Gemlin zog das dreidimensionale Gesicht in ein anderes Arbeitsholo, gab verschiedene Begriffe in die Tischpositronik ein und startete die Suche.
Es dauerte nicht lange, bis er ein Ergebnis erhielt; nur exakt eins, nicht mehrere. Das Resultat ließ keinerlei Raum für alternative Spekulationen zu.
Selbst den abgebrühten Haushofmeister schockierte die Auskunft der Datenbank. Er hatte geglaubt, nach siebzig Jahren Dienst alles zu wissen und durch nichts mehr überrascht werden zu können.
Damit hätte er niemals gerechnet. Nicht in seinen schlimmsten Albträumen, nicht in einem Anfall von Phantasiewahn.
Und er hatte richtig gehandelt, seinen Lakaien mit der Aufgabe zu betrauen, das Inthronisationsverfahren anzuschieben – diskret, aber doch mit ausreichend Vorbereitung, um nicht völlig überrumpelt dazustehen. Keine Frage, einer dieser beiden Hochadligen würde den verwaisten Thron besteigen, und Mascaren würde in jedem Fall auf Gemlins Unterstützung hoffen.
Natürlich wäre es das Beste. Theta war weggeputscht – ob Mascaren wohl eine Antwort auf die Frage nach ihrem Verbleib hatte? –, und angesichts dieser neuen Lage würde sie es nicht mehr schaffen, an die Macht zurückzukehren.
Das Große Imperium war dabei, zu zerbrechen. Die Kolonien verlangten nach Autonomie, die Khasurne – die Geschlechter des mächtigen Hochadels – bekriegten einander zwar bislang lediglich auf dem diplomatischen Parkett, waren aber von einem militärischen Bruderkampf nicht mehr weit entfernt. Die Wirtschaft lag infolge der politischen Unsicherheit im Reich nahezu brach, das Volk war unruhig und trauerte alten Glanzzeiten nach. Unzufriedenheit allüberall, der Zwölferrat, der Berlen-Than, regierte vor sich hin, ohne wirksam dagegenzusteuern. Die Khasurne machten sich die Stimmung zunutze und waren so sehr in ihre eigenen Machtbestrebungen verstrickt, dass sie nicht merkten, wie sehr sie das sensible Gefüge im arkonidischen Imperium noch mehr bedrohten und ins Schwanken brachten. Sie gruben sich den Boden unter den eigenen Füßen weg.
Es wäre also gut, wieder eine starke Hand an der Spitze zu haben, damit die alten Werte abermals an Bedeutung gewännen, um die Stabilität zu sichern. Ob Mascaren oder der andere – beide wären geeignet.
Das Problem dabei war allerdings, dass Gemlin da Hozarius ganz andere Pläne verfolgte.
»Abwarten«, sagte er zu sich. »Erst mal sehen, was genau sie vorhaben. Möglicherweise lässt sich alles miteinander vereinen. Das Einzige, was zählt, ist die Erhaltung des Tai Ark'Tussan. Ihm diene ich, und ihm muss ich Opfer bringen, wenn es erforderlich ist.«
2.
MAGELLAN
Mirona Thetin entdeckte ihren Gefährten wie vermutet in der Medostation, in dem gesicherten Raum, wo Theta behandelt wurde. Die Arkonidin lag in einer Kapsel im Heilschlaf. Viel war nicht von der Patientin zu erkennen, weil nur ihr Gesicht unbedeckt war, der Kopf steckte in einer Haube, Sensoren hafteten an ihren Schläfen.
»Was empfindest du, wenn du sie siehst?«, fragte Mirona ohne Einleitung.
Atlan da Gonozal wandte sich ihr zu. »Abscheu«, antwortete er. »Ich bin immer noch fassungslos darüber, was sie getan hat. Dass sie es fertiggebracht hat, so weit zu gehen.«
»Sie war auch nicht zimperlich, als sie an die Macht kam, wenn dein Bericht über sie stimmt.«
»Aber da war sie zumindest nicht für das Geschehnis verantwortlich. Sie hat die Gunst der Stunde genutzt und die Macht ergriffen, nachdem der Regent und sein Widersacher einander gegenseitig mehr oder minder versehentlich umgebracht hatten.« Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Ja, sie war skrupellos und machthungrig, wie so viele am imperialen Hof. Aber ...«
Mirona legte den Kopf leicht schief und lächelte. »Sie ist gewiss auch früher schon über Leichen gegangen, nur eben nicht so offensichtlich. Atlan, du weißt selbst, dass der Weg zur Macht aus vielen Hürden besteht.«
»Ich habe das nie getan«, murmelte er.
»Das hat dir den arkonidischen Thron verwehrt«, sagte sie. »Aber nicht den an meiner Seite. Du hast den richtigen Thron gewählt, und Theta bezahlt einen hoffentlich hohen Preis für ihre falsche Wahl. Es gibt doch diese Infinite Todesstrafe bei euch, nicht wahr? Das fände ich angemessen.«
»Conrad war ein Freund«, sagte Atlan leise. Sein Blick glitt zu der Kapsel. »Die Frau, die dort drin liegt, kenne ich nicht«, fuhr er schroff fort. »Sie ist eine gewissenlose Mörderin. Ich habe nichts mit ihr zu tun.« Er nickte Mirona Thetin zu. »Lass uns gehen. Mascudar wird entscheiden, was mit ihr geschehen soll, und es wird zu unserer Beruhigung nichts Gutes sein.«
Wenig später betraten sie die Zentrale des mächtigen Fernraumers, den Atlans Vater Perry Rhodan abgenommen hatte. Eine weitere sehr heikle Situation, die Atlan in Loyalitätskonflikte brachte – noch dazu, weil Mascudar damit auch Thora, eine Angehörige seines eigenen Volkes, hinausgeworfen hatte.
Mirona behielt ihre Gedanken für sich, aber Mascudar hatte so absolut gar nichts an sich, was ihr den Eindruck vermittelte, er sei zweifelsfrei Atlans Vater. Kein Wunder, dass er seinen Sohn seinerzeit als »missraten« erachtet hatte, denn Atlan war das pure – positive – Gegenteil des hochherrschaftlichen, autokratischen Mascudar. Theta hätte ihrem Wesen nach eher seine Tochter sein können. Vermutlich bedauerte Mascudar sogar, dass sie im Sterben lag.
Die ehemalige Imperatrice war zwar nachgerade deswegen ins Heilkoma versetzt worden, um ihren Tod zu verhindern. Aber momentan konnte niemand sagen, ob sie jemals wieder daraus erwachen und in welchem geistigen Zustand sie dann sein würde. Ihre Verletzungen waren zu schwer gewesen, um darüber eine Prognose stellen zu können.
»Ah, Mascaren!«, dröhnte die tiefe Stimme des imposanten Arkoniden durch die Zentrale, als er das Paar bemerkte. Er ging gut gelaunt auf dem Kommandantenpodest auf und ab.
Mirona zuckte zusammen, doch sie verbiss sich erneut einen Kommentar. Ihr Stand war ohnehin schwierig genug. »Mascaren« war ihr Gefährte schon sehr lange nicht mehr. Er war Atlan. Und Faktor Null. Die Liduuri wusste, wie sehr er seinen früheren Namen hasste, weil er ihn an die ungeliebte Vergangenheit erinnerte.
Nun stand die Vergangenheit lebendig vor ihnen, in Form eines Duplikats, das glaubte, an der Stelle weitermachen zu können, wo das Original vor zehntausend Jahren aufgehört hatte.
»Ich bevorzuge Atlan«, sagte der Angesprochene ruhig.
»Unsinn, du bist mein Sohn Mascaren.«
»Das habe ich nicht abgestritten. Sondern darüber gesprochen, was ich bevorzuge.«
Und was respektiert werden sollte, dachte Mirona wütend. Sie entschied, eine aufrechte Haltung und einen hochmütigen Ausdruck zu zeigen. Weil sie Atlan keine Stolpersteine in den Weg werfen wollte, der sich ohnehin in einer schwierigen Lage befand, hielt sie den Mund. Aber sie konnte ihre Missbilligung auch anders zum Ausdruck bringen. Sie wusste, dass Mascudar das nicht entging. Er beharrte auf patriarchalischen Strukturen, in denen Frauen zwar Rudergängerinnen oder Flottenkommandantinnen werden konnten, aber am Ende vor ihm zu kuschen hatten. Noch dazu, wenn sie wie Mirona keine Arkonidinnen waren. Mirona war eine Bras'cooii, was eine neutrale Bezeichnung für Nichtarkoniden sein sollte, aber seit jeher einen negativen Beigeschmack hatte. Dass sie Herrscherin einer Galaxis war, kümmerte Mascudar nicht. Er ignorierte sie einfach, konzentrierte sich nur auf seinen Sohn.
Warum? Warum jetzt?
Sollte das Atlan nicht misstrauisch machen? Aber nein, er ... er freute sich, seinen Erzeuger leibhaftig vor sich zu sehen, ihm noch einmal zu begegnen und ihm zeigen zu können, dass er nicht der Versager war, als der er damals immer betitelt worden war. Mascudar freute sich erstaunlicherweise ebenso, seinen Sohn wiederzuhaben.
So viele Widersprüche, so viele Emotionen, die nicht zusammenpassten. Mirona versuchte zu verstehen, was zwischen den beiden Männern vor sich ging.
Sie konnte es nicht. Was Atlan als Kind und junger Erwachsener durchgemacht hatte, war bei ihr nie der Fall gewesen. Ihr Vater