Abara Da Kabar. Emil Bobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783702580773
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wie aus einem Werbespot, den man für einfach alles einsetzen konnte. Was immer man zu dieser Erscheinung einblendete, Mineralwasser, Traumurlaub oder Anti-Aging-Kosmetik sowieso, aber auch ein Akku-Bohrer-Set oder ein Mähdrescher würde in eine Verlockung verwandelt und schmackhaft gemacht. Sie trug Jeans, ein weißes, bis unter die Hüften fallendes Seidenhemd, dunkelrote Mokassins und eine Umhängetasche aus rotbraunem Leder. Ihr Gang federte vor Freude an der Bewegung, ihr Haar glänzte silbrig wie gefärbt, war es aber nicht. Es war weiß geworden, als sie siebzehn war und sie hatte nie einen Grund gesehen, das künstlich zu ändern.

      Sie entdeckte mich und zeigte mir ihre erhobene rechte Handfläche. Dann machte ihr Arm eine bogenförmige Bewegung und ihr Zeigefinger stach nach rechts, während sich ihre Lippen überdeutlich bewegten. Sie wölbte ihre Handflächen, fügte sie zu einer Kugel, öffnete sie wieder und führte die Spitzen ihres Daumens und Zeigefingers knapp aneinander, um eine geringe Entfernung oder kleine Menge zu symbolisieren und nickte lebhaft fragend. Ich hob meine Hand und nickte als Eingangsbestätigung für ihre Nachricht. Sie lächelte zufrieden und zeigte wieder die Handfläche.

      Das war weder Jowulu noch Nostratisch und auch nicht Esperanto. Das war Ursprache, die jeder Mensch verstand, denn jeder Mensch war und blieb ein Urmensch. Sie wollte da drüben noch schnell etwas Rundes beschaffen, es dauere nicht lange, ich bin gleich da, ok?

      Als sie so dastand und mir ihre pantomimische Botschaft sendete, kam sie mir vor wie eine Erscheinung aus der Vorzeit und wie eine Verbindung in die Vergangenheit. In allem, was aus der Vergangenheit kam, begann ich eine mögliche Brücke zu sehen. Es gab ja anscheinend auch Sprachen, die Spuren altertümlicher Strukturen bewahrt hatten, wie das Hawaiianische, das, wie die Neandertaler-Sprachen, mit wenigen Vokalen und acht Konsonanten auskam. Aber damit konnte ich in Wahrheit nichts anfangen. Michaela Halbmond hatte diese lustige Geschichte mit den Farbeindrücken erzählt und ich hatte danach ein bisschen hineinrecherchiert. Es war einleuchtend, dass man Farbbezeichnungen zu den ganz alten Wörtern zählen wollte, einfach, weil der Umgang mit Farbeindrücken wohl zu den Grunderfahrungen des Menschen gehörte. Die Bezeichnung für Schwarz, also Dunkelheit, war möglicherweise eines der ältesten Wörter überhaupt. Und ich fand es mehr als erstaunlich, dass das Wort für »schwarz« in gar so vielen miteinander vollkommen unbekannten Kultursprachen ähnlich oder gleich lautete. Kar. Kr. Kär. Karä. Kuroi. Kirikiri. Kuru. Kora.

      Jetzt kam sie. Mit jedem Schritt nahm sie zwei Stufen. »Hi«, strahlte sie.

      Ich erhob mich von den Stufen, neigte mich zu ihr hin und deutete links und rechts eine Wangenberührung an. »Ich freue mich«, sagte ich und dann entstand eine Pause. Während der Buchpräsentation hatten wir beide gleichermaßen die persönliche Anrede vermieden und umständlich drum herum formuliert, denn wir wagten es nicht, uns zu duzen, obwohl heutzutage jeder jeden duzte, aber siezen wollten wir uns auch nicht. Jetzt sagte ich: »Schön, dich zu sehen. Geht’s dir gut?«

      »Ja«, nickte sie, »wollen wir da sitzen bleiben, oder ein bisschen gehen. Ich hab Hunger.«

      »Auf jeden Fall«, sagte ich, »was möchtest du? Ein Krokodil-Steak? Nein, warte«, ich hob die Hand und musterte sie gespielt, um sie auf ihre kulinarischen Neigungen zu durchleuchten. Dann zog ich meinen Vorschlag zurück: »Naja, vielleicht eher eine Kürbis-Kokos- Creme-Suppe aus belebtem Wasser, begrünt mit einem Blättchen süßer Minze? Oder wir teilen uns einen Kornspitz mit Leichtkäse, hauchdünnen Gurkenscheibchen und einer halben Olive?«

      Sie presste die Lippen aufeinander und ihre Augen glitzerten. »Ich esse alles außer Schweinefett und Affenfleisch.«

      »Das dachte ich mir in Wirklichkeit«, sagte ich und das stimmte auch.

      Wir gingen um die Ecke und durch den Park vor der Stadthalle. Zum ersten Mal waren wir alleine. Sie fragte: »Bist du Wissenschaftsjournalist?«

      »Nein. Ich mache alles, was irgendwie als relevant und aktuell hinzustellen ist. Politik, Chronik, Wirtschaft, alles. Es muss nur was los sein, über das man reden kann.«

      »Aber das ist interessant«, sagte sie mit geweiteten Augen, »Menschen zum Reden bringen, ihnen die Unsicherheit nehmen, Vertrauen gewinnen, die richtigen Fragen im richtigen Augenblick stellen, sie nicht an der falschen Stelle unterbrechen, aber nachsetzen, wenn sie abweichen.«

      »Du kennst dich aber aus.«

      »Du magst das, oder?«

      »Was. Dass du dich auskennst? Ja, sicher.«

      »Nein, hör auf, ich meine das alles, diesen Beruf.«

      »Ah so, ja, ich hab das am Anfang auch nicht gewusst. Ich bin da hinein, weil ich dachte, dass Journalismus etwas mit Schreiben zu tun hat und ich mir ja eingebildet hatte, schreiben zu können. Es war also ein doppelter Irrtum, der mich in diesen spannenden Beruf geführt hat.«

      Sie blieb stehen und ich drehte mich zu ihr hin. »Journalismus hat nichts mit Schreiben zu tun?«, fragte sie.

      »Fast nichts«, sagte ich. »Es geht nicht ums Schreiben, sondern viel mehr um das Herbeischaffen von Schreibbarem. Auftreiben und Aufbereiten von Stoff. Das Schreiben selbst passiert im letzten Augenblick schnell, schnell vor Redaktionsschluss.«

      Wir gingen weiter. Weil in ihrer Frage echtes Interesse durchgeklungen war, erweiterte ich meine Antwort. Zeitungsmenschen seien meist keine Experten, sagte ich. Sie seien, auch wenn viele es selbst glaubten, keine Wissenden, sondern Wissen Einholende. »Und es geht nicht einmal darum, sich dieses Wissen selbst anzueignen, sondern nur die Leute zu finden, die es haben. Das ist Recherchieren im Journalismus. Die richtigen Leute finden und sie zu erweichen, ihr Wissen mit dir zu teilen. Kostenlos natürlich. Scheckbuch-Journalismus gibt es nur in den Köpfen verfolgungsneurotischer Medienhasser.«

      »Das heißt es aber oft.«

      »Eben. Das ist eines der hartnäckigen Gerüchte zum allseits beliebten Thema ›Scheißmedien‹. Viele glauben, dass man bei den Medien für jede üble Nachrede Geld bekommt und dabei anonym bleiben darf.«

      Sie musste lachen.

      »Aber du hast völlig recht«, sagte ich, »es geht immer um Menschen. Pure Psychologie. Solange du recherchierst, machst du pure Psychologie. Wenn du nur abschreibst, ist es einfacher, dafür brauchst du keine Menschenkenntnis. Aber die Auseinandersetzung mit Menschen und dem, was sie erreichen oder versäumen, was sie anrichten oder gutmachen, was ihnen zustößt, in die Wiege gelegt oder vorenthalten wird, diese Welt der Schicksale hat mich sehr direkt angesprochen.«

      Sie nickte mit denkenden Augen. »Ja. Ich weiß.«

      »So wie jetzt«, fuhr ich fort. »Ich gehe nicht jahrelang Sprachwissenschaften studieren, sondern finde dich, die du die Arbeit schon erledigt hast. Und hier ist auch mein Erfolgserlebnis. Ich mag das Tierhafte daran, reflexartig an die richtigen Personen zu gelangen. Dich habe ich in Archiv-Geschichten entdeckt und mir gedacht, wenn jemand etwas neu entdeckt, kommt er auch mit der unberührten Vergangenheit des Entdeckten in Kontakt. Weil das Unentdeckte ja irgendwie von der Gegenwart nicht erfasst war, konnte es vielleicht das Wesen seiner Vergangenheit noch in sich tragen. Ist natürlich irgendwie naiv.«

      »Nein«, sagte sie.

      »Nicht? Ich meine, eine falsche Annahme kann auch zum richtigen Ziel führen, wenn der Bauch es sagt.«

      »Es ist nicht naiv.«

      Wir näherten uns dem Ausgang des Parks. Ein ganz in schwarz gekleideter Teenager auf viel zu langen und viel zu dünnen Beinen und einem schräg zur Seite hängenden Haarschnitt überholte uns auf einem Skateboard und querte nach links, vorbei an einer alten Dame, die auf einer Bank saß und in einem Plastiksack nach Brotkrümeln für die Tauben fingerte. »Geh scheißen!«, rief er einem anderen Skater zu, der zur Antwort nur seinen Mittelfinger hochzucken ließ.

      »Warum hast du mich eigentlich angerufen?«, fragte sie.

      Himmel, das hatte ich ihr ja noch gar nicht erklärt. Wieder blieben wir stehen. Ich schilderte ihr geradeheraus meine Geschichte. Von einer Story-Idee über die neue Sprachkrise ausgehend sei mir aufgefallen, dass nicht der Mensch die Krise mache, sondern die Sprache, denn sie sei funktionsuntauglich.