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6.
DER SCHLANKE HOCHGEWACHSENE Mann streifte sich die schwarzen Handschuhe sorgfältig über die Finger, bevor er die gläserne Schwingtür aufstieß.
Der Mann, den man Sabato nannte, sah sich aufmerksam in der Halle des Apartmenthauses um. Der Portier war nicht da. Durch einen fingierten Anruf war er für einige Minuten weggelockt worden.
Mit raschen Schritten ging Sabato auf den Lift zu. Die Tür des Mittleren stand auf. Er ging hinein und drückte auf den Knopf für das achtzehnte Stockwerk. Mit sanftem Surren setzte sich der Lift in Bewegung. Ohne Halt erreichte er sein Ziel. Sabato stieg aus und ging zwei Stockwerke zu Fuß wieder hinunter.
Auf solche Kleinigkeiten legte er großen Wert. Sollte der Portier wieder in der Halle sein, würde er nur feststellen können, dass jemand ins achtzehnte Stockwerk gefahren war.
Aber sein Ziel lag im Sechzehnten.
Sabato hätte sein Ziel auch im Dunkeln gefunden. Er warf einen Blick auf seine teure Armbanduhr. Es war zehn Minuten nach Mitternacht. Sein Zeitplan stimmte auf die Minute. Der breite Korridor wurde von indirektem Licht nur schwach erleuchtet.
Vor einer Tür blieb er stehen. Mit einer gemessenen Bewegung zog er einen Schlüssel aus der rechten Manteltasche. Er schob ihn lautlos in das Sicherheitsschloss und öffnete die Tür.
In der Wohnung war es dunkel. Er wartete einen Augenblick, bis sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Sein Atem ging ruhig. Er wandte den Kopf und orientierte sich. Links lag eine kleine Küche, dahinter ein winziges Gästezimmer. So hatte man es ihm jedenfalls beschrieben.
Vorn lag ein geräumiges Wohnzimmer mit einem Balkon. Auf der rechten Seite befanden sich Bad und Schlafzimmer. Dort lag sein Ziel. Er machte noch einige Schritte und legte sein Ohr an die Tür. Schwache Geräusche verrieten, dass dort jemand schlief.
Er drückte die Tür zum Wohnzimmer lautlos auf, sodass mehr Licht in den Flur fiel. Dann zog er aus seiner linken Manteltasche einen schweren Gegenstand, der in ein Tuch gewickelt war. Vorsichtig ließ er ihn in seine Hand gleiten. Es war eine Armeepistole.
Er griff wieder in die Tasche, holte einen röhrenförmigen Gegenstand heraus und schraubte ihn auf den Lauf der Pistole. Mit einem festen Griff prüfte er den Sitz des Schalldämpfers.
Ganz langsam spannte er die Waffe, bis die erste Patrone in die Kammer glitt. Er schob den Sicherungshebel zurück, und die Pistole war schussbereit. Er nahm sie in die linke Hand und drückte mit der Rechten die Klinke der Schlafzimmertür herunter. Auch diese Tür ließ sich geräuschlos öffnen.
Deutlich hörte er die flachen Atemzüge eines schlafenden Menschen. Sacht tastete seine Hand zum Lichtschalter. Er konnte nichts sehen. Nur die Geräusche verrieten, wo sich das Bett befand.
Er schloss die Augen zu schmalen Schlitzen und drückte auf den Schalter. Eine Deckenleuchte flammte auf und tauchte das Schlafzimmer in helles Licht. Mit zwei, drei schnellen Schritten stand er vor dem breiten französischen Bett und riss die Decke zur Seite.
Er hatte keinen Blick für den halb entblößten Frauenkörper, sondern suchte nur sein Ziel. Mit einer fließenden Bewegung setzte er die Waffe genau auf das Herz der Frau, die schlaftrunken hochfuhr und nicht begriff, was mit ihr geschah.
Dreimal drückte er ab, und jedes Mal klang es wie ein dumpfer Schlag aus weiter Ferne. Der Körper der Frau bäumte sich auf und sackte haltlos zusammen. Aus ihrem Mund kam ein gurgelndes Geräusch. Dann herrschte wieder Stille. Aus Nase und Mund flossen dünne Blutfäden. Das Laken färbte sich langsam rot. Er kannte die Wirkung der Waffe aus dieser Entfernung und brauchte die Frau deshalb nicht herumzudrehen, um zu sehen, wo die Kugeln ausgetreten waren.
Barbara MacLaren war tot. Und sie hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie sterben sollte.
Sabato schraubte den Schalldämpfer ab und ließ ihn in die Tasche gleiten. Anschließend legte er die Waffe auf den Teppich und kickte sie mit dem Fuß weit unter das Bett. Er zog die Decke über die Tote, löschte das Licht und verließ das Zimmer.
Er blickte wieder auf die Uhr. Der Zeitplan stimmte immer noch. Diesmal ging er zu Fuß drei Stockwerke tiefer und ließ einen Lift kommen. Als er in die Halle trat, nickte er befriedigt. Vom Portier war noch nichts zu sehen.
Sabato trat in die Nacht hinaus und ging mit schnellen Schritten die Straße hinunter, bis er seinen dort geparkten Wagen erreichte.
Erst als er eingestiegen war, zog er die Handschuhe aus.
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7.
STEVE MCCOY WAR IN die Betrachtung seiner neuen Schreibtischlampe versunken, die er sich am Vormittag in einem sündhaft teuren Geschäft an der Madison Avenue gekauft hatte. Schließlich nickte er befriedigt. Die Lampe passte zu der übrigen modernen Einrichtung.
Auf der Madison Avenue war es so laut gewesen, dass er nur ein paar Dinge gekauft und dann den Rückweg nach Brooklyn angetreten hatte. In seinem Haus, das er von seinen inzwischen verstorbenen Eltern geerbt hatte, fühlte er sich wohl. Wenn er paar Tage frei hatte, wie jetzt nach einem anstrengenden Job, kehrte er gern dorthin zurück.
Sein Arbeitgeber war das Department of Social Research in Washington, die Tarnbezeichnung einer geheimen Abteilung des Justizministeriums, die sich mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen befasste. Dessen Feldagenten wie Steve McCoy auch arbeiteten meistens unter einer Tarnidentität, und sie besaßen zusätzlich einen größeren Handlungsspielraum als beispielsweise die Kollegen vom FBI.
Das Telefon klingelte. Er ließ es klingeln, doch als der Anrufer nicht aufgab, nahm er seufzend den Hörer auf. Er ahnte, dass dieser Griff zum Telefon eine Menge Unannehmlichkeiten bringen würde. Aber das war nun mal sein Beruf.
„Hier McCoy“, meldete er sich.
„Greene“, kam es kurz und knapp aus dem Hörer.
Steves Aufmerksamkeit war sofort geweckt. Colonel Alec Greene war Chef des Departments und damit sein Boss. Wenn er an einem seiner freien Tage anrief, konnte es sich nur um etwas Schwerwiegendes handeln. „Ich höre!“
„Es tut mir leid, dass ich Sie ausgerechnet heute stören muss, doch ich bin in New York. Wir treffen uns in einer Stunde in dem Restaurant am Bryant Park. Wir haben uns dort schon einmal getroffen.“
Er hatte aufgelegt, bevor Steve reagieren konnte. Und Leid tut es dir ganz bestimmt nicht!, dachte Steve.
Er brauchte mit dem Taxi eine knappe Stunde bis zu ihrem Treffpunkt. Das Restaurant befand sich am Ende des Bryant Park, direkt hinter dem Prachtbau der Bibliothek. Sein Boss war schon da. Steve erkannte von Weitem die breitschultrige Gestalt mit den eisengrauen Haaren. Und er war nicht allein!
„Nehmen Sie Platz, Steve.“ Der Colonel deutete auf seinen Gast. „Das ist Dr. Highwood, ein recht bekannter Anwalt in dieser Stadt. Er vertritt Kevin MacLaren, und der wiederum hat uns über das Justizministerium gebeten, seinen Fall zu untersuchen.
„Seinen Fall?“, fragte Steve mit hochgezogenen Augenbrauen.
Alec Greene nickte. „Er gilt als Nachfolger von Senator Clark und ist gestern verhaftet worden. Warum, wird Ihnen Dr. Highwood gleich erläutern. Der Fall ist jedenfalls politisch brisant und kann hohe Wellen schlagen. Man hat uns um Hilfe gebeten, da bei uns keine Informationen an die Medien durchsickern, die schon wie die Mücken um das Licht kreisen.“
Der Colonel winkte einen Kellner heran, und sie bestellten Kaffee.
Der