Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Silke Böschen
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839268063
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Sie rühren sich etwa einen halben Teelöffel in ein Glas Wasser, jeden Morgen, oder wann immer Sie sich ermattet fühlen, und Sie werden sehen, bald sind Sie wieder ganz die Alte!«

      Argwöhnisch betrachtete Florence die kleine Tüte aus braunem Packpapier. Es stand kein Schriftzug, kein Zeichen darauf. »Haben Sie vielen Dank, Herr Doktor. Gern werde ich Ihre Empfehlungen annehmen.«

      Zumpe strich über seine Tasche und erhob sich. »Sehr schön, verehrte Frau de Meli, es ist zu Ihrem Besten, glauben Sie mir!«

      Florence brachte ihn zur Tür. Dann faltete sie das Tütchen auseinander und sah hinein. Ein grauweißes Pulver, es roch eigenartig. Sie rollte die Tüte wieder zusammen. Was für ein merkwürdiger Besuch. Sie ging in ihr Schlafzimmer und steckte das Tütchen in ihren Beutel. Sie würde es dem Inhaber der Löwen-Apotheke zeigen, um herauszufinden, welche Inhaltsstoffe tatsächlich in dem Pulver steckten. Sie sah auf die kleine Konsolenuhr. Die Kinder warteten bestimmt seit einer Viertelstunde auf sie. Florence schlüpfte in ein Paletot und eilte durch die leere Wohnung. Ihre Schwiegermutter schien unbemerkt gegangen zu sein. Im Kinderzimmer angekommen standen Minnie und Henry tatsächlich schon in Jacke und Mantel und warteten auf ihre Mutter.

      Die Oktobersonne machte aus diesem Tag eine matte Erinnerung an den Sommer. Die Bäume waren noch voll belaubt. Nur das Grün ihrer Blätter war dunkel und staubig geworden. Bald würden die ersten Herbststürme über Sachsen ziehen, und dann ging es immer ganz schnell, dachte Florence mit einem Anflug von Melancholie, als sie aus dem Droschkenfenster blickte. Der Wagen rollte an der Bürgerwiese vorbei, links herum in die Waisenhausstraße.

      »Aber, Mommy, du hast gesagt, wir trinken Kakao im Belvedere«, jammerte Henry, als die Droschke vor der Löwen-Apotheke hielt.

      »Das tun wir auch. Vorher muss ich schnell in die Apotheke. Es dauert nicht lange«, beruhigte sie ihn.

      Die Kinder warteten im Wagen, während ihre Mutter Dresdens älteste Apotheke betrat.

      Ein freundlicher Herr in weißem Kittel bediente sie. Als Florence ihm das Papiertütchen gab, öffnete er es mit spitzen Fingern. »Von ihrem Arzt? Soso. Ungewöhnlich, dass gar keine Bezeichnung darauf steht«, sagte er und guckte Florence durchdringend an. »Kenne ich den Kollegen? Es ist nicht üblich, dass ein Medicus ein Präparat verabreicht – ohne den Patienten, pardon, die Patientin, vollständig zu informieren«, murmelte er.

      »Es handelt sich um unseren Hausarzt. Ein sehr erfahrener Mediziner. Sein Name tut hier nichts zur Sache. Könnten Sie dieses Pulver bitte überprüfen? Er sprach von einer Art ›Heilerde‹. Ich weiß nicht recht …«, entgegnete Florence.

      »Selbstverständlich werde ich mich darum kümmern. Schauen Sie doch morgen wieder vorbei. Oder lassen Sie mir Ihre Anschrift da, falls ich Rückfragen habe«, sagte der Apotheker.

      »De Meli, Florence de Meli. Räcknitzstraße 7«, antwortete Florence und kaufte noch ein Tütchen Salmiakbonbons für die Kinder und Kopfschmerztabletten für sich selbst. Ob es am Wetter lag? Oder hatte es ihr Dr. Zumpe eingeredet? Florence fühlte sich tatsächlich nicht besonders gut. Sie schob es auf das Wetter. Diese sommerlichen Temperaturen im Herbst bekamen ihr nicht. Und vielleicht sollte sie sich das Rauchen tatsächlich abgewöhnen, dann würden sie die Kopfschmerzen weniger häufig plagen, überlegte sie.

      Kaum war sie zurück in der Droschke, belagerten sie ihre Kinder. »Mommy, hast du uns etwas mitgebracht?«

      Florence zog die Salmiakbonbons aus dem Beutel. Die restliche Fahrt über den Pirnaischen Platz bis hin zur Elbe war sie durch Henry und Minnie abgelenkt und verscheuchte alle Gedanken an Unwohlsein und Mattigkeit. Als sie dann am Flussufer entlangspazierten, kam ihr der Besuch von Dr. Zumpe immer befremdlicher vor. Hier, in der Sonne inmitten vieler anderer Mütter und Kindermädchen, zwischen Flaneuren und spielenden Kindern, fühlte sie sich ganz lebendig. Von Abgeschlagenheit keine Spur. Auch im Belvedere auf der Brühl’schen Terrasse ließ sie sich von der lebhaften Stimmung ringsherum anstecken. Das große Café mit seiner unvergleichlichen Aussicht auf die Elbe hatte vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr die Terrasse geöffnet. Und beinahe jeder Tisch war besetzt. Florence hielt den Schirm schräg, um nicht von der Sonne geblendet zu werden auf der Suche nach einem freien Platz, als Minnie sich losriss und davonrannte. Ihr Bruder stürzte hinterher. Der Kies spritzte zur Seite, bis die Kinder völlig außer Atem drei leere Stühle eroberten.

      Eine ältere Dame hob ihre Stielbrille an die Augen und starrte zu Florence und ihren ausgelassenen Kindern. »Typisch, diese Yankees. Glauben wohl, überall ist der Wilde Westen!« Die Frau schüttelte den Kopf.

      Ihre Begleiterin nickte und schluckte schnell das Stückchen Kuchen hinunter: »Ja, da haben Sie etwas Wahres gesagt. Aber die Stadt ist ja voll von Amerikanern. Und von Engländern. Man hört es überall. Dabei heißt es immer, diese Leute kommen zu uns, um Deutsch zu lernen. Wenigstens sollten sie Benimm lernen.« Zur Bekräftigung klopfte sie mit der Kuchengabel auf ihren leeren Teller.

      Ihre Freundin sah sie verwundert an. »Tischmanieren?«, fragte sie gedehnt.

      Die andere legte schnell die Gabel zur Seite und tupfte sich den Mund ab. »Jaja, auch Tischmanieren …«, murmelte sie und wechselte schnell das Thema.

      Florence bemerkte das Missfallen am Nachbartisch. Sie lächelte den beiden alten Dresdnerinnen versöhnlich zu, die dies mit gekräuselten Lippen erwiderten. Florence zuckte mit den Achseln. Sie wollte die Zeit mit ihren Kindern genießen. Sie waren unter sich. Keine Kinderfrau. Kein schlecht gelaunter Ehemann, keine Schwiegermutter. Es war herrlich! Die Kinder durften so viel Kuchen essen und Kakao bestellen, bis sie nicht mehr konnten. Auch Florence musste den Teller mit dem halb aufgegessenen Stück Marzipantorte zur Seite stellen.

      »Jetzt sind wir alle kugelrund! Da hilft nur ein kleiner Spaziergang.« Sie strich über Minnies Wange und wischte einen Krümel aus dem Kindergesicht. Das Leben war auf einmal leicht. Florence gab Henry einen Kuss auf die Stirn, während sich Minnie an ihrem Bein festhielt. »Wir müssen nach Hause, leider. Aber wir steigen in der Prager Straße aus, versprochen. Und dann schauen wir noch bei Hempels vorbei, und ihr dürft euch etwas aussuchen!«

      Minnie jubelte bei der Aussicht auf noch mehr Süßigkeiten an diesem Nachmittag. Und Henry zeigte auf den nächstgelegenen Droschkenstand. »Wenn wir zur Konditorei fahren, dann sollten wir sofort aufbrechen!«, übernahm er das Kommando.

      Wenig später rollten sie durch die breite Einkaufsstraße, um vor Hempels Konditorei zum Stehen zu kommen. Dort kauften sie reichlich Schokolade und Marzipan.

      »Den Rest machen wir zu Fuß. Jetzt ist es nicht mehr weit«, rief Florence, und die drei setzten ihren Weg fort.

      »Nanu, woher kommt ihr denn? Wollt ihr einfach grußlos an mir vorüberziehen?« Die Stimme gehörte Antoinette de Meli. Und sie klang nicht freundlich. Florence hatte ihre Schwiegermutter gar nicht erkannt unter dem Sonnenschirm, mit dem sie ihr Gesicht verbarg. Mit einem Schlag war die Unbekümmertheit dahin.

      Während Minnie sich aus ihrer Hand löste und auf die Großmutter zusprang, blieb Florence verhalten: »Das ist eine Überraschung. Ich habe dich tatsächlich nicht gesehen. Die Sonne blendet so.«

      »Ach, komm nur her, kleine Minnetta! Du hast mich gleich gesehen, nicht einfach ignoriert wie deine Mutter!«

      »Antoinette, das stimmt nicht, wir kommen doch gerade aus Hempels Konditorei. Wir waren einkaufen«, versuchte es Florence.

      »Das sehe ich.« Antoinette deutete auf die prall gefüllte Papiertüte mit dem verschnörkelten Emblem der Konditorei. »Ihr habt alles gekauft, was euch gefiel, was, Kinder?« Es klang boshaft.

      Henry nickte eingeschüchtert. Minnie legte den Kopf schief. »Granny, nicht böse sein!«

      Antoinette tätschelte ihre Wange. »Nein, mein Kind, mit euch bin ich nicht böse. Ihr seid doch noch viel zu jung.« Sie sprach liebevoll zu dem Mädchen. Florence atmete innerlich auf. Minnie hatte einen ganz besonderen Zugang zu der alten Dame. Gott sei Dank! Doch Antoinette de Meli war noch nicht fertig. »Florence, du verwöhnst die Kinder viel zu sehr. Was soll das? Sie werden verweichlicht, schau dir nur deinen Sohn an!«, sagte sie mit schneidender