. Er fackelt nicht lange, vor allem nicht nachts. Kein Getue.

      Längsschnitt. Vielleicht einen Liter Blut abgesaugt. Die Schwangerschaft ist erst pflaumengroß in der rechten Tube. Es ist ganz einfach, sie zu exzidieren. Noch den Bauch ausgewaschen.

      Du sagst, dass sie die nächste Patientin, die mit dem Blinddarm, bringen können.

      Irgendwann kommt Mwachiko mit einer Blutkonserve.

      Es ist alles irgendwie weit weg zu dieser Stunde.

      Die Frau mit dem Blinddarm.

      Halb sechs wieder nach Hause. Es ist immer noch dunkel. Aber die Stimmung hat sich irgendwie verändert. Vielleicht dadurch, dass im Dorf jetzt die Hähne krähen. Aber auch die Dunkelheit selbst scheint anders zu sein. Die Welt hat angefangen sich wieder schneller zu drehen.

      Es ist zu spät noch einmal ins Bett zu gehen. Du bittest Jutta, Kaffee zu kochen. Lottchen kommt vom Klo. Kuschelt sich noch schlaftrunken an dich. Noch ganz warm.

      Später siehst du noch einmal nach den Operierten. Die mit der Tubenschwangerschaft, Sundi, jammert, dass ihr der Bauch wehtue.

      »Das ist so, wenn man operiert wurde«, sagst du.

      Vielleicht hattest du auf ein ›Danke‹ gehofft. Aber die Leute bedanken sich hier nicht. Fast nie. Das ist einfach so.

      Es kommt vielleicht einmal im Jahr vor, dass ein Patient oder eine Patientin »ich danke, ninashukuru« sagt.

      Unser täglich Brot gib uns heute

      [6. August 2006]

      »Sie dürfen nicht aufgeben«, sagte ich zu der jungen Frau. Kristina hieß sie. Sie war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Sie lag im Bett am Fenster links im letzten Zimmer der Kinder- und Frauenstation. »Wir haben jetzt mit der Behandlung angefangen, und nun kann alles gut werden. Die Medikamente werden Ihnen gewiss helfen. Langsam wird es wieder bergauf gehen. Sie dürfen nur nicht aufgeben.«

      Ich pausierte nach jedem Satz, um das Echo meiner Worte in meinem Kopf verklingen zu lassen. Das Echo kam wohl daher, dass ich all dies schon so oft zu AIDS-Patienten gesagt hatte.

      »Wenn Sie sich erst einmal erholt haben, können Sie so lange leben wie jeder andere auch. Wenn Sie später Ihre Medikamente fleißig nehmen. Die müssen Sie freilich Ihr Leben lang nehmen. Aber das müssen Menschen mit Diabetes auch. Und Leute mit Hochdruck. Sie dürfen nur nicht aufgeben. Sie dürfen sich nur nicht gehen lassen. Dann wird alles wieder gut werden.«

      Kristina hörte mir schweigend zu. Sie wog nur noch knapp 20 kg. Ihre alte Mutter stand neben ihrem Bett. Ich wusste nicht, ob meine Worte Kristina erreichten. Vielleicht, vielleicht auch nicht. In ihren tief eingesunkenen Augen konnte ich keine Antwort lesen.

      Kristina kam aus Makugira. Makugira ist ein Dorf gerade am Rand von Malinyi zur rechten Hand der Straße nach Ifakara hin. Zwischen der Straße und dem Furua. Das Land um Makugira herum ist fruchtbar. Der Reis wächst dort hüfthoch, und selbst wenn es nicht genug regnet, reicht es dort am Fluss doch jedes Jahr für eine gute Ernte. Der lehmige Boden hält das Wasser und der Grundwasserspiegel ist hoch.

      Die Hütten stehen dicht gedrängt in Makugira. Um sie herum Mangobäume und Ölpalmen. Und am Rand von Makugira, wo die Reisfelder anfangen, stehen sogar ein Wasserturm und eine Pumpstation. In besseren Zeiten, die nun freilich schon lange her sind, wurden von hier aus Makugira und Malinyi mit fließend Wasser versorgt. Inzwischen sind die Wasserleitungen natürlich längst geklaut worden, und nur an einer Straßenseite in Malinyi sieht man noch Reste von der Wasserversorgung. Diese besseren Zeiten werden wohl auch nie wiederkommen.

      Ich bin schon mehrmals durch Makugira geradelt, wenn ich zur anderen Seite vom Furua wollte. In der Trockenzeit kann man dort durch den Fluss waten, in der Regenzeit lässt man sich von einem Fährmann mit einem großen Einbaum übersetzen.

      »Sie haben ja schon wieder an Gewicht verloren«, sagte ich zu Kristina. »Sie müssen mehr essen. Auch wenn es Ihnen vielleicht nicht schmeckt. Haben Sie Durchfall? Das müssen Sie uns sagen, wir haben jetzt auch Medikamente gegen Durchfall!

      Oder haben Sie Schmerzen beim Schlucken? Dann müssen Sie uns das auch sagen. Wir können Ihnen helfen. Sie dürfen nur nicht aufgeben. Sie können noch lange leben! Haben Sie Kinder?«

      Kristina schwieg.

      Ich wusste, sie hatte ein Kind.

      »Ihr Kind braucht Sie doch noch. Die Medikamente