„Ist jemand im Hof?“
„Kieler. Er steht auf der Planke.“
„Dann könnten wir jetzt doch nicht fortkommen. Es hat zu lange gedauert.“
„Ja. Aber das kann ich dir sagen, wenn die Tasche erst mal in meiner Hand ist, finde ich für das andere auch noch einen Weg. Verdammt, wo mag sie nur sein?“
Als Ben Warthon sich bewegte, gab Lola dem Spieler ein Zeichen. Doch dann lag der Junge wieder ruhig.
Plötzlich erwachte Tom Calhoun. Er wollte sich aufrichten, sank aber mit einem unterdrückten Stöhnen auf sein Lager zurück.
Cory ging mit harten Schritten auf ihn zu. Ein breites Grinsen saß wie festgefroren m seinem Gesicht.
Tom Calhoun blickte dem Spieler entgegen.
„Ja, so ist das nun“, sagte Cory und lachte leise.
„Sie wollen doch etwas, Cory?“
„Ich? Nein. Wie kommen Sie darauf? Wie der Kutscher sagte, geht heute die Reise nach Shelton Falls weiter. Ob Sie können oder nicht.“
„Vielleicht müssten Sie dann mit Miss Starr allein fahren, Cory.“
Corys Gesicht wurde schlagartig ernst.
„Was?“
„Das wäre doch eine ideale Lösung. Sie wären davor bewahrt, ein Bandit zu werden, oder aber ein sehr schnelles Ende zu finden. Wie Sie sagten, wollen Sie aber weiter nichts, als nach Shelton Falls kommen.“
„Genauso ist es. Inzwischen hat sich aber einiges geändert, Calhoun. Sie sind zu schwach, um allein den Gefangenen und dazu das viele Geld durchbringen zu können.“
„Meinen Sie?“
„Ja, Calhoun. Ich bin ein Freund von Gerechtigkeit. Ich weiß, dass Sie es nicht glauben. Aber ich werde Ihnen unter allen Umständen helfen. Einmal, und wenn es erst in Shelton Falls ist, werden Sie wissen, dass Sie mir dankbar sein müssen.“
„Großartig, Cory. Das finde ich wunderbar. Demnach haben Sie also die Tasche nicht gefunden.“
„Was?“
„Die Tasche. Ich habe sie versteckt. Mir ist es, als würde es eine Vorsehung geben, an die ich mein Leben lang nicht glauben wollte.“
„Sagten Sie Vorsehung?“
„Ja, Cory. Das sagte ich. Sie ließ mich die Tasche im richtigen Augenblick verstecken. Helfen Sie mir?“
Cory griff nach Toms ausgestreckter Hand und zog ihn in die Höhe. Er blickte in Tom Calhouns verkrampftes Gesicht, und als er ihn losließ, musste Tom Halt suchend nach dem Bettrand greifen.
„Irgend jemand muss sich um Sie kümmern.“
„Das ist wirklich nett von Ihnen. Cory. Ich kann nur hoffen, dass ich Ihre Aufopferung nicht eines Tages mit einer Kugel bezahlen muss. Vielleicht könnten Sie mir noch weiter helfen. Allein werde ich es kaum schaffen.“
Cory griff ihm unter die Achsel und stützte ihn so. Gemeinsam gingen sie durch den Stationsraum und verließen ihn. Im Hof blieb der Spieler stehen.
„Wir müssen dorthin“, sagte Tom und zeigte mit der ausgestreckten Hand zur Stallecke hinüber.
Cory half ihm weiter, während das Blut in seinen Adern zu kochen schien,
Hinter der Stallecke blieb Tom Calhoun stehen und lehnte sich gegen die Wand. Sein Blick ruhte auf der angefaulten Regentonne, von der die Eisenreifen abgefallen waren.
„Cory, holen Sie die Tasche heraus.“
Mit hölzernen Schritten ging Cory zu der Tonne und griff hinein. Seine Hand lag auf der mit den Riemen fest umschlungenen Satteltasche. Tausend Gedanken durchrasten den Kopf des Spielers.
„Geben Sie her!“, sagte Tom scharf. „Danke, Cory. Sie scheinen doch ein feiner Kerl zu sein.“
„Das versuche ich Ihnen schon sehr lange zu erklären“, gab Cory mit belegter Stimme zurück.
„Dann kommen Sie her und helfen Sie mir zurück!“
Tom Calhoun stützend, ging der Spieler mit ihm zum Haus zurück.
„Danke!“, sagte Tom noch einmal, als sie im Stationshaus neben dem großen Tisch standen. Er warf die Tasche darauf und hielt sich an der Kante des Tisches fest. Er sah das Tanzmädchen, das nähergekommen war und sich an einem Pfosten lehnte.
Sam Cory blickte sie an und zuckte die Schultern, was Tom Calhoun aus den Augenwinkeln sah.
„Ich hatte mir gedacht, dass Sie die Tasche dort nicht suchen würden, Cory“, sagte er, ohne den Spieler dabei anzusehen.
Cory schwieg.
Lola war jetzt bis an den Tisch getreten, und ihre Blicke schienen sich förmlich an der Tasche festzusaugen.
Der Fahrer hatte den Raum betreten. „Sie müssen sich sofort wieder hinlegen, Mr. Calhoun“, sagte er. „So gut wie Sie es sich gern einreden möchten, geht es Ihnen bestimmt nicht.“
Tom griff schweigend nach der Tasche und schwankte auf sein Bettgestell zu. Er schaffte es bis zum ersten Pfosten, dann versagten ihm die Beine den Dienst. Noch ehe er zu Boden fiel, fing ihn Al Dreek auf und trug ihn weiter.
„In einer halben Stunde fahren wir“, sagte der Postfahrer.
Cory schaute die Frau an.
„Ich fahre nicht mit“, sagte sie. „Wieso?“
„Ich habe mich gestern mit Mr. Calhoun unterhalten. Er sagte mir, dass ich hier auf die nächste Kutsche warten soll.“
„Da konnte er doch noch gar nicht wissen, dass ...“
„Es interessiert mich nicht, was er wusste und was nicht“, unterbrach sie den Kutscher. „Ich werde hier warten.“
„Aha. Dann bleiben Sie natürlich auch, Cory. Oder?“
„Ja, Dreek. Sie müssen nun allein weiter, und Sie können froh darüber sein. Die Banditen werden nun kein Interesse mehr an der Kutsche haben.“
„Genau, Cory. Haben Sie übrigens daran gedacht, dass in vier Tagen Soldaten aus Fort Worth hier sein können?“
„Soldaten? Wer soll die denn holen?“
„Sie scheinen ganz zu vergessen, dass ich nach Shelton Falls fahre.“
„Daran habe ich wirklich nicht gedacht“, meinte der Spieler leise. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Dreek, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.“
„Dreek!“, ertönte die Stimme Tom Calhouns vom Bett her. „Sie müssten die Abfahrt um einen Tag verschieben.“
„Das geht nicht. Dazu bin ich nicht berechtigt.“
„Dann fahren Sie und sagen dem Richter, dass ich hier bin.“
„Das ist doch selbstverständlich.“
„Lola, Sie sollten mit ihm fahren.“
„Sie reden jeden Tag etwas anderes, Mr. Calhoun!“
„Wie Sie meinen. Dreek, ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.“
Tom hatte die Tasche höher gezogen. Sein Blick glitt zu Ben Warthon hinüber, der auf dem Bettrand saß. Dann schaute er wieder zu Dreek und sagte: „Binden Sie mir die Tasche am linken Arm fest, Dreek.“
Der Postfahrer ging zu Tom und kam seinem Wunsch nach. Als er sich wieder aufrichtete, sah er in das Gesicht des Spielers. Für einen Sekundenbruchteil kreuzten sich ihre Blicke. Dann wandte er sich hart um und sagte: „Ich kann es nicht! Ich kann Sie nicht in