Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659875
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offenbar mehr als der Keusche. Denn wenn die Keuschheit nicht wäre, so hätte er nicht, wodurch er keusch wäre; wenn er aber nicht keusch sein will, die Keuschheit dauert unversehrt fort. Wenn also die Frömmigkeit mehr ist als der Fromme, die Schönheit mehr als der Schöne, die Keuschheit mehr als der Keusche, werden wir dann etwa sagen, die Wahrheit sei mehr als der Wahrhaftige? Wenn wir das sagen, so nennen wir ja gar den Sohn größer als den Vater. Denn der Herr sagt ganz deutlich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“1114. Also wenn der Sohn die Wahrheit ist, was ist dann der Vater, als was die Wahrheit selbst sagt: „Der mich gesandt hat, ist wahrhaftig“? Der Sohn die Wahrheit, der Vater wahrhaftig; was mehr sei, suche ich, aber ich finde Gleichheit. Denn der wahrhaftige Vater ist nicht wahrhaftig durch jene Wahrheit, an der er teilnimmt, sondern die er ganz erzeugt hat1115.

       8.

      Ich sehe, es ist deutlicher zu reden. Jedoch um euch nicht allzu lange hinzuhalten, wollen wir es heute damit bewenden lassen; wenn ich fertig bin mit dem, was ich mit der Hilfe Gottes sagen will, soll der Vortrag schließen. Dies habe ich deshalb gesagt, um euch gespannt zu machen. Jede Seele ― weil sie etwas Veränderliches ist und wenn auch ein bedeutendes Geschöpf doch eben ein Geschöpf, und obwohl vorzüglicher als der Leib, dennoch erschaffen ―, jede Seele also, weil sie veränderlich ist, d. h. bald glaubt, bald nicht glaubt, bald will, bald nicht will, bald unkeusch, bald keusch ist, bald gut, bald bös ist, ist veränderlich, Gott aber ist das, was er ist; darum hat er sich einen eigenen Namen vorbehalten: „Ich bin, der ich bin“1116. So auch1117 der Sohn, indem er sagt: „Wenn ihr nicht glaubet, daß ich bin“. Dahin gehört auch: „Wer bist Du? Der Anfang“1118. Gott also ist unveränderlich, die Seele veränderlich. Wenn die Seele von Gott erhält, wodurch sie gut ist, wird sie durch Teilnahme gut, wie dein Auge durch Teilnahme sieht. Denn nach Entziehung des Lichtes sieht es nicht, während es durch Teilnahme daran sieht. Da also die Seele durch Teilnahme gut wird, so bleibt doch, wenn sie sich ändert und schlecht zu sein anfängt, die Güte, an der teilnehmend sie gut war. Einer gewissen Güte nämlich war sie teilhaft, als sie gut war; wenn eine Änderung zum Schlimmeren eintritt, so bleibt doch die Güte selbst unversehrt. Wenn die Seele rückwärts kommt und schlecht wird, vermindert sich die Güte nicht; wenn sie umkehrt und gut wird, wächst die Güte nicht. Dein Auge ist dieses Lichtes teilhaftig geworden, und du siehst. Ist es geschlossen? Du hast dieses Licht nicht vermindert. Ist es offen? Du hast dieses Licht nicht vermehrt. Aus diesem Gleichnis, Brüder, erkennet, daß, wenn die Seele fromm ist, die Frömmigkeit bei Gott es ist, woran die Seele teilnimmt; wenn die Seele keusch ist, die Keuschheit bei Gott es ist, woran die Seele teilnimmt; wenn die Seele gut ist, die Güte bei Gott es ist, woran die Seele teilnimmt; wenn die Seele wahrhaftig ist, die Wahrheit bei Gott es ist, woran die Seele teilnimmt. Und wenn die Seele daran nicht teil hat, „ist jeder Mensch lügenhaft“1119; wenn jeder Mensch lügenhaft ist, so ist kein Mensch von dem Seinigen wahrhaft. Der wahrhaftige Vater aber ist von dem Seinigen wahrhaft, weil er die Wahrheit gezeugt hat. Etwas anderes ist: dieser Mensch ist wahrhaft, weil er bereits die Wahrheit vernommen hat; etwas anderes ist, Gott ist wahrhaft, weil er die Wahrheit gezeugt hat. Siehe, wie Gott wahrhaftig ist, nicht durch Teilnahme, sondern durch Zeugung der Wahrheit. Ich sehe, daß ihr es verstanden habt, und freue mich; es genüge für heute; das übrige werden wir, wenn es dem Herrn gefällt, so wie er es gibt, erklären.

      40. Vortrag

       Einleitung.

      Vierzigster Vortrag.

      Von da an: „Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben“, bis dahin: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“. Joh. 8, 28―32.

       1.

      Über das heilige Evangelium nach Johannes, das ihr uns in Händen tragen sehet, hat eure Liebe schon vieles gehört, was wir mit Gottes Hilfe nach unserm Vermögen erörtert haben, indem wir euch darauf hinwiesen, daß vornehmlich dieses Evangelium von der Gottheit des Herrn, in der auch der eingeborene Sohn dem Vater gleich ist, zu reden sich vorgenommen habe und darum mit einem Adler verglichen worden sei, da, wie angenommen wird, kein Vogel höher fliegt. So vernehmet denn, was der Ordnung nach folgt, wie der Herr es zu behandeln verleiht, mit aller Aufmerksamkeit.

       2.

      Wir haben zu euch über die vorausgehende Lesung gesprochen, indem wir euch darlegten, wie es zu verstehen sei, daß der Vater wahrhaft, der Sohn die Wahrheit ist. Als aber der Herr Jesus gesagt hatte: „Der mich gesandt hat, ist wahrhaft“1120, verstanden die Juden nicht, daß er vom Vater zu ihnen redete. Und er sprach zu ihnen, was ihr soeben bei der Lesung gehört habt: „Wenn ihr des Menschen Sohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin, und von mir selbst tue ich nichts, sondern wie mich der Vater gelehrt hat, dies rede ich“. Was heißt das? Denn nichts anderes scheint er gesagt zu haben, als daß sie nach seinem Leiden erkennen würden, wer er sei. Ohne Zweifel also sah er darunter einige, die er kannte, die er selbst mit seinen übrigen Heiligen vor Grundlegung der Welt im Vorherwissen auserwählt hatte, zum voraus als solche, die nach seinem Leiden glauben würden. Das sind jene, welche wir beständig anempfehlen und eindringlich zur Nachahmung vorstellen. Denn als nach dem Leiden, der Auferstehung und Auffahrt des Herrn der Heilige Geist von oben gesandt worden war und im Namen dessen Wunder geschahen, den die verfolgungssüchtigen Juden als einen Toten verachtet hatten, wurden sie zerknirscht im Herzen, und die ihn wutschnaubend getötet hatten, änderten ihren Sinn und wurden gläubig, und das Blut, das sie in ihrer Wut vergossen, tranken sie nun gläubig ― jene dreitausend und jene fünftausend Juden1121. Diese sah er damals, als er sagte: „Wenn ihr des Menschen Sohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“. Als wollte er sagen: Ich verschiebe eure Erkenntnis, um mein Leiden zu vollenden; in der euch bestimmten Reihenfolge werdet ihr erkennen, wer ich bin. Nicht als ob alle von denen, die es hörten, dann erst gläubig werden sollten, d. h. nach dem Leiden des Herrn; denn bald darauf heißt es: „Als er das sprach, glaubten viele an ihn“, und doch war der Sohn des Menschen noch nicht erhöht. Er meint nämlich die Erhöhung des Leidens, nicht der Verherrlichung; des Kreuzes, nicht des Himmels, da er auch dort erhöht wurde, als er am Kreuze hing. Aber diese Erhöhung war eine Erniedrigung. Denn damals „ist er gehorsam geworden bis zum Tode des Kreuzes“1122. Dies mußte erfüllt werden durch die Hände derer, die nachmals gläubig werden sollten. Zu diesen sagt er: „Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“. Warum das, als damit niemand, welches Vergehen auch immer er auf dem Gewissen haben mag, verzweifle, wenn er sieht, daß denen der Mord vergeben wird, die Christus getötet hatten?

       3.

      Indem also der Herr diese in jener Schar erkannte, sprach er: „Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“. Ihr wißt schon, was das heißt: „Ich bin“, und es ist nicht fort und fort zu wiederholen, damit nicht eine so bedeutende Sache Überdruß erzeuge. Erinnert euch an das Wort: „Ich bin, der ich bin“, und: „Der da ist, hat mich gesandt“1123, und ihr werdet fassen, was es heißt: „Dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“; aber auch der Vater* ist, wie auch der Heilige Geist ist. Dieses Sein kommt der ganzen Trinität zu. Aber weil der Herr als Sohn sprach, deshalb hat er, damit nicht etwa bei den Worten: „Dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“, der nicht zu leidende, sondern zu meidende Irrtum der Sabellianer sich einschleiche, d. h. der Patripassianer, derjenigen nämlich, welche behaupteten: derselbe ist der Vater, derselbe ist der Sohn, es sind zwei Namen, aber nur eine* Sache ―, zur Verhütung also dieses Irrtums hat der Herr nach den Worten: „Dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“, damit er nicht für den Vater gehalten würde, sofort beigefügt: „Und von mir selbst tue ich nichts, sondern wie mich der Vater gelehrt hat, das rede ich“. Schon fing der Sabellianer an sich zu freuen, da er einen Beweis seines Irrtums entdeckt hatte, aber alsbald nachdem er sich gleichsam im Dunkeln erhoben hatte, wurde er durch das Licht des nachfolgenden Satzes beschämt. Man hätte