Die Hoffnung auf »Heilung« durch den Partner
Es liegt in der Natur von Paarbeziehungen, dass wir uns vom Partner bzw. der Partnerin wünschen, der oder die andere möge unsere Bedürfnisse stillen, uns guttun und wir könnten daran wachsen. In guten Zeiten funktioniert das auch meist. Aber in schlechten Zeiten tun wir uns gegenseitig weh. Manchmal triff eine Verletzung auf einen alten wunden Punkt oder ein ungestilltes Bedürfnis von früher. Das löst dann in unserem autonomen Nervensystem – der Steuerungszentrale, die für unsere innere Regulation von Herzschlag, Atmung, Muskelspannung usw. zuständig ist – eine Kettenreaktion aus. Unser innerer Gefahrenscanner, das Früherkennungssystem von Bedrohungen, erkennt das Verhalten als alten Schmerz.
Wird dieser Automatismus ausgelöst, funktioniert er wie ein innerer Schalter, mit dem körperliche Prozesse wie von selbst auf eine Abwehrreaktion umgeschaltet werden. Das Umschalten nennt man deshalb Trigger. Ein Wort, eine Geste, ein Verhalten hat dann das Potenzial, einen gerade noch freundlichen Menschen mit einem Schnipp in eine plötzlich feindselige Person zu verwandeln. Wie das genau funktioniert, erkläre ich im nächsten Abschnitt.
Alles Wissenswerte in Kürze
In den ersten Lebensjahren bildet sich im Gehirn der Prototyp für spätere Beziehungs- und Bindungserfahrungen. Positive Erfahrungen prägen unser Erleben von Partnerschaft ebenso wie ungestillte Bedürfnisse und Verletzungen. Für die wunden Punkte erhoffen wir vom Partner Linderung oder Heilung. Zeigt der aber ein Verhalten, das auf einen wunden Punkt trifft, schaltet unser Nervensystem unwillkürlich um in eine Verteidigungsoder Angriffshaltung.
Blick nach innen
Nach jedem Abschnitt haben Sie die Möglichkeit, das Erlernte mit eigenen Erfahrungen zu verknüpfen. Die direkte Auseinandersetzung mit sich selbst, mit eigenen Themen und Erfahrungen fördert die Integration und intensiviert den Lernprozess.
Wenn Sie keine Lust dazu haben, überspringen Sie den Übungsteil einfach.
Übung: Reflexion meines eigenen Konfliktverhaltens
•Wie war die Konfliktkultur in meiner Herkunftsfamilie?
•Wie sind meine Eltern als Paar mit Konflikten umgegangen?
•Wie sind beide mit mir als Kind in schwierigen Situationen umgegangen?
•Gibt es weitere prägende Erfahrungen zu Konflikten?
•Welches Konfliktmuster habe ich ausgehend von dieser Erfahrung selbst entwickelt?
•Mache ich es ähnlich, wie ich es gelernt habe? Oder habe ich eher das Gegenteil entwickelt?
•Welche guten Kompetenzen habe ich in Konflikten?
•Wo bin ich zufrieden mit mir, weil ich eine Kompetenz früh gelernt, gut verinnerlicht oder in späteren Jahren selbstständig entwickelt habe?
Übung: Meine wunden Punkte
Sie haben nun einige Aspekte erwähnt, die Sie im Laufe Ihres Lebens erworben haben. Oft sind es die schwierigen Erfahrungen, die zu »wunden Punkten« und damit zu sogenannten Triggern werden: Das Gehirn erkennt Worte oder ein bestimmtes Verhalten, woraufhin es autonom und automatisch umschaltet auf ein inneres Defensivsystem. Hier haben Sie die Möglichkeit, einige persönliche Triggerpunkte zu identifizieren:
•Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meinem Partner/meiner Partnerin automatisch auf Abwehr schalten?
•Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meiner Mutter automatisch umschalten?
•Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meinem Vater automatisch umschalten?
•Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meinen Kindern automatisch umschalten?
•Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich beim Sex automatisch umschalten?
•Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei der Arbeit automatisch umschalten?
Nutzen dieser Übungen:
Reflexionen der eigenen Vergangenheit haben nicht das Ziel, irgendjemanden anzuklagen. Das Erkennen von Muster und Herkunft unseres eigenen Beziehungs- und Konfliktverhaltens trägt dazu bei, uns selbst besser verstehen und annehmen zu können. Und das ist die Basis zur Veränderung und zur Entwicklung wirksamer Lösungen.
Was ist Streit? Kleiner Exkurs in die Neurobiologie
Streit entsteht fast automatisch, wenn eine Person getriggert wird und unwillkürlich in eine Angriffs- oder Verteidigungshaltung umschaltet. Und das hat wieder mit unserem autonomen Nervensystem zu tun.
Überleben – die oberste Aufgabe unseres Gehirns
Unser Gehirn besteht grob vereinfacht gesagt aus drei Bereichen, die sich evolutionsbiologisch bottom-up, also im Schädel von hinten unten nach vorn oben, entwickelt haben. Der basale und älteste Bereich ist der Hirnstamm. Sein höchstes »Interesse« ist es, dass wir überleben. Er sorgt dafür, dass unser Herz schlägt und die Atmung sowie Stoffwechsel und Kreislauf funktionieren. Es gibt extreme Lebenssituationen wie z. B. einen Schock und traumatische Situationen, in denen alle höheren Hirnfunktionen kollabieren und nur noch der Hirnstamm arbeitet, damit wir überleben.
Darüber liegt das evolutionsbiologisch jüngere limbische System. In diesem Bereich sind unsere Gefühle angesiedelt, die emotionale Alarmzentrale und auch unser Gedächtnis. Hier sind all unsere Erinnerungen in sortierter Form abgespeichert. Ausnahmen gibt es bei traumatisierten Menschen, bei denen manche Erinnerungen aufgrund des damals erlebten Stresses nicht chronologisch, sondern eher verstreut abgespeichert sind. Ein Körpergefühl, bestimmte Worte oder ein Geräusch können also ohne systematische Geschichte abgelegt sein und damit einzeln getriggert werden. Ein vergleichbares Geräusch oder ein Geruch alleine kann dann eine innere Kettenreaktion auslösen und den Organismus in den traumatischen Zustand zurückkatapultieren.
Im limbischen System gibt es auch ein Alarmsystem, das wir Amygdala nennen. Die Amygdala ist dafür zuständig, im gesamten Organismus Alarm auszulösen, sobald über die Sinne etwas erkannt wird, das in der Erinnerung irgendwann mal als Gefahr bewertet wurde. Und weil es für unser Nervensystem die höchste Priorität darstellt, unser Überleben zu sichern, ist die Amygdala so übergründlich, dass sie lieber zehnmal falsch positiven Alarm auslöst, als dass ihr eine Gefahr durch die Lappen geht.
Ganz oben und vorne im Gehirn liegt der Neokortex als Teil der Großhirnrinde. Er ist der evolutionsbiologisch jüngste Teil und unterscheidet uns Menschen und einige andere Säugetiere in besonderem Maße von einfacheren Organismen. Von hier aus sind alle höheren Fähigkeiten vernetzt, die uns Menschen ausmachen: z. B. die Fähigkeit zur Handlungsplanung, Selbstreflexion, Kreativität und Empathie sowie unser Humor.