Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition). Ed Sanders. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ed Sanders
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870998
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Freundinnen der Künstlerszene in der East Side. Aber es machte ja auch soooo viel Spaß, die vielen Geheimnisse des Körpers zu erforschen; und mindestens genauso gern hing sie in Stanley’s Bar, Ecke Zwölfte Straße und Avenue B herum. Es gab auch nie den üblichen Stunk mit ihren neuen Freunden, etwa wenn sie im Lauf der Zeit eifersüchtig oder besitzergreifend wurden. Sie hatte sich nämlich angewöhnt, ständig und auffällig darüber zu sticheln, die Stirn zu runzeln oder Witze zu reißen. Außerdem stellte sie in Bezug auf ihre Freunde schnellstens einen Regelkatalog auf, der ihr einerseits ein ungestörtes Privatleben und andererseits möglichst viel Abwechslung garantierte.

      Louise glaubte an die East Side. In ihrer rebellischen Raserei wäre sie nicht eine Sekunde auf die Idee gekommen, sich von einem Mann, in den sie verliebt war, demütigen zu lassen. Oder gar von einem ihrer Künstlerbrüder, die ja schließlich auf derselben Seite der Barrikaden kämpften wie sie selber.

      Als Louise fast ein Jahr in der East Side wohnte, lernte sie Barton MacIntyre kennen, ebenfalls Maler. Bald hatte sie ihn soweit, dass er ihr seine glühende Liebe gestand, und damit war er in den ziemlich umfangreichen Kreis von jungen Männern aufgenommen, die alle das Gleiche behaupteten.

      Zuerst war sie fasziniert von seiner Energie und offensichtlichen Hingabe an die Kunst. Barton MacIntyre kämpfte zehn bis elf Stunden am Tag für seinen großen Durchbruch — er produzierte Bilder am laufenden Band. Jessas, wie sehnte er sich nach Erfolg! MacIntyre war sechsundzwanzig, breitschultrig und am ganzen Körper behaart. Er war circa ein Meter achtundachtzig groß und brachte ungefähr zweihundertfünfundzwanzig Pfund auf die schwankende Waage. Und wo wir grade bei Haaren sind — Bartons Brust und Arme sahen aus wie eine explodierte Augenwimpernfabrik auf seiner kalkweißen Haut. Im Gesicht dominierten die breite Nase mit ihren gewaltigen Nasenlöchern und ein langer, sorgfältig gepflegter Bart. Seine Mähne fing allerdings bereits an, sich zu lichten.

      Bartons tägliches Outfit bestand aus ausgebeulten braunen Sweet-Orr-Kordhosen und einem sportlichen Jackett. In seiner Jackentasche schleppte er ständig eine Krawatte für Notfälle mit sich herum. Schließlich konnte man nie wissen, ob man nicht plötzlich zu einer wichtigen Besprechung uptown gebeten wurde, Mann, bei der möglicherweise eine Ausstellung oder ein Geschäft raussprang.

      Auf seine Klamotten war er allerdings schon immer sehr bedacht gewesen. Er hatte einen ganzen Schrank voll, fünfzehn blaue Arbeitshemden, fünf oder sechs graue und braune Jacketts, alle aus Baumwolle oder Kordstoff. Der Fußboden war überhäuft mit verschiedenen Schuh- und Mokassinsorten von Abercrombie & Fitch oder aus dem Bean-Katalog. Er war weit davon entfernt, sich dem gerade herrschenden Künstlerstil zu verschließen.

      Louise dagegen liebte langärmelige Blusen mit Bändern, die man an den Ärmeln und am Hals auf- und zubinden konnte. Eines Tages entdeckte sie ein paar Schneiderinnen in der East Side, unter ihnen auch Madame Braznick, die an der Siebten Straße Ost einen Laden für handgearbeitete Tanzstiefel und ukrainische Kleider führte. Als sie die zum ersten Mal sah, flippte sie aus und bestellte mindestens zehn Stück auf einmal; viele waren über und über mit Blumen bestickt.

      Weihnachten, nachdem sie Barton kennengelernt hatte, ließ sie bei Madame Braznick einen langen schwarzen Kosakenmantel für Barton anfertigen. Auf beiden Seiten der Brust waren Patronentaschen aus Stoff eingearbeitet, in denen selbstgemachte, mit Blumen bestickte Hülsen steckten. Barton weigerte sich strikt, das Ding anzuziehen. Noch in derselben Nacht schleppte er es mitsamt Geschenkschachtel rüber in Stanley’s Bar, wo er es seinen Freunden vorführte: wiehernd vor Lachen und verächtlich schnaubend.

      Barton war geradezu süchtig nach Ausstellungseröffnungen. Daher sorgte er dafür, dass er uptown in den Adressenkarteien von so ziemlich allen Galerien und Museen vertreten war. In den frühen sechziger Jahren stürzte er von einer Galerie in die nächste und kriegte auf diese Weise vier oder fünf Vernissagen an einem Abend mit. Für ihn war das Inspiration. Er brauchte so etwas. Die unvergleichlichen Lofts mit ihren kaputten Fensterscheiben, die halbfertige Kunst an den Wänden, die irrationalen Wutanfälle — das alles ließ sich ertragen, wenn nur dieser kleine Kobold mit seiner farbenbeklecksten Baskenmütze da hinten am anderen Ende des Regenbogens ihm eines Tages ein dickes Bündel Scheine in die Hand drücken würde.

      Was es auch immer mit seiner heimlichen Geldgier auf sich hatte, äußerlich achtete er peinlichst darauf, stets das Image gepflegter Wildheit zu verbreiten und gerade das »korrekte« Maß an verrückten Ideen, Drogenmissbrauch, Alkoholismus und vorgetäuschtem Ausflippen zur Schau zu stellen. Sein Ego kam manchmal ganz schön in Wallung. Und das war es auch, womit Louise Adams sich identifizieren konnte.

      Barton sah alles, was er schuf, so ziemlich als das Größte von der Welt an. Er arbeitete übrigens nach der Rahmentheorie. Seine Produktionen wurden als erstes in einen Rahmen gesteckt. Wenn er eine Skizze von irgendetwas zeichnen wollte, machte er vorher einen Entwurf mit verschiedenen Ideen für die Skizze. Dieser Entwurf der Skizze wurde gerahmt, signiert und datiert, genau wie die Skizze selbst. Ob es irgendwelches Gekritzel war oder Telefonnummern, bei Barton MacIntyre wurde alles gerahmt. Bald hatte er die Wohnung seiner Mutter in Riverdale in ein einziges Lager von Bilderrahmen verwandelt.

      Eine Serie von Arbeiten gab es allerdings, die warf sogar er weg — und zwar die Blätter, auf denen er geübt hatte, seine Unterschrift zu verbessern. Das Hauptproblem war, dass er insgeheim davon überzeugt war, dass man mit dem Namen MacIntyre niemals einen wirklich großen Treffer in der Kunstszene von New York landen könnte. Lange grübelte er darüber nach, wie er sich anders, sagen wir mal, erfolgreicher nennen könnte; zum Beispiel schwebte ihm einer vor, der auf einen Vokal endete. Aber zum Schluss beschloss er, doch bei dem alten Namen zu bleiben, und zwar nach folgender Überlegung: Teufel noch mal, ich steh sowieso kurz vorm Durchbruch. Ich bin sozusagen der bekannteste Maler in der ganzen Szene, also kann ich den Erfolg auch genauso gut als MacIntyre genießen.

      Dann verbrachte er noch ungefähr ein Jahr lang damit, seine Signatur zu verbessern. Er wollte, dass sie so cool und individuell wirkte wie die von Picasso, Braque, Dalí oder Miró. Seit seinen Highschool-Tagen verwendete er schon die Unterschrift Barton MacIntyre II. Aber er hasste ihren Anblick, weil sie sich seit seinem Abschlussjahr überhaupt nicht mehr verändert hatte.

      Zuerst ließ er das II weg. Auch nicht viel besser. Wenn er doch bloß aus dem »MacIntyre« selbst ein Kunstwerk machen könnte, wäre er der glücklichste Mann auf der ganzen Welt. So kam es, dass er wochenlang mindestens fünfzigmal am Tag seinen Familiennamen krakelte oder malte. Dabei konsultierte er dicke Walzer über Handschriften- und Persönlichkeitsmerkmale, die damals gerade im Schwange waren, und war ganz entsetzt, als er las, was die Analyse seiner derzeitigen Unterschriftsmethode über seine Persönlichkeit verriet. Daraufhin änderte er sie drastisch. Schließlich blieb er bei einer schwungvoll-verschnörkelten Signatur, die er mit verbundenen Augen hinkriegte. »Eleganter als Braque, energischer als Picasso«, stellte er zufrieden fest.

      Er mietete eine seiner Meinung nach traumhafte Wohnung, ein sogenanntes »Schachtel«-Apartment mit vier Zimmern, die sich vom Eingangsflur aus nach verschiedenen Richtungen öffneten. Das war ein bedeutender Vorteil gegenüber den »Eisenbahn«-Wohnungen, wo man immer erst durch alle anderen Zimmer latschen musste, wenn man ins letzte wollte, und die überhaupt keine Spur von Privatleben zuließen. Er war überglücklich. Er kam an die Wohnung, als sein Vormieter, ein Rentner aus Lettland, von seinen Angehörigen abtransportiert und in eine der vielen sogenannten »zauberhaften Rentnerfreizeit-Kolonien« verfrachtet wurde.

      Barton fand es »irre«, das ganze Apartment genau so zu lassen, wie es war. Der Alte musste ein Kachelfreak gewesen sein. Das gesamte Badezimmer — Fußboden, Decke und Wände — war mit 5 cm großen, pastellfarbenen Keramikkacheln gepflastert. Und nicht nur das, auch in Schlaf- und Wohnzimmer waren Decke und Fußböden völlig damit verkleistert. Barton ließ die Möbel des Alten stehen und räumte nur das Zimmer mit dem Blick auf den Tompkins Square Park. Ein ganzer Haufen Bilder wurde davon inspiriert, dass Barton in den Park hinunterstarrte und sich vorstellte, wie sabbernde Dinosaurier es da unten im wabernden Nebel miteinander trieben.

      Trotz alledem betrachtete Barton seine Tompkins-Square-Bude eigentlich nur als vorübergehende Unannehmlichkeit, die er auf dem Weg zum Erfolg nun mal auf sich nehmen