Im Schlaraffenland. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962818357
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Zwei­fel. Je­mand sag­te:

      »Mit die Bee­ne will er an­geln gehn?«

      Der lan­ge, ha­ge­re Herr zuck­te ge­heim­nis­voll die Ach­seln und ver­lang­te den­noch Fünf. Aber es folg­ten ihm nur we­ni­ge.

      Die Sie­ben lief ins Ziel. An­dre­as schob ru­hig den ihm ver­blei­ben­den Ge­winn in die Ho­sen­ta­sche, rich­te­te den Kopf auf und blick­te kurz um sich, mit dem Ent­schluss, demje­ni­gen recht fest ins Auge zu se­hen, der zu lä­cheln wag­te. Aber sein Be­neh­men schi­en im Ge­gen­teil et­was wie Be­wun­de­rung her­vor­zu­ru­fen. Als er vom Ge­län­der zu­rück­trat, blin­zel­te ihm der Ha­ge­re, der ver­lo­ren hat­te und wei­ter­spiel­te, nei­disch nach.

      »Bra­vo!« hör­te er hin­ter sich je­mand sa­gen. Er ge­wahr­te Türk­hei­mer, der end­lich ge­won­nen hat­te, und der ihn wie­der, wie am Be­ginn des Abends, zu ei­ner Be­grü­ßung auf­zu­for­dern schi­en. Sie wech­sel­ten eine höf­li­che Ver­beu­gung.

      Als An­dre­as schon die Por­tie­re er­grif­fen hat­te, fühl­te er eine Hand auf sei­ner Schul­ter. Herr Lieb­ling sah ihm ernst und fei­er­lich in das Auge, sein schwar­zer Bart zit­ter­te ein we­nig, be­vor er sag­te:

      »Hal­ten Sie mich nicht für auf­dring­lich, mein lie­ber Herr, Herr – re…«

      »Zum­see«, er­gänz­te An­dre­as.

      »Hal­ten Sie mich nicht für auf­dring­lich, wenn ich Ih­nen sage: Spie­len Sie nie­mals wie­der! Die­se Mah­nung hät­te man­chen vor Scha­den be­wahrt, wenn sie ihm recht­zei­tig zu­teil ge­wor­den wäre. Sie ha­ben viel­leicht be­merkt, dass dem Neu­ling be­son­de­res Glück zu­ge­schrie­ben wird. Welch al­ber­ner Aber­glau­be!«

      »Du hast doch auch ein biss­chen da­von pro­fi­tiert«, dach­te An­dre­as.

      »Ich gebe zu, dass man ein­mal ge­spielt ha­ben muss«, sag­te Lieb­ling mil­de. »Aber nie zum zwei­ten Mal. Hier fängt die Sün­de an«, setz­te er ein­dring­lich hin­zu, in­dem er dem jun­gen Man­ne warm und kräf­tig die Hand schüt­tel­te.

      Be­vor An­dre­as den Tür­vor­hang hin­ter sich fal­len ließ, hör­te er ein paar Stim­men.

      »Alle Ach­tung, der kann so blei­ben!«

      »So ’n Ben­gel, der hat die Mit­tel, mit de­nen man was wird!«

      »Wa­rum soll­te ich mir das Spie­len an­ge­wöh­nen?« sag­te sich An­dre­as, wäh­rend er durch den Ball­saal schlen­der­te. »Hal­ten sie das Spiel für eine Lei­den­schaft? Ich sehe nicht ein, warum ich mein Geld wa­gen soll­te, so­lan­ge ich ge­nug habe. Wenn es auf die Nei­ge geht, dann – sage ich nichts.«

      Er ließ den Blick über die Men­ge der Da­men glei­ten, ohne Frau Türk­hei­mer zu fin­den. Dann trat er auf die Ga­le­rie hin­aus und zog heim­lich, ganz heim­lich sei­ne sil­ber­ne Uhr. Es war kurz nach drei.

      Lang­sam stieg er ins Ves­ti­bül hin­ab. Er brauch­te jetzt nicht um sei­ne Hal­tung zu sor­gen, wie da­mals, vor fünf Stun­den, als er die­se Stu­fen em­por­stieg. Sei­ne Sin­ne wa­ren frei, er prüf­te in den wand­ho­hen, ge­schlif­fe­nen Spie­geln sei­ne Mie­ne und stell­te fest, dass es die­je­ni­ge ei­nes Tri­um­pha­tors sei. Er ver­moch­te jetzt den Duft und die Au­gen­wei­de der ho­hen He­lio­tropsträu­cher, der Orchi­de­en und der pur­pur­nen Kak­tus­ar­ten zu ge­nie­ßen, die an dem Ge­län­der aus durch­bro­che­nem Schmie­de­ei­sen ent­lang von Stu­fe zu Stu­fe sich türm­ten und die brei­te Trep­pe in einen hän­gen­den Gar­ten ver­wan­del­ten. Auf dem Stie­gen­ab­satz stan­den Ru­he­bän­ke, die in ge­punz­tem Le­der das Wap­pen des Hau­ses tru­gen: einen Tür­ken, der den Sä­bel schwang. An­dre­as nahm hier einen Au­gen­blick Platz und sah zwei Da­men, die den Ball ver­lie­ßen, vor­über­hu­schen. Er ver­folg­te das Blit­zen ih­rer Bril­lan­ten und die glei­ßen­den Re­fle­xe des durch Blät­ter­ge­flecht fal­len­den Lich­tes auf dem At­las ih­rer Ko­stü­me, und er sprach lei­se vor sich hin: »Ich habe euch!« Er wuss­te üb­ri­gens nicht ge­nau, was er sich bei die­sem großen Wor­te dach­te.

      Im Wei­ter­ge­hen gab er sich ver­nünf­ti­ge­ren Er­wä­gun­gen hin. In so ei­nem Ber­li­ner Hau­se ließ sich an ei­nem ein­zi­gen Abend eine Men­ge er­le­ben. Er ent­fern­te sich an­ders, als er ge­kom­men war, um vie­le Er­fah­run­gen und Kennt­nis­se be­rei­chert, die er doch nicht all­zu teu­er be­zahlt hat­te. Er war mit Liz­zi Laffé in ei­ner un­pas­sen­den Si­tua­ti­on zu­sam­men­ge­rannt, und er hat­te Asta Türk­hei­mer auf die Schlep­pe ge­tre­ten. Merk­wür­dig, sie ka­men ihm wie zwei Fein­din­nen vor. Er hat­te fer­ner im Ge­spräch mit den jun­gen Leu­ten hier und da ein pein­li­ches Schwei­gen her­vor­ge­bracht, und er hat­te vor den jun­gen Mäd­chen Furcht ge­habt. Dies war der ne­ga­ti­ve Teil sei­ner Er­fol­ge. Der po­si­ti­ve be­stand dar­in, dass er von Frau Türk­hei­mer gnä­dig be­han­delt wor­den war, so gnä­dig, dass es vie­len zu den­ken ge­ge­ben hat­te und dass man nicht wis­sen konn­te, was dar­aus wer­den wür­de.

      »Ich habe wohl Glück ge­habt«, sag­te sich An­dre­as, »aber wenn ich nicht auch Vor­sicht und Über­le­gung be­sä­ße, und wenn ich nicht wüss­te, was ich will, hät­te ich dann wohl das da in der Ta­sche?«

      Und er tas­te­te nach dem Tau­send­mark­schein.

      Dr­un­ten in der Gar­de­ro­be spran­gen meh­re­re ver­schla­fe­ne La­kai­en auf. An­dre­as konn­te sich ir­ren, aber er mein­te zu be­mer­ken, dass sie ihn dies­mal mit ei­nem ge­wis­sen Re­spekt be­han­del­ten. Vi­el­leicht be­sa­ßen sie Übung dar­in, den Ge­win­ner zu er­ken­nen?

      Nach­läs­sig über­reich­te er dem, der ihm sei­nen Kra­gen­man­tel aus Lo­den um­leg­te, eine Dop­pel­kro­ne, in­dem er heim­lich be­dau­er­te, kein Fünf­mark­stück zu be­sit­zen.

      Als er un­ter dem Por­tal stand, rief ihm je­mand nach:

      »Sie! Sehr ge­ehr­ter Herr, hö­ren­se­mal!«

      Kaf­lisch, vom »Nacht­ku­ri­er«, kam im Lauf­schritt, lä­chelnd und win­kend her­bei. Er schob sei­nen Arm un­ter den des jun­gen Man­nes.

      »Ge­hen Sie schon nach Hau­se?« rief er. »Ich auch, das trifft sich ja rei­zend. Köst­li­che Som­mer­nacht, was? Höchs­tens zwan­zig Grad. Neh­men wir ’nen Wa­gen?«

      In der gan­zen Hil­de­brandt­stra­ße er­glänz­te der Schnee von den Lich­tern der Wa­gen, die in ei­ner Dop­pel­rei­he von ei­nem Git­ter zum an­de­ren stan­den. Es wa­ren meis­tens herr­schaft­li­che Fuhr­wer­ke. Als sie ganz hin­ten eine freie Drosch­ke ers­ter Klas­se ge­fun­den hat­ten, frag­te Kaf­lisch:

      »Wo woh­nen Sie denn?«

      An­dre­as rief sei­ne be­schei­de­ne Adres­se, die ihm jetzt mit sei­ner so­zia­len Stel­lung in schrei­en­dem Wi­der­spruch zu ste­hen schi­en, voll In­grimm dem Kut­scher zu. Der Jour­na­list bat sich eine Zi­ga­ret­te von An­dre­as aus. Wäh­rend er sie an­brann­te, er­kun­dig­te er sich:

      »Nun, wie ge­fal­len Ih­nen Türk­hei­mers?«

      »Ein recht net­tes Haus«, mein­te An­dre­as.

      »Nicht wahr? Man isst, spielt und mopst sich nicht mehr als un­be­dingt nö­tig. Un­ge­niert, mit frei­em Ein­gang vom Flur, das ist die Haupt­sa­che. Das üb­ri­ge kann uns doch gleich sein.«

      »Wie­so?« woll­te An­dre­as fra­gen, doch