Tod eines Jagdpächters. Thomas Sutter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Sutter
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783898018074
Скачать книгу
bekannt, der ein Gewehr besitzt. Und zu Ihrer dritten Frage: Ralf war nicht in einem Schützenverein, und ich kann mir nicht denken, dass er jemals mit einem Gewehr geschossen hat.«

      Beltel nickte und lächelte freundlich. »Wir danken Ihnen für Ihre ehrliche Auskunft, Frau Dederichs. Sie wissen sicher, dass Sie einen weiteren Mann namens Klötsch, der Nirbach geholfen hat, Ralf zusammenzuschlagen, anzeigen können? Ich an Ihrer Stelle würde dies tun.«

      »Eine Anzeige ist erst mal nicht das Wichtigste. Die können wir in die Wege leiten, sobald Ralf wieder da ist. Ich hoffe nur, dass ihm nichts passiert ist.« Die Erzieherin begleitete die beiden Polizisten zum Ausgang des Kindergartengeländes. Beltel und Funk verabschiedeten sich und begaben sich in die Richtung ihres Wagens.

      Der Poet

      Er war schon lange nicht mehr in so einem Waldgebiet gelaufen. Er hatte nicht vor, sich noch einmal richtig in Form zu bringen. Diese Art von Ehrgeiz wäre sinnlos. Es ging nur um dieses herrliche Gefühl der Freiheit beim Laufen, das er lange vermisst hatte. Die frische Luft, fernab von Verkehrsstraßen. Die Ruhe des Waldes und die Erinnerung an den militärischen Drill, der ihm vor langer Zeit so viel gegeben hatte. Außerdem hatte er vor diesem kleinen Lauf die Aufgabe eines Boten erfüllt. Eine Nachricht hinterlassen. Verschlüsselt, aber klar genug, um ein wenig Licht in eine Angelegenheit zu bringen, die ihm seit Langem am Herzen lag. Er grüßte die beiden Männer, von denen er wusste, dass sie Polizisten waren und er war sicher, dass sie seine verschlüsselte Nachricht als richtige Spur deuten würden. Etwas schneller trabte er in die Frische des Waldes.

      Außerhalb einer größeren Stadt wie Bonn sind die Menschen in der Regel freundlicher, dachte Beltel mit einem Blick auf den Sportler. Deshalb lebte er auch in Altenahr. Dort waren sogar die großstädtischen Kegelclubtouristen freundlich, besonders, wenn sie besoffen und ausgelassen waren.

      Noch wenige Meter vom Auto entfernt, glaubte Beltel an ein Knöllchen. Aber beim Näherkommen sah der Zettel unter der Windschutzscheibe nicht nach etwas Amtlichem aus. Funk hatte ihn zuerst in der Hand. Er entfaltete das Blatt vor den Augen seines Vorgesetzten und las laut:

      Der Jäger jagte nicht nur das Tier

      Auch Frauen gehörten in sein Revier

      Da war ein schönes Mädchen aus Polen

      Dem hat er die Unschuld gestohlen

      Das arme Mädchen wurde schwanger

      Der Jäger wollte nicht an den Pranger

      Ivonna Martiniak pflückte Erdbeeren in Loch

      Wahrscheinlich tut sie das immer noch

      Funk sah Beltel fragend an. »Was für ein Poet hat uns denn dieses Gedicht untergejubelt?«

      Beltel war überfragt. Reimen konnte die Person, aber als Poet wollte der Kriminalhauptkommissar sie nicht unbedingt betiteln.

      »Da will uns offensichtlich jemand etwas über Nirbach mitteilen.«

      »Meinst du wirklich?«

      »Es scheint mir, dass wir die Zeilen ernst nehmen sollten.«

      Funk nahm ein Tütchen aus dem Handschuhfach und steckte den Zettel dort hinein. »Ja und, was nun?«, wollte er wissen.

      »Fahren wir nach Loch. Dort arbeiten polnische, rumänische und Menschen anderer osteuropäischer Nationalitäten als Saisonarbeiter. Fragen wir mal nach einer Ivonna Martiniak. Lassen wir die Kollegen weiter nach Ralf Schmitter suchen. Heute Nachmittag können wir noch mal mit seinen beiden Kumpeln reden, aber du glaubst doch auch nicht, dass der Junge dahintersteckt?« Beltel hatte schon die Wagentür geöffnet und stieg ein.

      »Warum ist er dann abgehauen? Das sieht doch sehr nach einem schlechten Gewissen aus. Außerdem war er kein pubertierendes Bürschchen mehr, Manfred. Bei so einer Vergangenheit hat eine ganz andere Entwicklung stattgefunden als bei einem Kind aus normalen Verhältnissen. Wie oft ist es in der letzten Zeit vorgekommen, dass Jungen in seinem Alter dutzendweise Mitschüler und Lehrer abgeballert haben?« Funk war ebenfalls eingestiegen. Vor ihnen ging eine Frau mit einem Dackel an der Leine in Richtung Wald.

      Beltel musste wegsehen. »Die Kollegen von der Spurensicherung gehen trotz weniger Anhaltspunkte davon aus, dass der Schuss aus etwa zweihundert Metern abgegeben wurde. Das heißt, der Täter muss mindestens hundert Meter von der Lichtung entfernt und dicht von Bäumen umgeben gewesen sein. Nirbach befand sich zwar auf der Lichtung, aber dennoch, da muss man erst mal einen Standpunkt finden, der einigermaßen freie Sicht und Flugbahn erlaubt. Hat man den, muss man die Konzentration eines Schachweltmeisters beibehalten. Ich habe beim Bund nicht viele Scharfschützen kennengelernt, die so etwas hingekriegt haben. Wir kennen zwar den Gewehrtyp noch nicht, aber es handelt sich in jedem Fall um eine Präzisionswaffe. Da kommt man nicht leicht ran. Also erstens traue ich einem fünfzehnjährigen, an der Waffe unausgebildeten Jungen so einen Schuss nicht zu und zweitens glaube ich auch nicht, dass er sich so ein Gewehr besorgt haben könnte.«

      »Okay, Manfred, gehen wir diesem mysteriösen Gedicht nach und fahren nach Loch. Dennoch sollten wir keine Scheuklappen anziehen. Auch wenn ich deine Überlegung nachvollziehen kann, unser Hauptaugenmerk sollte trotzdem auf Ralf Schmitter liegen.«

      »Früchte des Zorns«

      Kurz hinter Rheinbach begannen die Hügel. Willkommen in der Eifel, hieß es hier für die Flachländer. Es war sonderbar. Plötzlich befand man sich in einer vollkommen anderen Landschaft. Irgendwie hatte man das Gefühl, als würden hier die Uhren anders ticken.

      Nach fünf Kilometern Waldstrecke erblickte man Loch in einem Tal. Die Hütten, in denen die Erdbeerpflücker untergebracht waren, befanden sich oberhalb von Loch, einem Teil, der sich Queckenberg nannte. Hinter der Kreuzung, an der es rechts nach Flamersheim und Euskirchen und links nach Altenahr ging, wand sich die Straße durch einen relativ neuen Dorfteil nach oben.

      Beltel war hier schon gewandert, auf dem Weg von Rheinbach nach Bad Münstereifel. Von Merzbach kommend musste man hier durch. Allerdings rechts von dieser Straße, sozusagen durch Lochs Altstadt. Besonders ein Fachwerkhäuschen unten am Dorfrand, mit einer zugewachsenen Terrasse, war ihm immer wieder aufgefallen. Der Innenhof mit der alten Scheune, der im Sommer zum draußen sitzen einlud, hatte ihn auf den Gedanken kommen lassen, sein Häuschen in Altenahr zu verkaufen und sich so etwas Schönes zu suchen.

      Aber er war ein Gewohnheitsmensch und wusste, er würde diesen Wunsch nicht in die Tat umsetzen. Schon der Gedanke, dass dieser komische freche Dackel ihn für eine Zeit aus seinem gewohnten Rhythmus brachte, war zu viel. Ein Umzug mit dem Inventar eines ganzen Hauses, eine neue Nachbarschaft und eine neue Umgebung schreckte zu sehr, als dass er ihn wirklich in Angriff nehmen würde.

      Beltel bog links oberhalb der Kirche in Richtung Madbachtalsperre ein und hielt nach wenigen Metern.

      Die Unterkünfte der Saisonarbeiter waren leer und auch der Hof wirkte wie ausgestorben. Nur die Wäscheleine, auf der die Sachen einer ganzen Kompanie zum Trocknen hingen, zeugte von Leben. Nach zweimaligem Läuten trat eine Bäuerin aus dem Haus, das den Hof in L-Form umgab. Die Polizisten stellten sich vor und erklärten, dass sie gerne mit einer Frau namens Ivonna Martiniak reden würden.

      »Grete Much«, machte die Bäuerin sich bekannt. »Ivonna ist auf dem Erdbeerfeld. Ist etwas passiert? Hat sie etwas verbrochen?«

      Beltel erklärte, dass Karl Nirbach ermordet worden war und dass davon auszugehen war, dass Ivonna den Mann gekannt hatte.

      Die Bäuerin war schockiert. »Der Nirbach ist tot?«

      Die Polizisten antworteten nur mit einem kurzen Nicken und Frau Much fuhr fort. Nun war Groll in ihrer Stimme zu erkennen. »Man soll die Toten ja ruhen lassen und ermordet zu werden ist wirklich ein Grauen, aber viele Tränen werden diesem Mann bestimmt nicht nachgeweint. Das kann ich mir nicht anders vorstellen. Allein die Geschichte mit der Ivonna war eine Sauerei. Der Mann hatte hier in der Gegend überhaupt keinen guten Ruf. Da können Sie sich ruhig umhören.«

      »Welche Geschichte mit der Ivonna gibt es denn da?«, erkundigte