10 Dinge, die man getan haben muss
10 Handlungen, mit denen man sich in jedem Fall blamiert
10 Homophone, die Sie in Taiwan kennen sollten
VORWORT
Auf ins Unbekannte! Bei Taiwan stimmt das gleich in zweierlei Hinsicht – zum einen geht es in eine unbekannte Kultur, zum anderen in ein Land, von dem man relativ wenig hört, das klein ist und scheinbar neben seinem großen Nachbarn China verschwindet. Dabei ist Taiwan die Perle der chinesischen Kultur, reich an Traditionen, Religion und Aberglauben, die in China mit der Kulturrevolution teils verschwunden sind. Und trotzdem verschlägt die meisten nur der Zufall nach Taiwan – sei es eine Bekanntschaft mit einem Taiwaner, der sein kleines Land anpries und voller Stolz von stinkendem Tofu und dem Wolkenkratzer Taipei 101 berichtete, sei es ein Stipendium von Taiwans Regierung, um so wissenschaftlichen und damit vielleicht gar diplomatischen Austausch zu fördern, sei es ein Zwischenstopp auf einer längeren Flugreise oder gar der Irrtum, man hätte ein Ticket nach Thailand gebucht. Eins aber haben fast alle Besucher gemeinsam: Sie bleiben länger als geplant – statt einiger Tage zwei Wochen, statt zweier Wochen die visafreien drei Monate, statt dreier Monate ein oder zwei Jahre zum Arbeiten oder Studieren, wenn nicht gar für immer. Während die Moderne ein angenehmes, bequemes Leben ermöglicht, gibt die Tradition dem Ganzen eine Würze an Exotik, Charme – und natürlich an Fettnäpfchen. Diese Verbindung von Tradition und Moderne faszinierte bisher jeden und ließ so manchen sich in den kleinen Inselstaat verlieben.
So wird es auch Sophie gehen, die jetzt gerade noch an einem regnerischen Silvesterabend in Deutschland verlassen und deprimiert in ihrer Wohnung sitzt. Manchmal ist die Haltbarkeit einfach so abgelaufen, ohne dass man es gemerkt hat – nicht nur die Haltbarkeit der Milch im Kühlschrank, auch die Haltbarkeit einer Beziehung, eines gemütlich eingerichteten, aber schnell zu klein gewordenen Zuhauses, der Arbeit, des Alltags, eines ganzen Lebensabschnittes mit allem drumherum. Dann muss man weg, richtig weg, für länger, wenigstens für ein paar Monate, vielleicht auch gleich ein Jahr oder – wenn schon, denn schon – gar noch länger.
Begleiten Sie Sophie auf ihrem Weg in den taiwanischen Alltag! Mischen Sie sich mit ihr unter die Taiwaner und sammeln Sie wertvolle Erfahrungen für Ihren eigenen Taiwanbesuch. Und wenn Sie dann dort sind, wenden Sie doch mal die kleinen Sätze an, mit denen jedes Kapitel beginnt. Es handelt sich um Ausrufe und Phrasen, die Sie ständig im alltäglichen Leben in Taiwan hören werden. Dann menschelt es gleich viel mehr zwischen den Taiwanern und Ihnen.
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就這樣子 – JIÙ ZHÈYÀNGZI – EINFACH SO
WIE BITTE? WOHIN NOCH MAL?
Sophie ist on hold – in der Warteschleife. Ihre Haut ist blass, etwas bläulich. Seit Tagen hat sie das Haus nicht verlassen. Ihre rechte Hand weilt schlaff und vergessen in ihrem Schoß. Sie hat die Augen halb geschlossen. Sie schläft nicht, sie dämmert nur. Das macht sie, seit Jan nicht mehr da ist. Sie ist – wie der Laptop neben ihr – im Stand-by-Modus.
Einfach so ist Jan von seiner dreiwöchigen Sprachreise in Südamerika nicht wiedergekommen. Aus den drei Wochen sind nun schon drei Monate geworden. »bleibe länger. einfach so. warte nicht. Jan«, hat er dann gestern in einer E-Mail geschrieben, am vorletzten Tag des Jahres. Sieben Wörter. Nicht mehr. Nicht einmal für Groß- und Kleinschreibung hat er sich Zeit genommen, außer bei seinem Namen. Sophie stellt sich vor, wie er die Kippe aus der Hand legt, um mit der linken Hand die Shift-Taste für das Jot in Jan gedrückt zu halten.
Ihre Stirn lehnt an der Balkontür im dritten Stock der gemeinsam gemieteten Zweiraumwohnung. Ihre Haare liegen zerzaust auf den Schultern, der Pony klebt an der beschlagenen Scheibe. Einfach so ist er weggegangen, von allem, was er nicht mehr ertragen konnte. Dem nervigen Chef, den arroganten Kollegen, dem schlechten Wetter – weggegangen von ihr. Und als er weg war, war da nichts mehr. Alles ist vorbei, begonnen hat nichts Neues. Eine Warteschleife ohne Ende, ohne Weiterverbindung mit Hintergrundmusik: ein Gedudel aus dem Prasseln des Regens am Fenster neben ihrem Ohr und des Straßenlärms zehn Meter unter dem weiß gefliesten Fußboden, auf dem ihre Füße liegen. Sie atmet flach, als wage sie nicht, tief Luft zu holen, als würde dann vielleicht etwas zerbrechen, das Fensterglas zerbersten. Es scheint, als läge das letzte Jahr auf ihr und drohe sie zu erdrücken. Auch der Atem: on hold.
Einfach so. Einfach so. Einfach so. 22-mal kann sie »einfach so« sagen, ohne Luft dabei zu holen. Beim 23. Mal atmet sie endlich tief ein. Draußen erleuchtet das Feuerwerk zum neuen Jahr den Himmel.
»Dann geh ich auch«, sagt Sophie. Es sind ihre ersten Worte seit einer Woche, seit sie im Supermarkt nach Jans ausverkauftem Müsli gefragt hat, und ihre ersten Worte im neuen Jahr. »Einfach so.« Aber wohin? Fliegt er nach Westen, dann fliege ich nach Osten. Lernt er Spanisch, dann lerne ich … Chinesisch!, denkt Sophie. So einfach ist das. Einfach so.
Schnell hat Sophie auf Wikipedia herausgefunden, dass sie nicht irgendein Chinesisch lernen will, sondern Hochchinesisch bzw. Mandarin. Auf Google gibt sie »learn Mandarin University« ein und kommt nach den ersten paar Suchergebnissen auf die Webseite des Mandarin Training Centers, einem Sprachzentrum der National Taiwan Normal University. Drei Monate Sprachkurs, zwei Stunden täglich, Beginn Anfang März, mit Option auf Verlängerung – das passt. Adresse: Taiwan, ROC – Republic of China. Die Online-Anmeldung ist schnell ausgefüllt, eingescannte Dokumente angehangen. Das Jahr ist noch keine Stunde alt, da drückt Sophie auf Senden und schickt ihre Bewerbung ab.
Und als diese Entscheidung einmal getroffen ist, scheint alles andere ganz von allein zu passieren. Schnell ist der Bürojob in einer PR-Agentur gekündigt, die Wohnung aufgelöst, Jans Sachen in Kisten geworfen und vor seinem Elternhaus abgestellt, die Möbel verkauft, die eigenen Sachen bei Freunden im Keller deponiert, die verstaubten Ordner und Bücher über Kommunikationsmanagement vom Studium zum Altpapier gebracht … Einfach so, denkt Sophie bei jedem Punkt, den sie auf ihrer Liste als erledigt abhakt. Und jedes »Einfach so« ist wie ein Schlag in Jans Bierbauchansatz.
Ende Januar steht Sophie vor der Taipeh-Vertretung in Berlin, um ihr Visum abzuholen. Voller Tatendrang streicht sie ihre Winterjacke glatt. Die blonden Locken hat sie hochgesteckt. Sogar die verhassten hochhackigen Schuhe, die sie immer heimlich unter dem Schreibtisch in der PR-Agentur abgestreift hat, hat sie heute angezogen. Ein paar Zentimeter mehr zu ihrer zierlichen Statur sollen ihr Selbstvertrauen und ihren Durchsetzungswillen stärken.
Etwas merkwürdig findet sie es, dass sie laut Unterlagen vom Mandarin Training Center zur Taipeh-Vertretung und nicht zur chinesischen Botschaft muss, schließlich will sie ja in die Republic of China. Taipeh muss wohl eine so große Stadt sein, dass sie ihre eigene Botschaft hat.
»I would like to have a visa for China, please«, sagt Sophie am Schalter zu dem kleinen Herrn im dunkelgrauen Anzug und schiebt ihren Reisepass durch die Öffnung am Fenster.
»Entschuldigen Sie vielmals, aber da sind Sie hier falsch«, antwortet dieser mit leiser, fester Stimme im perfekten Deutsch und