Der Erfindung des Produkts geht eine skurrile Geschichte voraus, die auch tragische Züge trägt. Protagonist dieser Geschichte: der amerikanische Apotheker John Stith Pemberton aus Knoxville in Georgia. Schon kurz nach seiner Ausbildung begann er damit, gezielt Markenprodukte zu entwickeln. Er erfand Erzeugnisse mit Namen wie Eureka Oil, Dr. Stanford’s Great Invigorator oder Southern Cordial. Dann nahm er als Oberstleutnant am Amerikanischen Bürgerkrieg teil und kam schwerverletzt zurück. Später zog er mit seiner Frau und seinem Sohn nach Atlanta. Aufgrund der Schmerzen durch seine Verletzungen wurde er morphiumsüchtig und begann, sich mit der Wirkung der Coca-Pflanze zu beschäftigen – denn er war davon überzeugt, dass das Kokain ihm helfen würde, seine Morphiumsucht zu überwinden. Kokain galt damals nicht als gefährliche Droge.
Pemberton experimentierte lange an seiner Coca-Cola-Formel, bis er im Mai 1886 zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kam. Anfangs bewarb er Coca-Cola als Medizin. Als Sirup eingenommen, sollte es Müdigkeit, Kopfschmerzen, Depressionen und sogar Impotenz kurieren. Dass es das Potenzial zu einem erfrischenden Modegetränk hatte – indem der Sirup mit Sodawasser gemixt wurde –, zeigte sich in den vielen Soda-Bars, die es damals gab. Dort trafen sich gut situierte Menschen, um ihre Freizeit zu verbringen. Und in diesen Soda-Bars begann der Aufstieg von Coca-Cola zu einer weltweit beliebten Getränkemarke.
Am 6. Juni 1887 ließ sich Pemberton das Getränk patentieren – damit ist er der Erfinder von Coca-Cola. Nur zwei Tage später verkaufte er zwei Drittel der Rechte an den Apothekengroßhändler Asa Griggs Candler – für 2300 Dollar. Pemberton brauchte das Geld für seine Sucht. Ein Drittel der Rechte behielt er, um seinem Sohn ein Erbe zu hinterlassen, denn er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Ein gutes Jahr später starb John Stith Pemberton an Magenkrebs. Sein Sohn Charley verkaufte dann das letzte Drittel der Rechte ebenfalls an Asa Criggs Candler – und starb sechs Jahre nach seinem Vater an einer Überdosis Roh-Opium.
Asa Criggs Candler gründete 1892 The Coca-Cola Company, ließ Coca-Cola als Marke schützen und startete mit der Vermarktung in den USA. Wenn die Soda-Bars den Beginn der Vermarktung markiert hatten, so wurde das Getränk erst dann richtig erfolgreich, als The Coca-Cola Company damit begann, die Brause in Flaschen für den Hausgebrauch abzufüllen und ab 1896 auch im benachbarten Ausland zu vermarkten. Der Hauptsitz des Unternehmens blieb in Atlanta. Zusätzlich entstanden Zweigstellen in Los Angeles, Chicago, Philadelphia, New York und Dallas. Firmenchef Candler setzte sich früh ein Denkmal, indem er 1904 das Candler Building als Firmensitz errichten ließ – ein 17-stöckiges Hochhaus, das damals alle Gebäude der Stadt Atlanta überragte. 1917 ließ sich Candler zum Bürgermeister von Atlanta wählen und gab die Geschäftsführung von Coca-Cola an seinen Sohn Howard ab. Außerdem vermachte er unterschiedlichen Familienmitgliedern 90 Prozent der stimmberechtigten Aktien. Bereits zwei Jahre später verkaufte Howard Candler die The Coca-Cola Company für 25 Millionen Dollar an ein Konsortium um Ernest Woodruff und Eugene Stetson – ohne das Wissen seines Vaters.
At arm’s length
Schon damals war die Organisation so aufgebaut, dass die The Coca-Cola Company ihr Geschäft lediglich mit dem Verkauf des Sirups machte. Sie vergab Konzessionen an die Stammabfüller, in deren Produktionsbetrieben der Sirup mit Soda auf- und dann in Flaschen abgefüllt wurde. Die neuen Eigentümer der The Coca-Cola Company wollten die Verträge mit den Stammabfüllern zunächst kündigen, da diese dazu übergegangen waren, das Abfüllen der Brause an die »Abfüller der ersten Stufe« zu delegieren und damit Geld zu verdienen. Das war der Geschäftsführung ein Dorn im Auge. Vor Gericht erging jedoch das Urteil, dass die Verträge mit den Stammabfüllern rechtsgültig und außerdem unbefristet seien. Die The Coca-Cola Company ging daraufhin einen anderen Weg: Ab den 1930er-Jahren begann sie, die Anlagen der Stammabfüller nach und nach aufzukaufen. Ziel war es, eine unübersichtliche und komplexe Struktur aus Sub-Sub-Subunternehmen zu verhindern.
Das generelle Vorgehen jedoch – Konzessionen für die Abfüllung von Coca-Cola zu vergeben – sollte zu einem festen Prinzip des Unternehmens werden, das viele Jahrzehnte auch in Deutschland galt und in den USA noch bis heute gilt. Das Konzessionärssystem diente damals wie heute einem großen Ziel: Coca-Cola weltweit zu einer führenden Getränkemarke zu machen, und Coca-Cola damit zu einem Lifestyle-Produkt, das nie weiter als eine Armeslänge von den Menschen entfernt sein würde. »Coca-Cola soll für jedermann auf der ganzen Welt und zu jeder Zeit einheitlich in Qualität, Geschmack und Verpackung auf Armeslänge verfügbar sein« – so fasste Robert W. Woodruff es in Worte. Er war der Sohn von Ernest Woodruff und seit 1923 neuer Präsident der The Coca-Cola Company. 1926 gründete er das Foreign Sales Department, das später The Coca-Cola Export Corporation hieß.
Im Zuge der darauf einsetzenden Expansion kam Coca-Cola auch nach Deutschland – und zwar 1929 nach Essen. Dort wurde die Brause in der »Essener Vertriebsgesellschaft für Naturgetränke« abgefüllt – dieses Unternehmen war der erste Konzessionär auf deutschem Boden. Mit einer halbautomatischen Füllmaschine konnten damals 35 Kisten Coca-Cola pro Stunde abgefüllt werden. (Heute sind es übrigens 3000 Kisten pro Stunde, die von den modernen Abfüllanlagen gestemmt werden können.) 5840 Kisten Coca-Cola wurden im ersten Jahr verkauft – kein berauschendes Ergebnis. Die Deutschen waren skeptisch gegenüber dem amerikanischen Getränk – dabei waren es zu diesem Zeitpunkt schon 43 Millionen Menschen weltweit, die begeistert Coca-Cola tranken. Doch das Unternehmen schaffte es, schon im Herbst 1929 Verträge mit weiteren Konzessionären abzuschließen. Es waren überwiegend Getränkegroßhändler aus Essen, die Coca-Cola in ihre Produktpalette aufnahmen. Sie setzten alles daran, Coca-Cola auch in Deutschland erfolgreich zu machen. 1930 wurde die neu gegründete Coca-Cola GmbH die Nachfolgerin der Essener Vertriebsgesellschaft für Naturgetränke.
1933 gab es einen wichtigen Meilenstein in der deutschen Geschichte des Unternehmens: Max Keith kam als neuer Mitarbeiter zur Coca-Cola GmbH und stieg bald zum Chef auf. Er prägte mehr als drei Jahrzehnte der Unternehmensgeschichte. Schon zehn Jahre nach der ersten Abfüllung von Coca-Cola in Deutschland gab es bereits 50 Konzessionäre, die jährlich 4,5 Millionen Kisten Coca-Cola produzierten. Ausgeliefert wurden die Kisten jetzt nicht mehr mit Handkarren oder Fahrrädern, sondern mit Lieferwagen. Diese waren zwar noch nicht rot lackiert und durch und durch »gebrandet«, doch immerhin trugen sie große Schilder mit dem Logo von Coca-Cola und dem damaligen Werbespruch: »Köstlich. Erfrischend.«
Dann kam der Krieg – und mit ihm ein Produktionsstopp in Deutschland. Mitarbeiter wurden eingezogen, Firmenanlagen bei Bombenangriffen zerstört. Die Rohstoffe, die für die Produktion benötigt wurden, waren nicht mehr verfügbar. Zudem wurde die Einfuhr des Coca-Cola-Sirups verboten – Hitlerdeutschland und Mussolinis Italien hatten den USA am 11. Dezember 1941 den Krieg erklärt. Max Keith musste etwas tun, wenn die Coca-Cola-Organisation in Deutschland nicht untergehen sollte. Er sprach mit seinem Chef-Chemiker Dr. Schetelig und beauftragte ihn, ein neues Erfrischungsgetränk zu entwickeln, das aus verfügbaren Zutaten hergestellt werden konnte. Und Dr. Schetelig gelang es tatsächlich, eine neue Limonade zu schaffen. Sie bestand aus Molke und Apfelfruchtfleisch – Fanta war geboren und sicherte das Überleben der Coca-Cola-Organisation in der Kriegs- wie auch in der Nachkriegszeit.
Nach dem Krieg dauerte es noch vier Jahre, bis die ersten Coca-Cola-Lieferwagen wieder vom Essener Fabrikgelände rollen – dafür gab es dann aber auch im Oktober 1949 extra Plakate: »Coca-Cola ist wieder da!« verkündeten sie. Max Keith sorgte mit dem ihm eigenen Elan und seiner Überzeugungskraft dafür, dass es bald mehr Abfüllfabriken und Konzessionäre gab als zuvor. 1954 hatte er es geschafft: Die Produktion in Deutschland brummte wieder wie vor dem Krieg.
Ein Symbol für die Freiheit
Zu den Konzessionären zählten viele kleine Familienunternehmen. In Spitzenzeiten trafen sich zur jährlichen Konferenz in Essen Vertreter von 126 verschiedenen Gesellschaften aus ganz Deutschland. Zu diesen Gesellschaftern gehörte beispielsweise auch Max Schmeling. Er wurde 1957 Konzessionär, als er nach seinem Karriereende als Boxer eine Abfüllungsfirma in Hamburg