Tod eines Jagdpächters. Thomas Sutter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Sutter
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783898018074
Скачать книгу
Bürger in seine kuschelige, bürgerliche Wohnung zurückkehren. Askese beinhaltete eine sehr simple Weisheit: Wer eine Nacht auf hartem Beton verbrachte, konnte erst richtig den Wert einer angenehm weichen Matratze schätzen.

      Teambesprechung

      Aufgrund eines Installations-Problems herrschte an diesem Morgen im Bonner Polizeipräsidium großes Durcheinander. Beltel hatte von der verstopften Abflussleitung gehört und sich noch gedacht, dass mancher Kollege auf seiner Etage wohl zu viel Zeit auf der Toilette verbrachte. Nun war das Chaos perfekt! Wasser drang aus den Toilettenräumen bis auf den Flur. Es roch übel. Doch die Installateure waren bereits in den Waschräumen zugange und der Presslufthammer dröhnte extrem. Alle auf der Etage, die sich mit konzentrierter Arbeit befassen mussten, wichen auf Räumlichkeiten in anderen Stockwerken aus, sofern welche vorhanden waren.

      Beltel hatte sein Team in die sechste Etage gebeten, in der nur ein leises Brummen des Presslufthammers aus dem zweiten Stock zu hören war. Der Geruch war zwar bis einige Etagen weiter hinauf erhalten geblieben, aber hier oben war die Luft in Ordnung.

      Beltel und Funk betraten zusammen den viel zu kleinen Besprechungsraum, in dem schon etliche Kollegen anwesend waren. Sie saßen dicht an dicht und es gab kaum Platz, sich zu bewegen. Es war ärgerlich, dass es nur dieses kleine Räumchen zum Ausweichen gab, aber sie waren schließlich nicht das einzige Team, das von den derzeitigen Problemen betroffen war und in Ersatzräume ausweichen musste. Im Präsidium ging es heute Morgen geschäftig wie in einem Ameisenhaufen zu, so dass man froh sein konnte, überhaupt irgendwo tagen zu können.

      Holters war noch nicht anwesend, er würde wie gewöhnlich ein wenig später eintreffen. Er gehörte zu den nikotinsüchtigen Kollegen, die vor jeder Besprechung den langen Weg vom Raucher- zum Besprechungsraum immer noch nicht richtig einschätzen konnten. Und nun lag dieser Raum auch noch ein paar Stockwerke höher. Beltel wusste, dass einige Kollegen von diesem Verhalten genervt waren, Holters hatte sich schon heftige Beschwerden anhören müssen. Beltel, als Leiter der Kommission, sah über diese kleine Schwäche hinweg. Da war er ja schon – und nur zwei Minuten zu spät. Holters war ein sehr guter Mann und mit dieser Macke konnte Beltel durchaus leben.

      Beltel hatte das Team seiner Mordkommission sorgfältig zusammengestellt. Alles erfahrene Leute, mit denen er schon sehr oft zusammen gearbeitet hatte.

      Außer Beltel hatten alle an dem quadratischen Tisch Platz genommen, der für die Anzahl der Personen ebenfalls zu klein war. Die Unterlagen, die die Teilnehmer vor sich ausgebreitet hatten, waren teilweise von den Unterlagen des Nachbarn überdeckt. Die Enge trug nicht unbedingt der Konzentration bei. Beltel stellte sich neben ein Flipchart.

      Nachdem das Rascheln der Unterlagen und das Rücken der Stühle aufhörte, begrüßte er sein Team.

      »Fassen wir zusammen, was wir haben. Eben habe ich erfahren, dass es sich bei der Mordwaffe um ein Präzisionsgewehr mit dem Namen McMillan TAC-50 handelt. Das ist ein US-amerikanisches Gewehr, das in erster Linie von den kanadischen Streitkräften verwendet wird. Kaliber 12,7 x 99mm.« Er nahm den Filzschreiber von der Ablage und begann zu schreiben. »Kein Wunder, dass Nirbachs Schädel in tausend Stücken über den Boden verteilt wurde. Das McMillan stellt den Rekord auf, was die Distanz für einen Todesschuss angeht: 2450 Meter. Unser Schütze hat aus ungefähr zweihundert Metern getötet. Aus dieser Entfernung muss man zwar nicht der absolute Meisterschütze sein, aber nachts im Wald ist auch so ein Treffer keinem Anfänger zuzutrauen. Was ich aber noch wichtiger finde, ist die Tatsache, dass man an so eine Waffe nicht ohne weiteres rankommt. Die kann man nicht so einfach unter der Hand kaufen. Wir haben es also mit einem Profi zu tun, der gute Kontakte zu Topwaffenschiebern hat.« Beltel räusperte sich, dann fuhr er fort. »Auf das McMillan passt ein Schalldämpfer mit der Bezeichnung Typ BR Tuote T8M. Auch dabei handelt es sich um ein höchst professionelles Utensil. Den fünfzehnjährigen Verdächtigen Ralf Schmitter, der mit seiner Freundin flüchtig ist, möchte ich daher als Täter erst mal ausklammern. Das betrifft natürlich nicht die Fahndung nach ihm.« Er notierte den Namen des Jungen.

      »Gibt es da schon was Neues, Petra?«

      Kriminalhauptkommissarin Petra Tollas war die Verbindungsfrau zu den Rheinbacher und Euskirchener Kollegen, die sich auf der Suche nach den Jugendlichen befanden. »In der Scheune, in der sich der Junge und das Mädchen versteckt hatten, hat man eine Pistole gefunden. Dabei handelt es sich um eine Walther P1, die frühere Standardpistole der Bundeswehr. Sie lag zwischen zwei Strohballen«, gab sie Auskunft. »Wir haben die Seriennummer überprüft und festgestellt, dass sie einem gewissen Horst Richter, wohnhaft in Aichen gehört. Nach der Flucht aus der Scheune hat man den von den Kids geklauten Roller an der Steinbachtalsperre gefunden. Von dort könnten sie mit einem Bus weitergefahren sein. Die Kollegen von der Schutzpolizei befragen gerade die diensthabenden Busfahrer. Natürlich könnte es auch sein, dass die Jugendlichen ein anderes Fahrzeug zur weiteren Flucht geklaut haben, aber bislang liegt keine Diebstahlanzeige vor. Sollten sie zu Fuß unterwegs sein, wäre das für uns am leichtesten, denn die Schutzpolizei durchkämmt großflächig die umliegenden Waldgebiete, Felder und Dörfer.«

      Beltel nickte verdrossen. Die Sache mit den Jugendlichen war eine brenzlige Angelegenheit, die total aus dem Ruder laufen konnte. »Wilfried«, wandte er sich an Holters, »du kümmerst dich um diesen Richter. Stell fest, wie der Junge in den Besitz der Waffe gekommen ist.« Beltel unterbrach sich für einen Moment, um dann fortzufahren: »Petra, wenn es dir irgendwie gelingen könnte, den Kids klarzumachen, dass wir sie nicht für Mörder halten, dann könnte ich mir sogar vorstellen, dass sie aufgeben. Je mehr der Junge sich jedoch in die Ecke gedrängt fühlt, desto gefährlicher wird er.«

      »Manfred, ich bin immer noch der Meinung, dass du dem Jungen zu wenig Aufmerksamkeit widmest. Er ist und bleibt unser Hauptverdächtiger«, warf Funk erneut ein. »Seine Flucht, jetzt die Waffe, so viel spricht gegen ihn. Was ist, wenn einer seiner Freunde uns die dämlichen Gedichte zukommen lässt, einfach um von Ralf abzulenken?«

      »Auch da muss ich einwenden, dass ich die Jungs für keine Privatdetektive halte. Unser anonymer Schreiber hat ganz schön viel Privates über den Ermordeten in Erfahrung gebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jugendlichen – du hast sie selbst gestern kennen gelernt – diese Infos in so kurzer Zeit zusammenbekommen hätten. Außer Petra sind noch eine Menge Schutzpolizisten hinter Ralf Schmitter und Jessica Carlius her, und das reicht im Moment. Sollte sich herausstellen, dass dieser Horst Richter auch ein Präzisionsgewehr der Marke McMillan im Besitz hatte, dann werde ich meine Ansicht revidieren und wir werden uns intensiv um den Jungen und seine Freundin kümmern.« Beltels letzter Satz und der Ton, in dem er ihn ausgesprochen hatte, ließen erkennen, dass er diese Diskussion keinesfalls weiterführen wollte.

      Funk nickte. »Gut, wenn du meinst. Du bist der Chef, und deine Argumente machen Sinn.«

      Beltel schaute in die Runde. Auch die anderen schienen einverstanden zu sein.

      »Wie allen bekannt sein dürfte, gibt es jemanden, der uns anonyme Botschaften zukommen lässt«, ging Beltel zum nächsten Punkt über und schrieb »Poet« auf den Papierblock. »Durch diesen Anonymus, den wir ›Poet‹ genannt haben, sind wir auf eine Person namens Dariuz Martiniak gestoßen«, fuhr er fort und notierte den Namen. »Nirbach hat Martiniaks Schwester anscheinend geschwängert und zu einer Abtreibung gezwungen. Unseren Informationen zufolge hat Martiniak sich deshalb mit Nirbach angelegt. Man hat uns erzählt, dass Nirbach seinem Widersacher danach einen Diebstahl unterschob und ihn so ins Gefängnis gebracht hat. Dariuz Martiniak ist Pole. Nach seiner Haft in Deutschland wurde er nach Polen abgeschoben. Das sind im Moment nur Informationen aus zweiter Hand, denen wir nachgehen müssen, denn sollten sie stimmen, könnten sie ein Motiv für einen Mord sein.«

      Dirk Wagner hob den Finger. Beltel nickte ihm zu.

      »Und dieser Poet hat euch auf die Spur dieses Polen gebracht?«, wollte Wagner wissen.

      »Ja, und das hat mit Sicherheit etwas zu bedeuten. Aber unser Poet legt es darauf an, uns zu verwirren. Wir haben bereits einen zweiten Hinweis erhalten, und ich glaube, es werden weitere folgen. Aber auf diesen anonymen Schreiberling werde ich zum Schluss noch mal eingehen. Betrachten wir erst mal das, was er uns geliefert hat.« Beltel wandte