36 Vgl. Bernhard Grümme, Religionspädagogische Denkformen (s. Anm. 2), 126‒170; vgl. ders., Heterogenität (s. Anm. 10), 45–150; vgl. Rita Burrichter, Umgang mit Heterogenität im konfessorischen Religionsunterricht? Anmerkungen zu Optionen und Herausforderungen in einem schulischen Praxisfeld, in: Rita Burrichter / Georg Langenhorst / Klaus von Stosch (Hg.), Komparative Theologie: Herausforderung für die Religionspädagogik. Perspektiven zukunftsfähigen interreligiösen Lernens (Beiträge zur komparativen Theologie 20), Paderborn 2015, 141–158, hier: 155.
Holger Zaborowski
Weil’s einen Unterschied macht
Zu den Potenzialen des konfessionellen Religionsunterrichts
♦ Als Ort, an dem Fragen nach Gott und dem Menschen, nach Transzendenz, nach der Rechtfertigung von Glauben und Unglauben, aber auch nach menschlicher Verantwortung reflektiert gestellt werden, sei der konfessionelle Religionsunterricht für den gebildeten Menschen, auch für jenen, der sich eben nicht als persönlich gläubig bekennt, unverzichtbar. Gerade angesichts fehlender Reputation und eines steigenden Rechtfertigungsdrucks innerhalb unserer post-säkularen, zunehmend auch anti-religiösen modernen Gesellschaft zeigt der Autor, welch hohe Bildungschancen in ihm stecken, ohne diesen funktionalistisch zu verkürzen. (Redaktion)
1 Religionsunterricht, Bildung und Berufung
Als ich gebeten wurde, einige Gedanken über den Religionsunterricht zu verfassen, habe ich zunächst gezögert. Mein eigener – übrigens sehr guter – Religionsunterricht liegt fast drei Jahrzehnte zurück. Ich bin kein Religionspädagoge und überblicke auch die neuesten theoretischen Konzepte zum Religionsunterricht in ihrer Vielfalt nicht – ganz zu schweigen von vielen Aspekten der gegenwärtigen Praxis.1 Doch habe ich recht schnell die Entscheidung getroffen, einige Gedanken zum Religionsunterricht, zu seiner Bedeutung, seinen Herausforderungen, seiner Krise und auch seinen Potenzialen zu formulieren.
Die Gründe für meine Entscheidung sind nicht schwer zu benennen. Zum einen beschäftigt mich seit langem die Frage, was einen gebildeten Menschen ausmacht, welche Aufgabe der Schule (und auch der Universität) im Prozess der Bildung zukommt und welche Rolle dabei die Religion und die religiöse Erziehung spielen. Anders als post- oder sogar anti-religiöse Tendenzen nahelegen, kann man nämlich von Bildung nicht sprechen, ohne dabei auch auf Religion und den religiösen Glauben einzugehen. Alles andere wäre Ignoranz. Man muss nicht selbst religiös musikalisch sein, um die geschichtliche und die bleibende Bedeutung von Religion auf der individuellen, gesellschaftlichen, kulturellen und auch politischen Ebene anerkennen zu können. Bildung und religiöses Bekenntnis schließen sich außerdem nicht aus. Überdies verfolge ich manche Entwicklungen im schulischen Bereich wie auch in der Schul- und Bildungspolitik – wie beispielsweise die verbreitete Vernachlässigung der musischen oder überhaupt der geisteswissenschaftlichen Fächer, die Vorherrschaft einer Orientierung an „Kompetenzen“, die nicht selten auf Kosten der inhaltlichen Dimension des Unterrichts geschieht, der allzu oft arg hemdsärmelige Pragmatismus im Schulbereich oder auch der empiristische Reduktionismus, der vielfach eine anthropologisch und auch metaphysisch verankerte Pädagogik ersetzt hat – mit Sorge. Im Schulbereich experimentieren wir zu viel mit oft fragwürdigen Intentionen und Methoden – und suchen dabei das Heil immer wieder in der Technik, so als ob nicht bekannt sei, dass letztlich vielleicht nicht alles, aber fast alles von der Persönlichkeit des Lehrers oder der Lehrerin abhängt. Dies gilt insbesondere, wie sich zeigen wird, für den Religionsunterricht. Hinzu kommt, dass ich selbst Theologie auch mit dem möglichen Ziel, Religionslehrer zu werden, studiert habe. Dass ich heute nicht als Religionslehrer arbeite, hat eine Reihe von Gründen, aber auf keinen Fall den, dass ich nicht als Religionslehrer hätte tätig sein wollen. Ganz im Gegenteil: Ich wäre sehr gerne Religionslehrer geworden, finde diese Tätigkeit äußerst wichtig und auch attraktiv und meine, dass man noch mehr tun könnte, um diese Attraktivität herauszustellen und dadurch junge Menschen für diese „Berufung“ – denn genau darum sollte es sich in inhaltlicher, didaktischer und religiöser Sicht handeln – zu gewinnen. Auch dies erklärt, dass mir der Religionsunterricht ein Anliegen ist.
Ein wichtiger Grund liegt auch darin, dass meiner Überzeugung nach im Religionsunterricht durch die Bildung der Person ein enormes, zudem weit über die einzelnen Schülerinnen und Schüler hinausreichendes Potenzial liegt, das bedauerlicherweise oft nicht ausreichend bewusst ist und daher auch nicht angemessen genutzt oder gestaltet wird. Denn wenn er recht verstanden und durchgeführt wird, wird in ihm etwas erinnert und zur Sprache gebracht, das anderswo längst vergessen, verdrängt oder nur noch in Versatzstücken überliefert wird: Gott. Der Religionsunterricht ist daher als „Stachel im Fleisch“ einer zunehmend gottvergessenen Welt schlicht zu wichtig, als dass man das Nachdenken über ihn den Fachleuten – die ja bekanntermaßen gelegentlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen – überlassen könnte. Ein Blick von außen kann manchmal helfen – und sei es dadurch, dass er einen Anstoß zu einem weiteren und vertieften Nachdenken bietet. Viel mehr als ein solcher, oft thesenhafter Anstoß ist aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Überlegungen ohnehin nicht möglich. Vielleicht wiederhole ich dabei auch nur, was anderswo besser beschrieben ist, und trage die berühmten Eulen nach Athen. Vielleicht sind auch meine Ausführungen viel zu schön in der Theorie, als dass sie sich angesichts der konkreten Erfordernisse des Faches ins Praktische übersetzen ließen. Im Bewusstsein um diese möglichen Begrenzungen der folgenden Ausführungen, die aus christlicher (und überdies deutscher) Perspektive entwickelt sind, aber aus jüdischer oder islamischer Sicht mutatis mutandis ähnlich formuliert werden könnten, möchte ich mit der Schilderung einiger wichtiger Herausforderungen beginnen, vor denen der Religionsunterricht heute steht.
2 Herausforderungen, Aufgaben und Potenziale
Im Englischen würde man das, was ich zunächst als These aufstellen möchte, einen „truism“ nennen, eine Binsenweisheit, die so wahr ist, dass sie eigentlich gar nicht der Erwähnung bedürfte. Und doch gibt es manche Selbstverständlichkeiten, die gelegentlich wieder in Erinnerung gerufen werden müssen – weil sich, wenn man länger über diese Wahrheiten nachdenkt, dann doch neue Dimensionen oder Gesichtspunkte, die man lange übersehen hat, zeigen. Die These lautet, dass der Religionsunterricht wie kein anderes schulisches Fach in einer besonderen Herausforderung steht. Diese Situation ist nicht neu, doch haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten einige Koordinaten dieser Grundsituation verschoben. Dies hat dazu geführt, dass der konfessionelle Religionsunterricht sich heute in einer zuvor in diesem Ausmaß nicht bekannten Krise befindet.
Die Bezeichnung „konfessioneller Religionsunterricht“ verweist auf die Herausforderung, in der dieses Fach steht: Es handelt sich um ein Unterrichtsfach, das zugleich eine bestimmte konfessionelle, also bekenntnishafte Orientierung hat. Der Religionsunterricht ist eine res mixta. Staat und, im Falle des christlichen Religionsunterrichts, Kirche üben gemeinsam die Aufsicht über dieses Fach aus. Religionslehrerinnen und -lehrer bedürfen daher einer kirchlichen Lehrerlaubnis. Denn sie sind nicht einfach nur staatliche Angestellte oder Beamte, sondern „gesandt“ und beauftragt, im Namen der Kirche das Fach Religion zu unterrichten. In einem weltanschaulich neutralen Staat kann diese Hybridform des Weltlichen und des Kirchlichen, um einmal so vereinfachend zu sprechen, zunächst nach einer Verletzung der gebotenen Neutralität aussehen. Dass dem nicht so ist und der Staat durchaus die Wertevermittlung an Religionsgemeinschaften delegieren kann, ja, dass er, um nicht selbst Werte zu setzen, auf diese Delegation angewiesen bleibt, ist, auch wenn es immer wieder kontrovers diskutiert wird, seit langem anerkannt.2 Und doch erheben sich in jüngerer Vergangenheit zunehmend Stimmen, die diese „Mischung“ allein schon deshalb in Frage stellen, weil wir nicht mehr in einer religiös homogenen, sondern in einer zunehmend multi- und nicht-religiösen