Abara Da Kabar. Emil Bobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emil Bobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783702580773
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war. Die Eingeborenen begegneten dieser unterwürfigen Achtung mit verständnisloser Höflichkeit. Die netten Fremden in den Khaki-Kleidern wollten jedes Wort drei Mal hören, sezierten es, schnitten es in Scheiben, hängten es zum Trocknen auf und betrachteten es Tag und Nacht ungläubig von allen Seiten.

      Es bedurfte einiger Nächte der hitzigen Diskussion bei Gaslicht unter Zelt-Vordächern, um Auffassungsunterschiede in lexikostatistischen Fragen auszuräumen und mögliche Verwandtschaften zu anderen Lokalsprachen über das Ausmaß an phonetischen Ähnlichkeiten zu klären. Aber dann war alles entschieden: Jowulu war den Mande-Sprachen zuzuordnen, einem Zweig, der bis dahin 75 Einzelsprachen auf sich vereinigte. Jowulu wurde genauer gesagt zur vierzehnten und wohl letzten Sprache des Nord-West-Mande erklärt und damit der Niger-Kongo-Familie zugerechnet. Ganz so, wie alle anderen Mande-Sprachen derselben Familie zugeordnet worden waren, obwohl sie morphologisch kaum Ähnlichkeiten aufwiesen. Vor allem fehlten bestimmte für Niger-Kongo-Sprachen typische Substantiv-Kategorien. Macht nichts, sagten die Anhänger dieser Verwandtschaftsthese, die Mande-Sprachen hätten sich eben schon vor der Herausbildung dieser Substantiv-Kategorien von der Großfamilie abgespalten und wegentwickelt. Die Abspaltung habe vor siebentausend Jahren begonnen.

      Mit derselben Sicherheit wurden diese behaupteten Zugehörigkeitsverhältnisse von anderen Meinungslagern belacht und ins Reich der Spinnereien glottogenesischer Egomanen verwiesen, die sich einbildeten zu wissen, wie vor siebentausend Jahren auf einem Kontinent gesprochen wurde, dessen Geschichte erst vor fünfhundert Jahren begonnen habe, schon deshalb, weil in Afrika dazu nicht viel auszugraben war und schon gar keine altertümlichen Bibliotheken, einfach, weil von Lehmhütten nach einigen Regenfällen nicht mehr übrig blieb als von verklungenen Wörtern.

      Ich sah sie von der Seite an. Jeder aus dem Publikum schien sie zu kennen oder zu erkennen. Wenn sich ihre Blicke mit ihrem trafen, nickten sie anerkennend und lächelten. Sie war eine Berühmtheit, ein Star. Und sie war alles andere als eine glottogenesische Egomanin. Sie war ein erhobenes Wesen, das entspannt mit beiden Beinen am Boden stand, ein Wesen, das vom Leben nicht verwöhnt, sondern belohnt war und von etwas getragen, das es unabhängig machte, auch von seinem eigenen Erfolg und von all dem, was ihm diese große Anerkennung eingebracht hatte. Ihr offensichtliches Wohlbefinden, ihre natürliche Freundlichkeit, ihre innere Schönheit und diese ungespielte Bescheidenheit ließ die ihr entgegengebrachten Huldigungen wie charmante Irrtümer aussehen. Sie liebte ihren Beruf und ihre Kollegen, auch wenn sie Spinner waren. Das war alles.

      Die Lesung war bald vorbei und während sich vor dem Autoren-Tisch eine kleine Warteschlange bildete, um Bücher signieren zu lassen, schlenderte Michela Halbmond mit mir im dünnen Geklirre von Sektflöten durch die Gegend und stellte mich einer Reihe von Kollegen vor, die für mich interessant sein konnten. Sie, Michaela Halbmond, war eine Hoheit. Von ihr mitgebracht und vorgestellt zu werden hatte protektionistische Sofortwirkung, obwohl die Leute nur sie sahen. Ich war etwas Besonderes, weil ich mit ihr sein durfte.

      In einer Gruppe standen der Psycholinguist Herwig Prettner, ein deutscher Universitätslehrer, der nach einer Gastprofessur in Wien die Stadt nicht mehr verlassen wollte; der Sprachphilosoph Wendelin Pflug, ein zusammengesunkener Greis, der eben seine dicken Brenngläser von der Nase nahm und seine angestrengten Augen rieb. Unter seinem Sakko aus abgetragenem, feinem Tuch trug er einen viel zu dicken Pullover, über dessen Kragen der Knoten seiner Krawatte hervorlugte. Neben ihm beugte sich die Sprach-Historikerin (genauer gesagt Paleolinguistin) Elke Winter-Margulies vornüber und blinzelte über den Rand ihrer grellroten Brille. Und da war einer der Co- Autoren von »Die Balkan-Route«, Xaver Heidenreich, ein hochgewachsener jugendlicher Typ mit lachendem Gesicht und langen, schlanken Fingern. Auch er trug unter dem Sakko einen Pullover.

      Ich gratulierte zur Wahl des Buchtitels und zum inhaltlichen Aufbau der Geschichte. So müsse man Wissenschaft in der Öffentlichkeit verkaufen, sagte ich. Bunt, spannend, möglichst un-lateinisch, aber dennoch exakt und seriös. So komme eine breitere Allgemeinheit in den Genuss dieser Inhalte. Bildung sei schließlich das universelle Zauberwort für praktisch alle globalen Probleme, im Besonderen natürlich für die Meinungsbildung von Wählern und damit für die politische Entwicklung.

      Alle nickten. Heidenreich bedankte sich mit aufgehelltem Blick. Michaela Halbmond hob lächelnd den Zeigefinger und gab zu bedenken, wie hoch qualifiziert dieses ausführliche Lob sei, schließlich komme es von einem einschlägigen Profi des medialen Geschäfts.

      Ich nickte, zwinkerte mit dem linken Auge und spielte den Ball zurück: Das mediale Geschäft sei ja immerhin die Wiege der politischen Hygiene.

      Alle lächelten süffisant und Michaela übernahm den retournierten Ball erneut: »Ja, und nicht zu vergessen, dass man in der medialen Wiege auch die Kunst beherrscht, aus Hygiene Kosmetik zu machen und aus Sauberkeit Schönheit.«

      Jetzt wurde das Gelächter so laut, dass andere Gäste ihre Köpfe drehten und vornehm schmunzelten. Der Ball lag wieder bei mir und ich wusste, dass ich jetzt vom Gas gehen musste, also sagte ich: »Sauber sein oder sauber aussehen – das ist die ewige Gretchen-Frage der Staatenlenker.«

      Der Deutsche Prettner hob Einhalt gebietend die Hand und stimmte zu, dass die Wissenschaft heutzutage auch einen straffen Bildungsauftrag publizistischer Natur hätte, und also der Allgemeinheit gegenüber eine Pflicht zu erfüllen habe.

      Elke Winter-Margulies hatte bisher nichts gesagt und kaum gelacht, sondern nur Michaela Halbmond und mich beobachtet. Ich sprach sie an: »Sie sind Paleolinguistin. Das ist ja ein schönes Wort.«

      »Ja«, sagte sie gedehnt, »das habe ich am Anfang auch gedacht.«

      »Aber es ist schon Wahnsinn«, sagte ich, »wieviel Wissen verloren geht, wenn Sprachen sterben und mit ihnen auch ihre Ideen verschwinden, ihre Erfahrungen, ihre Kulturen, alles einfach weg. Und sie stehen dann vor einem Totenschädel und müssen sich vorstellen, wie seine Aussprache geklungen haben könnte.«

      Michaela Halbmond sagte nichts. Sie beobachtete die Reaktion ihrer Kollegin und wartete.

      Elke Winter-Margulies hatte ihr studentisches Scheißdrauf-Gehabe beibehalten, das jetzt in ihren reiferen Jahren, wo sie zur etablierten Universitätslehrerin geworden war, etwas vulgär wirkte, aber immer noch suggerierte, dass man in das Establishment vordringen konnte, auch wenn man mit seiner ganzen Erscheinung dagegen demonstrierte. Dazu passte auch ihr gezogener Wiener Dialekt und sie redete mit weit geöffnetem Mund und einem Blubbern in der Kehle, als hätte sie den letzten Bissen noch nicht ganz verschluckt und bräuchte jetzt in dieser viel zu braven Nichtraucher-Gesellschaft endlich eine Zigarette. »Ja, ja, es gibt was Leichteres als Paleolinguistik«, sagte sie und ließ die Luft zwischen ihren geblähten Lippen entweichen, während sie mit dem Kopf wippte, »und nicht einmal die Totenschädel haben wir selbst ausgegraben, sondern die Archäologie.«

      Sprachphilosoph Pflug stand leicht vornübergeneigt wie zu einer Verbeugung bereit, und nickte mitfühlend. »Herr Professor«, fragte ich ihn, »könnte man sagen, dass eine Sprache, wenn sie einmal verschwunden ist, gleichsam nie existiert hat? Oder ist das Gymnasiasten-Philosophie?«

      Der Alte lächelte, als hätte ich versucht, ihm eine Falle zu stellen. Michaela Halbmond biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte mich mitgebracht, jetzt war sie für mich verantwortlich und nahm die Verantwortung mit dem Charme einer souveränen Gastgeberin.

      Professor Pflug nickte. Meine Frage sei kein bisschen naiv, versicherte er. Vielleicht sah er sie als dümmliches Journalisten-Wortspiel, möglich aber auch, dass er an dem Gedanken irgendetwas zulässig fand. »Wenn wir alles wüssten, was wir schon wussten, wären wir deutlich gescheiter«, sagte er väterlich. Wenn man gar nichts in der Hand habe, gebe es auch nichts, was man als vergangen betrachten könne.

      Da tauchte die geschäftige Marketing-Dame des Verlages auf und holte Co-Autor Heidenreich weg, um ihn Bücher signieren zu lassen, und das so forsch, dass der Mann sich nicht einmal verabschieden konnte und nur kurz die Hand hob. Ein Tablett mit zu zwei Dritteln gefüllten Sektgläsern schwebte vorbei, gefolgt von einem Tablett mit bunten Häppchen.

      Michaela Halbmond war offenbar die Einzige, die verstanden hatte, worauf ich hinauswollte. »Es gibt keine Spuren, die zurückführen, das ist richtig« sagte sie in privatem Ton.