Abara Da Kabar. Emil Bobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783702580773
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von Killersprachen wie Englisch, Russisch oder Französisch, die kleine Lokalsprachen infiltrierten, infizierten und verdrängten wie eingeschlepptes Unkraut. Er redete über Kultur tragende Sprach-Großfamilien wie die afroasiatische, in der das Arabische eine junge Kultursprache war. Ganz jung waren auch Assyrisch und Babylonisch, denn die alten Formen dieser Großfamilie waren etwa das mesopotamische Akkadisch. Oder das Indoeuropäische mit seinen jungen, modernen Entwicklungsstufen wie Griechisch und Latein.

      Nun also hatte er am Festnetz zurückgerufen. Ich hob ab, erklärte kurz angebunden, ich würde mich gleich wieder melden, denn auch das Mobiltelefon läutete. Aber jedes Mal, wenn ich ein Telefon auflegte, läutete schon das andere und so vergaß ich, ihn zurückzurufen. Und das war es dann. Zwei Tage später starb mein klerikaler Freund am Blut einer geplatzten Ader seiner Speiseröhre, das seine Lungen überschwemmt hatte.

      Michaela Halbmond hob ab. Sie war ein Glücksfall. Erstens hatte sie eine ruhige, angenehme Stimme, zweitens war sie freundlich und offen, drittens war sie gerade in Wien und viertens wollte sie am Abend des nächsten Tages an einer Buchpräsentation teilnehmen, bei der zahlreiche Linguisten verschiedener Fachrichtungen anwesend sein würden. Sie bot mir an, sich mit mir dort zu treffen. Zwei emeritierte Professoren hatten gemeinsam mit einem jüngeren Kollegen ein Sachbuch über historische Sprachverbreitung mit dem Titel »Die Balkan-Route« geschrieben. Im Zentrum der Ausführungen stand ein filmreifer Konflikt, den ich als inter-menschoid bezeichnen würde, wenn das geht. Es ging um das nachgewiesene Aufeinandertreffen einer Gruppe moderner Menschen mit einer Gruppe von Neandertalern im Gebiet des heutigen Israel, das vor vierzigtausend Jahren stattfand. Davon zeugen freigelegte Lagerplätze der beiden Menschenarten, die unweit voneinander entdeckt wurden. Als die neumodernen Kolonialisierer des Homo sapiens von Ostafrika her in das Gebiet kamen, waren die alten Neandertaler bereits seit 20.000 Jahren da und hatten etwas dagegen, dass Fremde, ja sogar Fremdartige, einfach in ihr Gebiet einflossen, um sich da breitzumachen. In der Kunst der politischen Kompromissfindung noch etwas entwicklungsfähig, kam es zu schweren Zusammenstößen und die Modernen mit der senkrechten Stirn zogen mit blutigen Schädeln ab. Sie gelangten, nunmehr von Wirtschafts- zu Kriegsflüchtlingen mutiert, über die Balkan-Halbinsel nach Europa.

      Es gab nichts, dachte ich, was es nicht schon gegeben hätte und das tausend Mal früher, als man dachte. Das schien auch ein Motto für die Buch-Autoren gewesen zu sein, denn sie nannten viele Beispiele. Dass ein Herr Kolumbus Amerika entdeckt haben soll, entlarvten sie süffisant als Mythos einer eingebildeten Zivilisation, die das für den Anfang hielt, woran sie sich selbst erinnern konnte. Tatsächlich waren zwanzigtausend Jahre vorher ganz andere Typen über den Nordpol nach Amerika gegangen. Und die Herrschaften, die vor achttausend Jahren die indoeuropäische Sprache von Asien nach Europa brachten, waren keine Einwanderer, sondern Rückkehrer. Vor neunzigtausend Jahren waren sie aus Afrika gekommen und über Europa nach Asien gewandert. Als Zeugnisse hatten sie ihre Schädel zurückgelassen und ihre Beile, in die Erde gesenkt wie Proviant-Depots der Erinnerung, zur Wiederausgrabung in einer fernen Zukunft, als Beleg ihrer Rastlosigkeit, ihrer Suche nach Sicherheit und Sinn, die sie über die Horizonte hinaus lockte und keine Rückkehr kannte. Sie gebaren und starben unterwegs. Wandern war ein Urzustand. Allein ihre Reise von Afrika über Europa nach Indien dauerte zwanzigtausend Jahre, denn ihre auf dieser Route ausgegrabenen Schädel werden von West nach Ost stufenweise um zwanzigtausend Jahre jünger.

      Aber auch sie waren lange nicht die Ersten. Eigentlich waren diese Leute fast schon Touristen, wenn man sie mit den wahren Pionieren verglich, die sich zwei Millionen Jahre davor auf den Weg nach Osten gemacht hatten. Das war der Erektus plus Anhang: ein wahrhaft uriger Entdecker. Er verfügte über keine konkrete innere Vorstellungswelt, einfach, weil er keine Sprache hatte, die differenziert genug war, abstraktes Denken zu ermöglichen. Seine Laute klangen absichtsvoll, doch verwaschen und unbeholfen. Dennoch war er der erfolgreichste Menschoide neben dem, der sich mit seiner komplexen Lautsprache zur Alleinherrschaft über die Natur aufschwingen und als einzige Menschen-Art überleben sollte. Der Erektus: unsentimental, allürenfrei, geradeaus. Er hätte mehr Erfolg verdient. Und wie bunt ginge es auf diesem Planeten zu, wäre er von mehreren Menschen-Arten bewohnt und nicht nur von einer einzigen in verschiedenen Farben.

      Ein sehr gelungenes Buch, bei dessen Präsentation ich Michaela Halbmond kennenlernen sollte. Die Autoren hatten es geschafft, mich in ihre Geschichte zu entführen und den Erektus als Angehörigen wahrzunehmen. Ich mochte ihn. Ich sympathisierte mit dem Vormenschen. Das waren noch Typen, tausend Mal authentischer als der urigste Alt-Bauer. Das waren Echtfleisch-Menschen, die das systematische Überleben erfunden haben. Sie haben das Wissen dafür gegen zahllose ihrer Leben eingetauscht, haben sich jede Kleinigkeit an Wissenszuwachs erstorben. Die Erkenntnis, was ein Risiko ist, entwuchs einem Teppich aus Todesopfern.

       6

      Im Palais Ferstel glitzerten die Luster und eine gedämpft murmelnde Geräuschwolke lag über den gut zweihundert Besuchern, die in kleinen Gruppen standen oder damit begannen, ihre Plätze einzunehmen. Manche hatten das Buch unter den Arm geklemmt, andere steckten gerade ihre Einladung weg und hoben grüßend die Hand, weil sie einen Bekannten entdeckt hatten. Das Podest mit einem Tisch und drei Sesseln stand noch menschenleer im Halbdunkel. Ich erkannte Michaela Halbmond von den Zeitungsfotos. Sie stand plaudernd in einer Gruppe aus vier, fünf Personen und nickte lebhaft. Als ich mich näherte und ihr Blick auf mich fiel, schien auch sie mich zu erkennen, vielleicht, weil ich so unlinguistisch aussah, oder eben wie ein Journalist, der überall auftauchte, aber nirgendwo dazugehörte und diesen typisch routinierten Fremdkörper abgab, der sich nun auf sie zubewegte.

      Da stand sie nun. Und das Überraschende war, dass ihr Aussehen gar nicht so unpassend zu ihrer Telefonstimme war. Eine lange, silbrig glänzende Mähne fiel auf einen schwarzen Blazer, sie trug enge Jeans, einen safrangelben Schal aus Kaschmir-Seide und ihr Lächeln verriet eine Ausgeglichenheit, die nur von einem Wesen stammen konnte, das das Leben allgemein nicht als Niederlage zu empfinden gelernt hatte. Es war zeitlich schon knapp. Während wir uns die Hände reichten und begrüßten, ging vorne am Podium das Licht an, das Gemurmel im Saal erstarb und die Moderatorin begann mit der Begrüßung. Michaela Halbmond hatte zwei Plätze reserviert, gab mir ein Zeichen mit dem Zeigefinger und nickte einladend, während vorne die Präsentation begann und die Autoren unter rauschendem Applaus auf die Bühne gebeten wurden. Wir waren nicht einmal dazu gekommen, ein bisschen zu plaudern und nun saßen wir nebeneinander und neigten manchmal unsere Köpfe zueinander, um uns etwas zuzuflüstern und still zu nicken. Ich fragte sie, ob sie denke, dass Hans Reich anwesend sei, doch sie zuckte verneinend mit dem Kopf und bog ihre Mundwinkel nach unten, als würde sie sagen »kenn ich nicht«. Dann hielt sie mir die Einladung zur Präsentation hin, zeigte auf den Namen eines der Mitautoren und flüsterte nickend: »Bei dem habe ich studiert.« Dann blickte sie wieder nach vorn und streckte ihren Zeigefinger Richtung Bühne, um meiner Aufmerksamkeit ihren Platz zu weisen. Während die Moderatorin das Buch mit einer verschachtelten Huldigung vorstellte, an der sie viel zu lange herumredigiert hatte, richteten sich noch immer Blicke von da und dort aus dem Publikum auf Michaela Halbmond.

      Sie war Spezialistin für Niger-Kongo-Sprachen, eine der größten Sprachfamilien überhaupt, und sie selbst beherrschte neben den Weltsprachen mindestens fünf zur Familie gehörende Sprachen gut, drei davon, Swahili, die Bantu-Sprache Lingala und Bambara, das in Mali gesprochen wurde, fließend. Sie war in einem Team aus französischen, amerikanischen und afrikanischen Sprachforschern gewesen, das im westafrikanischen Mali das bislang unbekannte Jowulu entdeckte. Die Meldung ging weltweit durch die Medien und beförderte die Teammitglieder auf den Olymp der Linguistik. Eine neue Sprache zu entdecken konnte man auch heutzutage nicht gänzlich ausschließen, etwa in Gegenden wie dem Kongobecken, dem südindischen Hochland, dem Amazonasgebiet oder irgendwo in der Inselwelt Papuas. Doch war es eine extreme Seltenheit geworden und daher in der Welt der Sprachwissenschaft eine echte Sensation. Mitten in dieser zu Ende explorierten Welt hatte man nun Jowulu entdeckt, das in der Region Sikasso an der Grenze zu Burkina Faso von kaum zehntausend Menschen gesprochen wurde. Michaela Halbmond und die anderen aus dem Team interviewten viele von ihnen, besonders jene wenigen, die auch Bamanankan oder Duungoma sprachen und als Dolmetscher dienen konnten. Manche Jowulu-Sprecher – wenige – konnten auch ein bisschen Französisch und die waren eine