Literatur: Hans-Ulrich Thamer: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945. [Siedler Deutsche Geschichte, Reihe: Die Deutschen und ihre Nation, (Bd. V)], Berlin 1994; Ursula Büttner: Weimar – Die überforderte Republik. 1918–1833. Stuttgart 2008
Gegenbewegungen vor der Machtübernahme
Die Bayerische Volkspartei
Schon aus weltanschaulichen Gründen ergaben sich bei Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Katholiken, Liberalen und Demokraten die vielen Reibungspunkte zur NSDAP. In Bayern, dem ersten Land nationalsozialistischer Agitation, traf dies auch auf die regierende Bayerische Volkspartei zu. Diese im November 1918 im Streit um Zentralismus und Länderhoheit aus dem Zentrum hervorgegangene Partei hatte ein konservativ-föderalistisches Programm auf der Grundlage des katholischen Glaubens. Mit den Sozialdemokraten zusammen bildete sie nach Beendigung der Räterepublik eine Regierung. Die BVP war lange stärkste Partei in Bayern und die stärkste deutsche Regionalpartei; von 1925 bis 1932 gehörte sie auch den Koalitionen an, die jeweils die Reichsregierung trugen. Die Schnittmengen mit der NSDAP waren also eher klein; einig war man sich gewiss in der Ablehnung des linken Spektrums, und beide Parteien waren gegen die Weimarer Verfassung eingestellt, doch die Alternativen, die sich die zur Monarchie und zu mehr Selbständigkeit tendierende BVP und die NSDAP vorstellten, waren höchst unterschiedlich. Dennoch kämpften sie zum Teil um dieselben Wählerstimmen.
Bei der Niederschlagung des Hitlerputsches war besonders die Entschlossenheit zweier bayerischer Minister der BVP von Bedeutung: Innenminister Franz Schweyer, der die Polizei gegen die Putschisten einsetzte, und Kultusminister Franz Matt (1860–1929), der folgenden Aufruf an die Bevölkerung richtete:
Bekanntmachung.
Durch einen Putsch Hitler-Ludendorff wurde die verfassungsmäßige Regierung für abgesetzt erklärt. Die verfassungsmäßige Regierung besteht weiter. Sie fordert die gesamte Beamtenschaft, die Polizei und das bayer[ische] Kontingent der Reichswehr auf, ihrer verfassungsmäßigen Regierung treu zu bleiben und den Revolutionären den Dienst zu verweigern. Wer dem entgegenhandelt, wird als Hochverräter betrachtet. Die Regierung erwartet, daß das bayer[ische] Volk in Stadt und Land dem Preußen Ludendorff und seinem Anhang, der es unternommen hat, unser bayerisches und deutsches Volk in namenloses Unglück zu führen, die Gefolgschaft versagen wird. Weitere Bekanntmachungen werden erfolgen.
Den 9. November 1923.
Für das verfassungsmäßige Gesamtministerium:
Gez. Dr. Matt
Zit. nach: Lydia Schmidt: Franz Matt, S. 77f., Anm. 291
Der Versuch, durch seinen Aufruf gegen den »Preußen Ludendorff« die Stimmung der Bevölkerung gegen die Putschisten zu wenden, funktionierte.4 Schweyer versuchte auch, Hitlers Begnadigung nach seiner kurzen Haft in Landsberg zu verhindern, und verhängte ein Redeverbot gegen Hitler in Bayern, das bis 1927 in Kraft blieb. So kam noch bei der Reichstagswahl im Juli 1932 eine Mehrheit für die demokratischen Parteien in Bayern zustande. Dem Ermächtigungsgesetz stimmten die BVP-Abgeordneten im Reichstag allerdings zu. Zur Verhinderung der Gleichschaltung wurden noch der Austritt Bayerns aus dem Reich bzw. die Wiedereinführung der Monarchie unter Kronprinz Ruprecht erwogen. Die Monarchisten wurden dabei von dem jüdischen Herausgeber der »Münchner Neuesten Nachrichten«, Nikolaus Paul Cossman (1869–1942), unterstützt. Doch kamen ihre Überlegungen zu spät. Bayern wurde als letztes deutsches Reichsland am 8./9. März gleichgeschaltet. Die BVP löste sich unter dem Druck der NSDAP im Juli 1933 selbst auf.
Literatur: Karl Sommer: Beiträge zur Bayerischen und Deutschen Geschichte in der Zeit von 1910 bis 1933. Privatdruck Kreuth 1981; Lydia Schmidt: Kultusminister Franz Matt (1920–1926): Schul-, Kirchen- und Kunstpolitik in Bayern nach dem Umbruch von 1918. [Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte] München 2000; Peter Claus Hartmann: Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute. Regensburg 22004
Franz Schweyer
Zu den frühen Kritikern der NSDAP gehörte der BVP-Politiker und bayerische Innenminister Franz Schweyer. Er wurde 1868 in Osterzell (Schwaben) geboren, studierte Rechtswissenschaften und war anschließend im bayerischen Verwaltungsdienst tätig. Er war Mitglied der BVP, machte aber als Verwaltungsfachmann Karriere, nicht als Parteimitglied. 1921 wurde er bayerischer Innenminister und sorgte 1923 für die Niederschlagung des Hitler-Putsches. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung verfasste er ein Buch über »Politische Geheimverbände«, unter denen er Gemeinschaften verstand, die »irgend eine für ihre Beurteilung entscheidend ins Gewicht fallende Einrichtung oder Eigenschaft der zuständigen Staatsbehörde oder der Öffentlichkeit tatsächlich planmäßig vorenthält«.5 Darin beschreibt Schweyer 27 größere und kleinere Vereinigungen gesellschaftlicher, politischer und krimineller Art aus Europa und Amerika mit dem Schwerpunkt auf Deutschland. Hinter den Freimaurern nehmen darin die Nationalsozialisten6 und die Bolschewisten den größten Raum ein. Er beklagt die Brutalität der Nationalsozialisten gegenüber Andersdenkenden, besonders Juden, Sozialdemokraten und Marxisten, wirft Hitler Charakterschwäche, Größenwahn und Hemmungslosigkeit vor, Demokratie- und Staatsfeindlichkeit, und besonders – daher die Aufnahme in das Buch – Unehrlichkeit. Schweyer beschreibt die Auseinandersetzungen Hitlers mit der bayerischen Staatsregierung. Er zeigt den Strategiewandel der Partei von den Umsturzplänen hin zur scheinbaren Integration in die Verfassung auf, thematisiert die Lüge vom Sozialismus im Parteinamen, kritisiert die Föderalismusfeindlichkeit der NSDAP und wendet sich selbst gegen jede Diktatur von rechts oder links. Die Nationalsozialisten seien Feinde des Katholizismus und des Christentums im Allgemeinen. Sie verstünden darunter nichts anderes als Antisemitismus und wollten es durch eine germanische Religion ersetzen und wie die Faschisten die Nation zum Gott erheben. Über die jüngste Entwicklung seit Hitlers Haftentlassung aus Landsberg schreibt Schweyer:
Von besonderem Interesse sind die Bestimmungen über die Sturmabteilungen (S.A.). Hierüber ist verfügt: »Die Neubildung der S.A. erfolgt nach den Grundlagen, die bis zum Februar 1923 maßgebend waren. Ihre Organisation hat dem Vereinsgesetze zu entsprechen. Bewaffnete Gruppen und Verbände sind von der Aufnahme ausgeschlossen. Die Abteilung, die gegen die Anordnung der Leitung öffentliche Umzüge veranstaltet oder sich an solchen beteiligt, wird sofort aufgelöst. Die Führer werden aus der S.A. und der Partei ausgeschlossen.« Hiernach behält sich die Leitung der Partei vor, ihrerseits über das Tragen von Waffen und die Veranstaltung von Umzügen das Geeignete zu bestimmen. Bewaffnung und Veranstaltung sollten hiernach nicht ausgeschlossen, sondern nur der Verfügung der Leitung vorbehalten sein. Die Vorschriften erwecken den Anschein einer den Anforderungen des Staates Rechnung tragenden Regelung; bei näherem Zusehen enthalten sie in versteckter Weise die Aufrechthaltung der ganzen früheren Organisation, vor allem auch der Sturmabteilungen und sonstiger Einrichtungen der Partei. Alle diese Einrichtungen werden nur noch strammer als bisher der zentralen Leitung,