„[E]in System propositionaler Einstellungen [wie etwa Überzeugungen, Wünsche und Absichten] […] muss unausweichlich an dem Versuch scheitern, einzufangen, was hier abläuft, obwohl es gerade genug oberflächliche Strukturen reflektieren mag, um eine der Alchemie ähnliche Tradition bei Leuten zu erhalten, denen es an einer besseren Theorie mangelt. Aus der Perspektive der neueren Theorie [d.h. der Neurowissenschaft] ist es jedoch offenkundig, dass es einfach keine gesetzesmäßigen Zustände der Art gibt, wie sie die Alltagspsychologie postuliert. Die wirklichen Gesetze, die unsere internen Aktivitäten leiten, werden über andere und viel komplexere kinematische Zustände und Konfigurationen [wie neuronale Gehirnzustände] definiert.“7
Dementsprechend präsentieren viele neuere Vorstöße in der Neurowissenschaft Erklärungen menschlichen Verhaltens, die auf einer Beschreibungsebene deutlich unterhalb der intentionalen Ebene angesiedelt sind.8 Wie Helen Steward, eine Verteidigerin des freien Willens, die diese Herausforderung anerkennt, feststellt, sehen wir uns mit einer „zunehmend großen Menge von empirischen Belegen“ konfrontiert, „welche die Erklärung eines immer größer werdenden Anteils der Dinge, die menschliche Akteure tun, auf subpersonale Phänomene wie etwa den Hormonspiegel oder neuronal basierte Veranlagungen zurückführen.“9 Die neuere Wissenschaft deutet beispielsweise darauf hin, dass „Dopamin impulsives Verhalten bestimmt“10, dass Gene unsere politische Orientierung beeinflussen, ob wir z. B. liberal oder konservativ sind11, und dass die Risikobereitschaft bei Teenagern auf bestimmte Gehirnstrukturen zurückgeführt werden kann (nämlich auf „die größere Konnektivität zwischen der Amygdala […] und dem rechten Gyrus frontalis medius, dem linken Gyrus cinguli, dem linken Precuneus und dem rechten Lobulus parietalis inferior“12). Außerdem legt die moralpsychologische Forschung nahe, dass die Antwort auf die Frage, ob eine Person auf moralische Dilemmata auf eine eher kantische oder konsequenzialistische Weise reagiert, davon abhängt, in welchem Maße diese Dilemmata eine mit emotionalem Engagement verknüpfte Gehirntätigkeit auslösen.13 Zu welchen moralischen Schlussfolgerungen eine Person gelangt, könnte also tatsächlich in sehr viel stärkerem Maße auf subintentionale Gehirnvorgänge zurückzuführen sein als auf höherstufige kognitive Prozesse. Und die Verhaltensökonomie weist darauf hin, dass ein Gutteil menschlicher Entscheidungsfindung instinktiv, unbewusst und „schnell“ abläuft, im Gegensatz zu den „langsamen“, bewussten und abwägenden Überlegungsprozessen, um die Terminologie des Psychologen Daniel Kahneman zu gebrauchen, der zwischen „schnellen“ und „langsamen“ Denkweisen unterscheidet.14
Wenn diese Entwicklungen für die Zukunft der Verhaltens- und Sozialwissenschaften repräsentativ sind, könnte die Alltagspsychologie durchaus demselben Schicksal entgegengehen wie andere „Alltagstheorien“, z. B. die der Physik, Biologie und Medizin, jene informellen, vorwissenschaftlichen Glaubenssysteme, welche die Menschen in ihrer alltäglichen Auseinandersetzung mit physikalischen, biologischen und medizinischen Fragen gewohnheitsmäßig entwickelten.15 Diese Alltagstheorien waren alle bis zu einem gewissen Punkt nützlich, sie wurden aber schließlich durch ganz andere und wissenschaftlichere Nachfolgetheorien ersetzt. Von den Begriffen der ursprünglichen Alltagstheorien auf diesen anderen Gebieten – sei es in der Physik, der Biologie oder der Medizin – blieben nur wenige erhalten, sobald wir ein besseres Verständnis der wahren Struktur der Wirklichkeit hatten. Und die Common-Sense-Psychologie mit ihrem zentralen Begriff des intentionalen Handelns könnte durchaus eine weitere Alltagstheorie sein, die vor dem Aus steht.
Nun könnte man sagen, diese Art von radikalem Materialismus sei zu extrem. Eine vernünftigere These wäre, dass die Common-Sense-Psychologie nicht in einem strikten Sinne falsch sei, sondern nur keine hinreichend fundamentalen Erklärungen der vorliegenden Phänomene liefere, und dass die Verhaltenserklärungen in der Begrifflichkeit intentionalen Handelns sich letztlich als überflüssig erweisen werden. Diesem Bilde zufolge wird die Common-Sense-Psychologie auf etwas Grundlegenderes reduziert werden, wobei sich wiederum die Neurowissenschaft als die naheliegende Kandidatin anbietet. Es mag also nicht im engeren Sinne falsch sein, Personen Überzeugungen, Wünsche und Absichten zuzuschreiben, es handelt sich bei diesen Zuschreibungen jedoch nur um abgekürzte Beschreibungen für grundlegendere neurophysiologische Eigenschaften der zugrundeliegenden Gehirne und Körper.
Nach dieser weniger extremen Form des Materialismus, den die Philosophen „reduktiven Materialismus“ nennen, im Gegensatz zum „eliminativen Materialismus“, ist der springende Punkt nicht, dass das Phänomen des intentionalen Handelns überhaupt nicht existiert, sondern dass die Rede von intentionalem Handeln streng genommen nicht notwendig ist, weil sie vollständig in die Rede von Gehirnvorgängen übersetzt werden kann; und zwar in derselben Weise, in der Aussagen über die Temperatur von Wasser vollständig in Aussagen über die mittlere kinetische Energie von Wassermolekülen übersetzt werden können. Einer solchen Ansicht nach ist es uns zwar freigestellt zu sagen, dass es neben und außer den zugrundeliegenden Gehirnvorgängen auch intentionales Handeln gibt. Die Einführung des Begriffs des intentionalen Handelns in unser Begriffsrepertoire ist jedoch nichts, wozu uns die Wissenschaft verpflichtet. Damit stünde der freie Wille erneut auf brüchigem Boden. Er wäre von etwas abhängig, das sich wegreduzieren ließe: ein Relikt einer überholten Weise, die Welt zu verstehen, die durch etwas Grundlegenderes ersetzt werden kann. Die Rede von Handeln wäre nicht ganz falsch, aber doch etwas unnötig Barockes.
Gewiss, es gäbe noch sehr viel mehr über die hier beschriebenen Formen des Materialismus zu sagen. Aber für den Moment beschränke ich mich auf die Feststellung, dass sie das für unseren Begriff der Willensfreiheit so zentrale Bild vom Menschen als intentionalem Akteur unter Druck setzen. Wenden wir uns nun aber der zweiten Herausforderung zu, die auf die zweite Bedingung für einen freien Willen abzielt, die Bedingung alternativer Möglichkeiten.
Die Herausforderung des Determinismus
Sie ist vielleicht die meistdiskutierte Herausforderung für den freien Willen.16 Die Wissenschaft, speziell in der Form, die auf die Aufklärung zurückgeht, wird oft mit der These verknüpft, dass die Welt „deterministisch“ sei. Sie besagt, dass die Welt durch mechanische Naturgesetze beherrscht werde, gemäß derer die Vergangenheit die Zukunft vollständig bestimme. Ist der Anfangszustand der Welt gegeben, sagen wir, ihr Zustand zu Anbeginn der Zeit, so laufen alle nachfolgenden Ereignisse in einer unveränderlichen Folge ab, und zwar aufgrund der zugrundeliegenden Naturgesetze. Das folgende Argument fasst die sich daraus ergebende Herausforderung für die Willensfreiheit zusammen, indem es abermals eine skeptische Schlussfolgerung aus zwei Prämissen ableitet:
Prämisse 1: Der freie Wille erfordert alternative Möglichkeiten (zwischen denen der Handelnde wählen kann).
Prämisse 2: Wenn die Welt deterministisch ist, d.h. wenn die Vergangenheit die Zukunft vollständig determiniert, gibt es niemals alternative Möglichkeiten: Alle Handlungen sind vorherbestimmt.
Die erste Prämisse ist eine Wiedergabe unserer zweiten Bedingung für den freien Willen. Die zweite Prämisse bringt eine scheinbar direkte Folge des Determinismus zum Ausdruck. Gemeinsam führen sie zu der folgenden Konklusion:17
Konklusion: Wenn die Welt deterministisch ist, dann gibt es keinen freien Willen.
Man beachte, dass diese Konklusion, anders als die Folgerung aus dem zuvor betrachteten Argument des radikalen Materialismus, eine konditionale ist. Sie besagt nicht, dass es keinen freien Willen gibt, sondern dass es dann keinen freien Willen gibt, wenn die Welt deterministisch ist.
Um dieses Argument beurteilen zu können, muss ich etwas mehr zu der Idee des Determinismus sagen. Wie schon beschrieben, ist der Determinismus die These, dass die Geschichte der Welt zu jedem gegebenen Zeitpunkt nur eine einzige mögliche Fortsetzung hat. Wir können dies als eine These bezüglich des einschränkenden oder „starren“ Charakters der Naturgesetze auffassen. In einer deterministischen Welt erlauben die Naturgesetze bei gegebener Vorgeschichte zu jedem Zeitpunkt nur einen einzigen möglichen Ereignisverlauf in der Zukunft. Es könnte niemals passieren, dass sich bei einer bestimmten Vergangenheit die Zukunft auf mehrere mögliche Weisen entfalten könnte.
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