»Der sollten Sie den Hof machen«, sagte plötzlich Duschnitzki, der ihn teilnahmsvoll prüfend betrachtete.
»Dem Fräulein Asta? Warum denn?« fragte Andreas.
»Um ihre wohlwollende Neutralität zu erlangen.«
»Sehr richtig«, bemerkte Klempner. »Sie wissen wohl nicht, dass Asta die Liebhaber ihrer Mutter als ihre persönlichen Feinde betrachtet? Dem Ratibohr hat sie einen Streich gespielt.«
»Ein bösartiger Charakter, sage ich Ihnen!« rief Süß mit Tränen in der Stimme. Der reichliche Sektgenuss machte ihn weich und melancholisch. Andreas erkundigte sich:
»Ist Asta eifersüchtig auf ihre Mutter?«
»I wo! Sie verachtet die Mama!«
»So moralisch?«
»Moralisch aus Snobismus«, erklärte Klempner. »Asta fühlt das Bedürfnis, ihre soziale Stellung zu verbessern. Ihre Mutter könnte drei alte Grafen auf einmal haben, und sie würde sie ihr nicht übelnehmen. Aber gegen die jungen Talente hat sie nun mal ein Vorurteil.«
Andreas dachte an Kaflisch und sagte mit Betonung:
»Sie ist eben ein modernes Weib, mehr intellektuell als Geschlechtswesen.«
»Modern besonders im Geldausgeben«, versetzte Duschnitzki. »Sie kostet Türkheimer gerade so viel wie seine Maitressen.«
»Und das sollte eine Tochter doch nicht!« fügte Süß aufs höchste bekümmert hinzu. Duschnitzki fuhr fort:
»Und dabei verachtet sie auch Türkheimer mitsamt seinen Geschäften, und sie sagt es jedem, der es hören will!«
»Die Unglückliche! Sie ist aus der Art geschlagen!« jammerte Süß.
»Sie kauft sich einen Namen! Was ist denn so ’n abgetragener Name heute wert?«
»Kunststück!« meinte Klempner. »So ’nen Baron und gar ’nen Geheimrat vom Neuen Kurs kann sich doch jetzt schon der gute Mittelstand leisten, seit der Adel sich den Liberalismus anschafft, den wir abgelegt haben!«
Es wurden Schalen mit Zigarren und Zigaretten auf den Tisch gestellt. Andreas, der Feuer brauchte, ließ sich den silbernen Kandelaber herüberschieben. Dieser bestand aus einer fein ziselierten Säule, an der Colombine2 lehnte, die sich von einem Herrn küssen ließ. Pulcinello stand dabei und hielt den Leuchter, den er auf den Rand der Säule schob. Andreas sah die Welt rosenfarbig und verspürte Lust, sich für irgendetwas zu begeistern, erinnerte sich aber noch rechtzeitig, dass dies für unpassend galt. Er sagte daher einfach:
»Eine recht nette Arbeit!«
Duschnitzki bestätigte dies:
»Nichts dagegen einzuwenden!«
Klempner begann sogleich seine weinselige Beredsamkeit über die Bedeutung zu verbreiten, die der Pulcinellafigur in der Geschichte der Menschheit zukam. Er sah in ihr den komisch aufgefassten Typus des reinen Naturkindes, das ohne moralisches Vorurteil an die Dinge herantritt, zu Niederträchtigkeiten in seiner Unschuld ebenso geneigt wie zu Heldentaten, und er verglich sie mit Parsifal und Siegfried, die denselben Charakter von der tragischen Seite darstellten. Sein Blick glitt verschleiert und unsicher zu Andreas hinüber, er schien plötzlich eine Entdeckung zu machen und rief aus:
»Sie, mein Lieber, haben eigentlich was davon!«
Andreas war zu versöhnlich gestimmt, um auf Klempners Anzüglichkeit einzugehen. Er fragte:
»Wer ist der Künstler?«
Süß belehrte ihn mit rührseliger Entrüstung.
»Menschenskind, Sie kommen aus Gegenden, wo man Claudius Mertens nicht kennt? Blicken Sie mal dorthin, und Ihr Auge wird einem großen Manne begegnen!«
In der bezeichneten Richtung entdeckte Andreas einen breitschultrigen Herrn mit gutmütigem Gesicht, blondem Vollbart und nachlässig gebundener Krawatte. Er hielt das Bein übergeschlagen und eine Hand daraufgelegt, die ungewöhnlich kräftig aussah und so breite, gedrungene Finger hatte, dass Andreas zweifelnd das zerbrechliche Kunstwerk vor sich auf dem Tische betrachtete.
»Wie hat er das gemacht?« fragte er sich. Er äußerte:
»Claudius Mertens? Ich habe den Namen nie gehört.«
»Sie sind entschuldigt«, erklärte Duschnitzki. »Claudius ist über einen gewissen Kreis hinaus fast unbekannt, und das ist sein Ruhm. Er stellt nichts aus und arbeitet nur für ein paar Häuser wie Türkheimers, die ihn kolossal dafür bezahlen, dass er die Modelle seiner Werke vernichtet.«
»Merkwürdig!« meinte Andreas.
»Das ist das Feinste!« jammerte Süß. »Was für ’n großer Mann!«