Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition). Ed Sanders. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ed Sanders
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870998
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wegen einer blöden Unterhose.

      Dass er keine Unterhosen trug, störte die meisten Frauen. Schließlich schrieben wir erst 1961. Es ging ja noch, dass seine Bude an der Dritten Straße, einen Viertelstundenmarsch vom Washington Square entfernt, wahrscheinlich ein für allemal einen Rekord für verschissene Rattenlöcher aufstellte. Eins der Schlafzimmer hatte er »Müllzimmer« getauft: Im Verlauf von einem Jahr stapelten sich hier von der Fußleiste bis zur Decke unzählige volle braune Mülltüten. Ratten begingen reihenweise Selbstmord bei dem Versuch, vom Dachsims des gegenüberliegenden Gebäudes ins Müllzimmer zu hechten. Und es war auch nichts dagegen einzuwenden, dass seine Baskenmütze mit Vogelscheiße imprägniert war, dass er die Jeans offenbar schon monatelang hintereinander anhatte oder dass seine Tennisschuhe nur noch ein Flickwerk aus Tesafilm waren, das er mit Wäscheleinen am Auseinanderfallen zu hindern versuchte. Wenn es aber mal so weit kam, dass seine Jeans fielen (ahhhhh) und die Unterhose fehlte, dann packte die Mädels der Schock. Dazu kamen noch andere Probleme, zum Beispiel gewisse Tätowierungen im Genitalbereich, Zitate von Verlaine, deren detaillierte Beschreibung wir lieber stillschweigend übergehen. Wir beschränken uns auf die junge Dame aus Forest Hills, die, als er vorigen Abend aus den Hosen gestiegen war und im Halbdunkel vor ihr stand, sich plötzlich mit seinem erigierten Schwanz konfrontiert sah, der kunstvoll und rosig mit den Worten »Oh! Je serais celui-là qui creera Dieu!« verziert war. Sie flüchtete.

      Die Folksong-Demonstration entzündete sich an einem völlig willkürlichen Beschluss der Parkaufsichtsbehörde von New York, namentlich ihres Leiters Newbold Morris. Dieser Typ hatte in letzter Zeit starken Anstoß genommen an den »widerwärtigen Zuständen im Park, vor allem Sonntags, an denen nur diese herumstreunenden Troubadoure und ihre Gefolgschaft schuld sind«, wie er sich auszudrücken beliebte. Die Folge war, dass die Polizei ab sofort jegliches Gedudel untersagte, obwohl es seit siebzehn Jahren Brauch war, dass die Musiker sich während der warmen Jahreszeit jedes Wochenende hier versammelten.

      Während der ganzen Woche vor der Demonstration hatten sich die Folksänger um offizielle Genehmigungen zum Jodeln / Singen / Klimpern bemüht, waren aber alle abgeblitzt. Perfekte Bedingungen also, um mal so richtig auf den Putz zu hauen. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass alle Voraussetzungen so günstig sind, dass die Demonstranten sich absolut im Recht fühlen konnten. Zwei Ziele verfolgten sie, als sie sich verzweifelt und unglücklich in dem rauhen, sandigen Betonbecken zusammendrängten: erstens die Verteidigung ihrer eigenen, gesetzlosen Kick-Zone und zweitens die Durchsetzung ihrer Musik jenseits aller Gesetze. Einem ungerechten Gesetz zu trotzen, oh yeah, das allein war schon der totale Hit!

      Johnny sah sich um und bemerkte, dass es mittlerweile in dem großen runden Brunnen und in den Laubengängen drum herum von potenziellen Jodelkünstlern wimmelte, zusammengetrommelt von aufrührerischen Geheimbotschaften, die irgendwelche radikale Beatnikzellen verschlüsselt in die Medien geschmuggelt hatten, und bis zum Äußersten gespannt und bereit, getreu ihrer obersten Maxime jeden Schmerz zu ertragen.

      Die Reporter der New Yorker Zeitungen rückten scharenweise an und notierten in ihren Stenoblöcken pflichtgemäß vor allem den »kaputten« Anblick, den die Musikerhorde bot — mit anderen Worten, ein gefährliches Übermaß an Sandalen, langen Haaren, Barten und verwegen glitzernden Augen. Der New York Mirror schmückte sogar seine Titelseite mit der Demonstration: 5000 BEATNIKS REBELLIEREN IM VILLAGE. Als Johnny Filth die Schlagzeile später sah, fiel er vor Demogasmus beinah in Ohnmacht.

      Und dann ging’s los. Innerhalb einer halben Stunde hatte Johnny the Foot den wichtigsten Grundsatz beim Agitieren schon kapiert. Die Regel hieß nämlich nicht, wie er immer geglaubt hatte: »Im Zweifelsfall hilft nur Krawall«, sondern: »Es reichen schon ein paar.« Ein elektrischer Schauer schien durch die Masse zu zucken, als der harte Kern — »ein Trupp von fünfzig Leuten, viele im Beatnik-Outfit und mit Bärten«, wie die New York Times spöttelte, angefeuert von linksgerichteten Folkloristen und prominenten Schriftstellern — sich in Bewegung setzte und von der südwestlichen Spitze des Parks (McDougal und Vierte Straße West) in geschlossener Dudelformation auf den restlichen Musikerhaufen zumarschierte, der noch auf Inspiration wartete.

      Das Rudel bärtiger Banjoboys und »Mädels mit langen Haaren und Gitarren« (The New York Times) am Brunnen schnappte über. Leute, die normalerweise völlig friedlich waren und ihre Jacken stolz mit Abzeichen der Bronx-Folksängergemeinde geschmückt hatten, gerieten in Rage. Der harte Kern führte Transparente mit, die den Aufstand geschickt rechtfertigten: MUSIK ZÄHMT DIE WILDESTEN BESTIEN hieß es da, und WIR WOLLEN WEITER MACHEN, WAS WIR SCHON IMMER GEMACHT HABEN.

      Filth Feets Stimmung hob sich merklich. Seine lange verdrängte Fähigkeit zum Fantasieren brach voll durch und einen Augenblick später hatte er die ersten Halluzinationen. Auf seinem unsichtbaren Bildschirm flackerten Visionen von endlosen Beat-Trupps, die mit glasigen Augen einstimmig Zen-Koane sangen. Sie begruben alle Barrikaden, Steinmauern und Straßensperren unter sich. Sie marschierten und kämpften für ihr heiliges Ziel: ein Bart in jedem zweiten Gesicht, ein Gedicht auf allen Lippen und genug Kohle für alle.

      Der harte Kern erreichte jetzt den Brunnen und fing an, zu jodeln, zu klimpern, zu zupfen und zu flöten. Die Sänger unterlegten ihre Stimmen mit einem revolutionären Appalachen-Akzent. Plötzlich stieg eine Zitherspielerin mit geradezu unverschämt langen Haaren auf ein wackliges Podest aus leeren Gitarrenkästen und intonierte We Shall Overcome — viel weiter kam sie auch gar nicht mit ihrem Song, denn augenblicklich war sie von Polizisten umzingelt, die sie am Weitersingen hinderten. Sie zupfte gerade den A-Septimenakkord auf ihrer Zither, als sie sie herunterschubsten, boing! Die Kästen flogen auseinander und einer von ihnen traf prompt Johnnys schmerzenden Katerkopf.

      Als die Bullen die Frau wegzerrten, fiel ihre Zither auf die Erde und gab ein atonales Durcheinander von Echos und Nachhall von sich. In Johnnys Mundwinkeln bildete sich Schaum.

      Nachdem die Sängerin abtransportiert war, füllte ein hagerer junger Mann die Führungslücke, ein Mitglied aus der Bronx-Folksängergemeinde. Er trat nach vorn und klimperte lässig auf seinem Banjo herum. »Dreht dem Kerl das Banjo ab!«, bellte ein Polizeikäpt’n über Lautsprecher zu Sergeant Mokier vom Dezernat für elitäres Gesocks. Die Bullen stürzten sich auf das einsame Banjo. Johnnys Hirn produzierte rachsüchtige Wahnvorstellungen. Der Banjospieler war nur fünf Schritte von ihm entfernt und er sah die Bullen mit erhobenen Schlagstöcken auf sich zustürmen. Der kleine Schlagabtausch endete mit der triumphalsten Eroberung der ganzen Folksong-Demonstration: Sie eroberten einen Gummiknüppel! Einen Moment schwebte er in der Luft, bereit zum Zuschlagen, als der Banjospieler sich blitzschnell duckte und dabei — wohlgemerkt — keine einzige Note von Down by the Riverside ausließ. Dann knallte er auf den Rand vom Springbrunnen und verpasste dabei dem Officer ein paar schmerzlich-vibrierende Schläge auf die Hand. Plötzlich tanzte er auf der Wasseroberfläche herum — geistesgegenwärtig stürzte der Folksänger aus der Bronx hin, warf die Beute in seinen Banjokasten und rannte, immer noch klimpernd, davon.

      Als das passierte, setzte Johnnys Gehirn kurzfristig aus. Schnitt: Halloween ’55. Streifenwagen der Bundespolizei treffen in der aufgeregten Dorfgemeinde ein, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Rotierende Scheinwerfer auf den Autodächern markieren eine Kreuzung. Grell flackert das Feuer im geplünderten Dorfladen. Zwei große Windmotortürme aus Metall sind von einem dichten Ring geklauter Holzverschläge umgeben. Der Fahrradständer aus der Grundschule hängt quer über einem Turm. Sechs umgestürzte Buicks und Oldsmobiles liegen in einer perfekten Anordnung von zwei parallelen Reihen auf jeder Seite der Holzverschlags-Windmotorkonstruktion vor Gomells Shop und der Farmers State Bank. Das ist die reinste Form von Umweltkunst, die es überhaupt geben kann, dachte Johnny, als er nach Luft schnappend auf dem Dach eines nahe gelegenen Holzschuppens stand und liebevoll seine Schöpfung betrachtete. Für dieses Meisterwerk hatten er und seine Freunde volle sechs Stunden gebraucht.

      Aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Punks da unten noch eins auszuwischen, sprang mit einem Satz von Dach und sprintete auf die Eisenbahngleise zu. »Da ist er!«, brüllten die Bullen. Dann ein scharfer Knall und noch einer gleich hinterher. Sie haben auf mich geschossen! Eine Viertelmeile rannte er die dunklen Schienen entlang und versteckte sich dann in Samsons Obstgarten, selig und übermütig kichernd, während