Der Professor antwortete grinsend: »Doch, doch. Aber mein Vorteil ist, dass ich so klein bin. Da dauert es viel länger, bis der Regen mich erwischt!«
Natürlich hatte keiner auf dem Campus irgendeinen Einfluss auf das Wetter. Die meisten reagierten auf den unverhofften Wolkenbruch mit schlechter Laune. Sie beschwerten sich über den plötzlichen Temperatursturz und jammerten, weil sie nass geworden waren. Die Studenten ließen zu, dass die dunklen Wolken ihre Stimmung beeinflussten und ihnen aufs Gemüt schlugen. Sie warteten nur darauf, dass die Sonne wieder zum Vorschein kam und sie aufheiterte. Doch so fällt man ganz schnell in die Opferrolle und glaubt, dass man der Welt um sich herum hilflos ausgeliefert ist. Wenn wir denken, dass andere die Ursache für unser Unglück und unsere Hilflosigkeit sind, schieben wir ihnen gerne die Schuld in die Schuhe. Wir jammern und klagen und fühlen uns als Opfer.
Der Professor jedoch entschied sich anders. Er reagierte nicht auf die äußeren Umstände und das Wetter. Im Gegenteil: Er brachte einfach sein eigenes Wetter mit in die Vorlesung! Er schaute nicht nach außen, sondern nach innen. Dieser gut gelaunte Mann bestimmte selbst, was er denken und wie er sich fühlen wollte. Ein Wolkenbruch konnte ihn nicht davon abbringen. Diese Freiheit zeichnet die Menschen aus, die ihr eigenes Wetter machen und ihren Werten treu bleiben. Ganz anders sieht es da bei denjenigen aus, die lediglich auf die äußeren Umstände »reagieren« und sich mit der Opferrolle begnügen. Der Professor war glücklich, dass er zum Vorlesungssaal gehen und das tun könnte, was ihm am Herzen lag: eine positive Atmosphäre zu schaffen, in der seine Studenten gut lernen konnten, und Samen zu säen, die später reiche Früchte tragen würden. Was war im Vergleich dazu ein kurzer Regenschauer?
Der angesehene, für seine Radio- und Fernsehauftritte bekannte Bischof Fulton J. Sheen formulierte es so: »Jeder Mensch schafft sich sein eigenes Wetter – er wählt selbst die Farbe des Himmels in dem von ihm bewohnten Universum.«
Um uns unser eigenes Wetter schaffen zu können, müssen wir in der Lage sein, zwischen Reiz und Reaktion eine Pause einzulegen. Kampf oder Flucht? Die Steinzeitmenschen mussten auf vermeintlich lebensbedrohliche Situationen in Sekundenschnelle reagieren. Nur das sicherte ihr Überleben. Heute aber müssen die wenigsten von uns tagtäglich um ihr Überleben fürchten. Was uns im 21. Jahrhundert Stress bereitet, sind ganz andere Dinge. Dennoch neigen wir noch immer dazu, auf äußere Reize mit schnellen, unüberlegten Entscheidungen zu reagieren. Und diese Entscheidungen sind häufig nicht die besten.
Zum Glück ist die unreflektierte Sofort-Reaktion nicht alles, wozu unser Gehirn imstande ist. Wir Menschen haben die einzigartige Fähigkeit der Selbstwahrnehmung. Das heißt: Wir können unser eigenes Denken und Handeln reflektieren. Jeder von uns kann innehalten, einen Schritt zurücktreten und sich ein Bild von sich selbst und den Paradigmen machen, die seine Sicht der Dinge, sein Denken, Fühlen und Handeln prägen. Das gibt uns letztlich die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie wir reagieren wollen.
Mein guter Freund und Kollege Aaron, der in unserer Organisation als Chef-Recruiter tätig ist, ist ein Beispiel für dieses Prinzip. Die besten Recruiter investieren viel Zeit und Energie in die Suche nach den richtigen Kandidaten und in ihre Präsentation bei den Personalverantwortlichen. Aaron ist da keine Ausnahme. Ich erinnere mich an eine Kandidatin, um die sich Aaron bereits mehrere Monate bemüht hatte. Sie hatte Angebote von verschiedenen Unternehmen. Doch Aaron scheute keine Mühe, eine Beziehung zu ihr aufzubauen und ihr unsere Organisation schmackhaft zu machen. Ich weiß noch, dass Aaron sogar bereit war, sich an einem Samstag mit ihr zu treffen. Dafür opferte er Zeit, die er sonst mit seiner Familie hätte verbringen können. Aber es war der einzige Tag, an dem die Kandidatin einen Termin frei hatte – und sie war wirklich ein Ausnahmetalent. Unter allen Kandidaten, die dem Team vorgestellt wurden, stach sie klar hervor.
Nach all der Zeit und Energie, die Aaron in die Rekrutierung und das abschließende Interview investiert hatte, meinte der Personalchef: »Wir finden sie wirklich gut. Trotzdem wollen wir, dass du noch nach weiteren Kandidaten Ausschau hältst.«
Die meisten würden an diesem Punkt wahrscheinlich am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Aaron wusste, dass diese tolle Kandidatin in Nullkommanichts von einem anderen Unternehmen abgeworben werden würde. Ich war selbst dabei, als der Personalchef Aaron bat, nach Alternativen zu dieser Kandidatin zu suchen. Auch für mich war sie die allererste Wahl. Deshalb kämpfte ich mit meinen Gefühlen, als ich sah, wie Aaron wortlos zuhörte und dann tief Luft holte. Er drückte tatsächlich auf den Pausenknopf und meinte dann: »Klar, ich verstehe. Mir ist bewusst, dass du ganz sicher sein willst, dass wir den besten Kandidaten für diese wichtige Aufgabe finden. Also werde ich nach weiteren Bewerbern Ausschau halten.«
Ich war beeindruckt und bewunderte Aaron für sein Verhalten. Später fragte ich ihn, wie er diese frustrierende Abfuhr so ruhig hatte hinnehmen können. Er sagte: »Todd, wenn der Personalchef nicht voll und ganz von der Kandidatin überzeugt ist, sind ihre Erfolgsaussichten gleich null. Und weil es auf das Ergebnis ankommt, bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter nach dem passenden Kandidaten oder der passenden Kandidatin zu suchen.«
Ich wünschte, ich hätte Aarons Reife schon früher in meinem Leben gehabt.
Ich selbst hatte als junger Recruiter eine Kandidatin für eine offene Stelle gefunden. Doch es stellte sich heraus, dass ihre Gehaltsvorstellung 1000 US-Dollar über dem lag, was das Unternehmen mir bezahlte – und das für eine vergleichbare Tätigkeit. Zu meiner Überraschung war mein Chef bereit, ihr das geforderte Gehalt zu geben. Ich war aufgebracht. »Warte einen Augenblick«, beschwerte ich mich. »Ich arbeite seit vier Jahren für das Unternehmen. Ich habe diese Person gefunden. Und jetzt willst du ihr mehr zahlen als mir?«
Mein Chef meinte nur, man zahle eben, was nötig sei, um die besten Leute zu bekommen. Ich ging voller Wut in mein Büro zurück und dachte: Das ist nicht fair! Warum bekomme ich weniger? Mein Chef schätzt meine Arbeit nicht. Vielleicht sollte ich einfach einen Gang runterschalten. Und wahrscheinlich sollte ich mich schnellstens nach einem neuen Job umsehen. Diese Gedanken quälten mich tagelang. Ich suhlte mich förmlich in meiner Opferrolle. Eines Abends klagte ich meinem Vater mein Leid und beschwerte mich über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit. Er hörte geduldig zu, wie ich über meinen Chef, die neue Kollegin, meinen Job und überhaupt über alles herzog, was mir gerade einfiel. Als ich fertig war, schaute er mich an und fragte: »Hast du dir schon mal überlegt, was du tun kannst, um die zusätzlichen 1000 Dollar zu bekommen? Fairness im Arbeitsleben bedeutet, einen fairen Preis für das zu bekommen, was man zu bieten hat.«
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich hatte die ganze Zeit nur auf meine Gefühle reagiert und dabei völlig übersehen, was ich tun konnte, um die Situation in meinem Sinne zu beeinflussen. Wo ich das allergrößte Unrecht sah, erkannte mein Vater eine Gelegenheit, etwas für mein berufliches Vorankommen zu tun. Gleich am nächsten Tag ging ich zu meinem Chef und sagte: »Danke, dass du mir in der Gehaltssache in den letzten Tagen so geduldig zugehört hast. Was müsste ich denn tun, damit du auch mein Gehalt erhöhst?«
Seine Reaktion sehe ich noch heute vor mir: Es war, als hätte er die ganze Zeit auf diese simple Frage gewartet. »Ich bin froh, dass du das ansprichst, Todd«, erwiderte er. »Aktuell dauert es im Schnitt zehn Monate, bis wir eine freie Arztstelle neu besetzen können. Wenn wir diese Zeit auf sechs Monate verkürzen, könnte ich mir eine Gehaltserhöhung sehr gut vorstellen.« Widerwillig verabschiedete ich mich von meiner Opferrolle und begann, meine Zeit und Energie in die Verkürzung der Rekrutierungsdauer zu investieren. Und es funktionierte! Es war eine harte Lektion. Aber ich lernte, dass es wesentlich besser ist, sich sein eigenes Wetter zu schaffen, als sich in seine