GEBEN SIE, BEVOR SIE NEHMEN
In Kapitel 3 haben wir uns mit den Prinzipien der Fürsorge und Gegenseitigkeit im Umgang mit Pflanzen befasst. Überlegen Sie, wie Sie diese Aspekte am Tag Ihrer Ernte in die Praxis umsetzen wollen. Dies wird bei jedem anders aussehen und ist abhängig von den spezifischen Bedürfnissen der Umgebung. Es kann zum Beispiel bedeuten, einen leeren Sack mitzubringen, um Müll entlang des Weges aufzusammeln, oder eine Flasche Wasser, um dürregestresste Pflanzen zu versorgen. Für andere könnte es bei der Ankunft die Form eines Gebets oder einer Gabe sein. Ein Ritual oder eine bestimmte Vorgehensweise hilft Ihnen, sich zu zentrieren, bevor Sie mit dem Pflücken und Graben beginnen. Und denken Sie daran, dass diese Hingabe über den Augenblick hinausgeht. Langfristig könnten Sie, wenn es angebracht ist, Samen pflanzen, invasive Pflanzen entfernen, damit die einheimischen gedeihen können, sich für Umweltgerechtigkeit und Umweltschutz einsetzen und vieles mehr.
ERNTEN SIE MIT EINEM BEWUSSTEN ZIEL
Unzählige Male haben wir in den sozialen Medien Anfänger gesehen, die Fotos ihrer Ernte gepostet haben und dann nach Ideen fragten, wie sie die Erträge nutzen können. »Ich habe fünf Pfund Schafgarbe geerntet – was soll ich jetzt damit machen?«
Lassen Sie nicht zu, dass die Begeisterung über die Ernte eine tatsächliche Verwendung verhindert! Wenn Sie erst ernten und sich dann Gedanken über die Verwendung machen, führt es zu Verschwendung. Machen Sie sich stattdessen eine Liste, wie Sie die Pflanze verarbeiten wollen, und bestimmen Sie, wie viel Sie für jeden Zweck benötigen. Möchten Sie ein Pfund trocknen, um Tee herzustellen? Soll etwas in Öl oder Alkohol eingelegt werden? Möchten Sie daraus ein Abendessen kochen? Haben Sie bereits alle anderen benötigten Zutaten im Haus, oder müssen Sie z. B. erst Essig kaufen? Lassen Sie Ihre Ernte nicht vergammeln, weil Ihnen die Vorräte ausgegangen sind.
Überlegen Sie auch, wie viel Sie realistisch trocknen, verarbeiten und lagern können. Es kann viel Zeit und Energie kosten, Wurzeln zu schrubben, Samen zu entfernen oder Blätter zu trocknen. Am Anfang müssen Sie vielleicht die Mengen schätzen, aber mit der Zeit werden Sie das Verhältnis von Ernte und Produkt besser beurteilen können. Aufzeichnungen über Ihre Ernteaktionen helfen Ihnen, dies nachzuverfolgen.
Natürlich ist es nicht immer möglich, einen genauen Plan zu haben. Vielleicht ziehen Sie los, um Holunder zu pflücken und finden stattdessen reich behangene Brombeersträucher. Dennoch können Sie sich immer noch einen Moment Zeit nehmen, um Ihre Bedürfnisse und Kapazitäten realistisch einzuschätzen.
VERHALTEN SIE SICH UMSICHTIG
Der Umgang mit der Natur löst bei vielen Menschen Ängste aus. Wenn Sie wenig oder keine Erfahrung mit Pflanzen und der Natur haben, ist es normal, vorsichtig zu sein. Sicherheit beginnt mit der Kenntnis der Gefahrenmöglichkeiten. Mit Wissen können Sie die Angst vor dem Unbekannten zerstreuen.
Das Wichtigste ist Ihre persönliche Sicherheit. Ob Sie sich in einem Stadtpark oder in der Wildnis befinden, seien Sie sich Ihrer Umgebung jederzeit bewusst. Es kann eine gute Idee sein, jemandem zu sagen, wohin Sie gehen und wie lange Sie voraussichtlich dortbleiben werden. Tragen Sie dem Wetter und dem Gelände angepasste Kleidung und Schuhe. Je nachdem, wohin Sie gehen, sollten Sie eventuell einen kleinen Rucksack mit Wasser und einem Erste-Hilfe-Set mitnehmen.
Informieren Sie sich über die potentiellen Gefahren in Ihrem Sammelgebiet und zeigen Sie die entsprechende Vorsicht. Dazu gehören z. B. aufziehende Stürme, rutschige Wege, giftige Pflanzen, größere Raubtiere, Giftschlangen oder Zecken. Achten Sie auch auf von Menschen verursachte Faktoren wie beispielsweise die Anwesenheit von Jägern.
Für einige Gemeinschaften kann der Aufenthalt in Wildgebieten unerwünscht sein oder sich unsicher anfühlen. Gruppen wie »Diversify Outdoors«, »Outdoor Afro«, »Latino Outdoors«, »Native Womens Wilderness« und »Pride Outside« sind einige gute Ansprechpartner, um Unterstützung zu finden und sozialen Wandel herbeizuführen. TrailLink.com listet rollstuhlgerechte Wanderwege in den Vereinigten Staaten auf. Auch viele Städte und Bundesstaaten haben solche Listen. In Deutschland informiert z. B. das Portal Barrierefreier Tourismus über rollstuhlgerechte Wanderwege (www.barrierefreier-tourismus.info, Anm. d. Verlags).
Prüfen Sie, ob das Gebiet sicher ist, um dort zu ernten, insbesondere im Hinblick auf die Bodenbeschaffenheit. Vermeiden Sie Gebiete, die regelmäßig mit Pestiziden oder Herbiziden besprüht werden, Gebiete, die von Abflüsse oder Abfälle aus landwirtschaftlichen oder Produktionsbetrieben betroffen sind, verschmutzte Wasserläufe und Überschwemmungsgebiete, ehemals erschlossene Industrieflächen (Brachflächen), mit bleihaltiger Farbe verseuchte Fundamente alter Gebäude sowie Orte mit hoher Tierzirkulation. Verdächtig sind Straßenränder, Gleisanlagen, Golfplätze und große landwirtschaftliche Betriebe. Lernen Sie, die Anzeichen zu erkennen, wenn Pflanzen vor kurzem mit Chemikalien besprüht wurden, wie z. B. seltsam gelbe oder deformierte Blätter und Stängel.
LERNEN SIE IHREN BODEN KENNEN
Allgemein betrachtet man bestimmte Landschaften, insbesondere städtische und industrialisierte, mit Argwohn. Doch Nance Klehm, Designerin von Ökosystemen und Begründerin der Sozialen Ökologie, plädiert dafür, sich stattdessen dem Boden mit Neugier und Staunen zu nähern. Als eines ihrer vielen Projekte unterstützt sie Gemeinden bei der Bodenbewertung und -sanierung, der »Hilfe zur Selbsthilfe für den Boden«, indem sie Mittel wie Pflanzen, Bakterien und Pilze einsetzt, um der Kontamination entgegenzuwirken.
»Es besteht viel Angst und Widerstand rund um die Bodensanierung, genau wie die Angst vor der Nahrungssuche«, sagt Nance. „Aber wir können uns darauf einlassen und neugierig auf etwas werden, das krank ist, und dem wir bei der Heilung helfen können.«
Um etwas über Ihren Boden zu erfahren, schlägt Nance vor, Ihre Sinne einzusetzen und sich Fragen zu stellen. Im Folgenden finden Sie einige Vorschläge, die Ihnen den Einstieg erleichtern sollen.*2
1. FÜHREN SIE EINE GRÜNDLICHE STANDORTBEWERTUNG DURCH.
Eine Standortbeurteilung ist sowohl ein sensorischer Prozess vor Ort als auch ein forschungsbasierter Vorgang. Beginnen Sie mit der Kartierung und Beschreibung der Strukturen und Merkmale des Standorts (Bäume, Gebäude, Wasserquellen usw.). Ziehen Sie einen breiteren Bogen, der angrenzende Grundstücke umfasst, und notieren Sie, wie sie den Standort beeinflussen.
Ziehen Sie, falls vorhanden, historische Aufzeichnungen und Fotos hinzu. Diese können ein Licht auf langfristige Entwicklungen am Standort werfen, die sonst unbemerkt bleiben könnten.
Wenn Sie können, setzen Sie sich mit einem langjährigen Anwohner oder Geschäftsmann zusammen. Wenn Sie diese Person zu einer Tasse Tee oder einem Mittagessen einladen und ihr ein paar Fragen stellen, können Ereignisse oder Entwicklungen aufgezeigt werden, von denen Sie sonst unmöglich erfahren würden. Diese »In-Perts« (oder lokale Experten) können Hinweise auf die soziale und kulturelle