Die Fahrt der Steampunk Queen. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658586
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      »Altes vergeht«, flüstere ich dem Würfel zu und Thalassa vergießt eine weitere Träne. Mein Umsturz wird kommen, der der anderen wird dagegen klein sein.

      22. Mai

      Eine weitere italienische Stadt ist erreicht. Faschistische Demonstranten bleiben uns in Neapel erspart. Ich bleibe an Bord, bleibe in meiner Kabine an der Seite Thalassas, und doch erkenne ich mit einem Blick, wie anders Neapel im Vergleich zu Genua ist.

      Die Stadt hängt Jahrzehnte hinterher, der Fortschritt hat kaum Einzug gehalten. Da verwundert es nicht, dass heute ein Ausflug nach Pompeji geplant ist. Dort ist das Alte konserviert, frühere Leben, eingeschlossen in Asche.

      »Das Alte vergeht«, wiederhole ich. Aber es verschwindet nie vollständig.

      Ich nehme den Würfel und betrachte ihn von allen Seiten. Er ist für die Ewigkeit konstruiert. Thalassa wird in ihm konserviert. Doch im Gegensatz zu den veraschten Bewohnern Pompejis ist Thalassa noch sehr lebendig. Sie kann um ihr Schicksal weinen.

      Ich warte mittlerweile auf jede Träne, die zwischen den Platten hervorquillt, kann es nicht mehr erwarten, sie auf der Zunge zu schmecken. Ihr Bild steht klar vor meinen Augen. Sie ist nicht länger durchsichtig, sondern hat eine klare Kontur. Ihre Form zeichnet sich gegen die anderen Elemente ab. Sie steht vor dem Himmel, sie steht vor der Erde, sie steht vor dem Feuer.

      Sie steht vor dem Feuer.

      25. Mai

      Die Passagiere und die Mannschaft nehmen mich nicht mehr wahr. Sie sehen mich nicht, wenn ich mich zwischen ihnen bewege. Sie hören meine Worte nicht, doch ich spreche sowieso wenig. Ich fließe unsichtbar wie teilnahmslos zwischen ihnen, in den wenigen Momenten, wenn ich meine Kabine verlasse.

      Nur der mechanische Mann sieht mich noch, blickt mich mal traurig, mal gehetzt an. Aber wir sprechen nicht, halten nicht voreinander inne.

      Wir liegen vor Tunis, Nordafrika, und einige der Passagiere haben sich zu den Ausgrabungsstätten von Karthago aufgemacht. Die mythische Stadt, hingeschlachtet und verschlissen.

      Eine Sagenstadt. Und an Bord der Steampunk Queen Sagengestalten. Thalassa in ihrem Würfel ist dagegen normal. Die Technik hat die Magie abgelöst, aber das Sagenhafte ist geblieben.

      Das Schiff schwebt über dem Wasser, die Dampftechnik lässt uns immer schneller die Welt erobern und sogar künstliches Leben erschaffen. Der mechanische Mann lässt mich darüber nachdenken, wie echt ich selbst eigentlich noch bin.

      Ich scheine mich in der Realität zu verzerren. Thalassa, die Sagengestalt, gefangen in der sagenhaften Technik des Würfels. Es ist eine Veränderung, eine Umkehrung gar.

      Ich nehme es an, dieses Opfer, jetzt nach der ersten Nord-Süd-Passage. Seit heute weine ich selbst.

      28. Mai

      Wo, Malta, ist deine stählerne Zunge? Du bist unter fremder Herrschaft in die Bedeutungslosigkeit versunken. Es legt sich eine Traurigkeit auf mein Gemüt, die umso schwerer wiegt, als ich den Motor des Ausflugsboots vernehme.

      »Wie bedeutungsvoll wirst du noch sein«, flüstere ich und streichle den Würfel. Wir weinen gemeinsam, Thalassa und ich. Nur ich allein schmecke beide Tränen.

      Ich bin noch ausgezehrter als zuvor, entrücke dieser Realität weiter. Glaube ich, kann es aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich fühle die Bewegungen des Meeres durch den Schiffsrumpf, das Zittern des Wassers, ausgelöst von den Dampfmaschinen, die die Steampunk Queen vorwärts schieben. Das alles spüre ich überdeutlich.

      Vor einigen Tagen habe ich den Apparat gesehen, der Bilder einer parallelen Welt zeigt. Die Magie benötigen wir nicht mehr, es wird deutlicher und deutlicher. Dabei spreche ich mich für sie aus, nun, da sie langsam und stetig in mich einsickert.

      Malta, ich sehe eine andere Realität ohne diesen Apparat, wo du deine stählerne Zunge gespitzt hast, dein stählerner Arm weit reicht und gewaltige Dampfmaschinen deine Inseln durch das Meer schieben. Oder ist es Trug?

      »Thalassa, sag mir, wie bewegen sich die Inseln auf dir?«, flüstere ich und falle in einen unruhigen Schlaf.

      1. Juni

      Meine Gedanken wandern ein Labyrinth hinab, haben keinen Faden, der sie wieder hinausführt. Die Steampunk Queen liegt wieder in einem Hafen, auf Kreta, denke ich. Ich höre die Dampfmaschinen einer Stadt, die Dampfmaschinen der Schiffe, alles trägt sich fort durch das Meer, weiter über den Schiffsrumpf in meine an die Wände gepressten Hände.

      Da, Zahnräder, die ineinandergreifen. Ist der mechanische Mann noch an Bord? Oder ist es der Schachapparat? Der Projektor, der Bilder einer anderen Welt zeigt? Ist es das Schiff selbst, das große Uhrwerk, das es am Leben hält? Die Dampfgrammofone, die mechanische Musik spielen?

      Ich nehme den Würfel, flüstere sinnfreie Worte zu Thalassa. Feine Mechanik verschließt das Innere. Die Platten liegen artig aneinander. Eine Träne quillt hervor. Sie hat den Weg hinausgefunden. Ich nehme sie auf die Fingerspitze und diese in den Mund. Es schmeckt salzig. Ein blauer Abgrund in der Mitte des Labyrinths.

      3. Juni

      Wir ankern vor einem kleinen Küstenort. Zypern, denke ich. Durcheinanderredende Menschen, ein stotternder Dampfmotor. Das Ausflugsboot startet. Ich liege auf dem Bett, halte den Würfel an meine Brust und stütze mich auf den einen klaren Gedanken, der mir bleibt. Ich bin noch hier.

      Die West-Ost-Querung ist beendet. Es bleibt nur noch eine Station übrig. »Thalassa, bald ist es vorbei.« Ich weiß nicht mehr, was das bedeutet.

      Ich sehe eine Figur, die den Schaumkronen der Wellen entsteigt. Sie öffnet sich und lächelt freundlich. Ist sie es? Sie sieht so anders aus. Nein, nein, die Tochter entsteigt hier dem Meer. Aphrodites Lächeln wandelt sich zur Anklage. Ihre Augen sagen, dass es nun keine Liebe für mich mehr geben wird.

      Meine Finger liegen auf der Schließmechanik des Würfels und ich kann sie gerade noch davon abhalten, sie zu betätigen. Ich kann Thalassa nicht freilassen. Trotz aller Anklagen.

      Nein, nicht mehr lang. Morgen, morgen gehe ich wieder an Land, verlasse dieses verdammte Schiff. Was wollte ich?

      4. Juni

      Es ist Abend und ich geh kurz nach dem Anlegen von Bord. Verlasse die Steampunk Queen, werfe einen letzten Blick auf die Schaufelräder, auf die Schornsteine und spüre dem Vibrieren der Dampfmaschinen nach. Ich bin erholter als in den letzten Tagen.

      Das Meer ist gequert und ich beeile mich, mit schnellen Schritten den Hafen von Alexandria zu verlassen und einen ruhigen Abschnitt am Meer zu suchen.

      Alexandria, früherer Leuchtturm des Wissens, vergangen, hinfortgespült. Wie mein Wissen fortgespült wurde, zuerst in Tränen angereichert, dann von ihnen erstickt.

      Die Tränen sind versiegt. Der Würfel liegt schwer in meiner Hand. Ich glaube, es ist alles auf mich übergegangen. Aber nun will ich es nicht mehr. Es ist nicht das, was es sein sollte. Ich kann das Meer nicht aufnehmen. Ich will es nicht.

      Ich will den Würfel öffnen. Mit einem Handgriff ist der Schließmechanismus gelöst und der Würfel faltet sich auseinander. Das enthaltene Wasser beginnt, eine Form zu bilden, richtet sich auf, zeigt Konturen, ein Gesicht und schließlich steht Thalassa vor mir.

      »Verzeih«, flüstere ich und weiß, dass es kein Verzeihen geben wird, kein Verzeihen geben kann.

      Sie tritt einen Schritt zurück. Ich trete einen Schritt vor. Der Würfel faltet sich. Blaue Unendlichkeit.

thalassa

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