Die neuartige wissenschaftliche Herangehensweise an die Wirtschaft, die in diesem Buch vorgestellt wird, hat sich aus einer Fachgebiete übergreifenden Forschung heraus entwickelt und findet aus der Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Theorien wie der Systemtheorie der Evolution, der Chaostheorie, der Komplexitätstheorie, der Selbstorganisationstheorie und weiterer neuer Betrachtungsweisen sozialer Systeme statt. Die auf dieser Herangehensweise basierende Forschung führte zunächst zur Veröffentlichung von Kelch und Schwert. Unsere Geschichte, unsere Zukunft, worin ich eine mehrdimensionale Betrachtungsweise der Menschheitsgeschichte einführe, um zum Kern dessen vorzustoßen, was uns in unserer kulturellen Entwicklung vorantreibt bzw. zurückwirft.1 Im Rahmen dieser Forschung entstanden auch weitere Bücher, in denen ich das Thema Geschlechter und Macht aus dieser Perspektive untersuchte.2 Hier wende ich diese wissenschaftliche Herangehensweise auf die Wirtschaft an und schließe so den Kreis meiner Nachforschungen über Geschlechtlichkeit, Macht und Geld – von denen es heißt, sie würden die Welt am Laufen halten.
Meine Analyse der Wirtschaft bezieht sich auf aktuelle Ergebnisse aus der Erforschung evolutionärer Systeme und stützt sich auf die aus meiner Sicht besten Forschungsarbeiten auf dem Feld der Wirtschaftswissenschaften. Meine offizielle akademische Ausbildung habe ich nicht in Wirtschaftswissenschaft absolviert, sondern auf dem Gebiet der Rechts- und Sozialwissenschaften und der Anthropologie. Das macht mich zur Außenseiterin, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Der Vorteil besteht darin, dass ich dadurch weniger vorgefasste Vorstellungen in meine Betrachtung der Wirtschaft mit einbringe – was einer der Gründe ist, warum Fortschritte in den unterschiedlichsten Disziplinen häufig von Außenseitern erzielt werden.
Mein Ansatz besteht darin, aus mehreren Fachströmungen zu schöpfen. Diese Forschungsmethode findet immer stärkere Verbreitung, denn wenn wir angemessen auf die Herausforderungen unserer komplexen Welt reagieren wollen, müssen wir zahlreiche Wissensgebiete miteinander verknüpfen. Bei dieser breit angelegten Analyse werden Themenbereiche – darunter auch kulturelle Überzeugungen und gesellschaftliche Institutionen – untersucht, die oberflächlich betrachtet nicht mit der Wirtschaft in Zusammenhang stehen und von der konventionellen Wirtschaftswissenschaft meistens nicht berücksichtigt werden. Besondere Beachtung schenkt diese Analyse den Überzeugungen davon, was wertvoll ist und was nicht. Zu den untersuchten Themenbereichen gehören Beziehungen, Männer und Frauen, Familie und Arbeit, Technik, Politik und all die vielen anderen Themen, die miteinander verknüpft sind und aus denen die lebendige Wirtschaft auf unserem vernetzten und zunehmend gefährdeten Planeten besteht. Tatsächlich werden Themenbereiche betrachtet, die in konventionellen Wirtschaftsanalysen völlig fehlen, wie zum Beispiel die frühe Eltern-Kind-Beziehung und die Beziehung zwischen der weiblichen und der männlichen Hälfte der Menschheit sowie die tiefgreifenden Auswirkungen, welche diese auf die Werte und die Interaktionen von Menschen haben – auch in Hinblick auf die Wirtschaft. Außerdem findet die Betrachtung hier aus einem neuen Blickwinkel statt, nämlich unter Berücksichtigung von zwei grundlegenden Beziehungsmodellen: dem von gegenseitigem Respekt getragenen Partnerschaftssystem und dem auf Hierarchie basierenden Dominanzsystem.
Frühere gesellschaftswissenschaftliche Kategorien, die mit Gegenüberstellungen wie rechts und links, religiös und säkular, Ost und West, industrialisiert und prä- oder postindustriell arbeiten, fokussieren jeweils nur Teilaspekte einer Gesellschaft, beispielsweise technologische Entwicklungen oder Fragen der geographischen oder ideologischen Ausrichtung. Das macht eine tatsächlich systemumfassende Untersuchung unmöglich. Das Partnerschaftssystem und das Dominanzsystem umfassen die Gesamtheit gesellschaftlicher Überzeugungen und Institutionen – angefangen bei der Familie über Bildung und Religion bis hin zu Politik und Wirtschaft. Das heißt, sie beschreiben umfassende soziale Strukturen, die aus dem herkömmlichen, auf enger gefassten Kategorien basierenden Blickwinkel nicht erkennbar waren.
Der Psychologe Robert Ornstein schreibt in seinem Buch Die Psychologie des Bewusstseins, dass Phänomene für uns nur schwer wahrnehmbar sind, wenn wir sie keiner Kategorie zuordnen können: Sprache stelle ein beinahe unbewusst festgelegtes Kategoriensystem dar, das es den Sprechenden ermöglicht, Erfahrungen auszublenden, die außerhalb dieses gemeinsamen Kategoriensystems liegen.3
Für einen Systemwandel brauchen wir Kategorien, die nicht einfach die grundlegenden Bereiche unserer Gesellschaft außer Acht lassen. Die Kategorien des Partnerschafts- und Dominanzsystems erfüllen diesen Anspruch. Sie umfassen die grundlegenden Werte und Institutionen einer Gesellschaft, sowohl in dem von uns als Privatsphäre bezeichneten Bereich der Familie und anderer enger Beziehungen als auch im öffentlichen Leben wie den lokalen, nationalen und internationalen Gemeinschaften. Von vorrangiger Bedeutung ist jedoch, dass sich mithilfe dieser Modelle beschreiben lässt, welche Werte und Institutionen diese beiden grundverschiedenen Beziehungsmuster jeweils fördern oder hemmen, und zwar in sämtlichen Lebensbereichen – einschließlich der Wirtschaft.
2.2 Das Dominanz- und das Partnerschaftssystem
In Dominanzsystemen gibt es in Beziehungen nur zwei Möglichkeiten: Man ist übergeordnet oder untergeordnet. Die Übergeordneten kontrollieren die Untergeordneten – sei es in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft. Wirtschaftspolitik und -praxis sind darauf ausgerichtet, den Übergeordneten auf Kosten der Untergeordneten Vorteile zu verschaffen. Es herrschen hohe Anspannung und ein Mangel an Vertrauen, weil das System vornehmlich durch Angst und Zwang aufrechterhalten wird.
Fürsorge und Mitgefühl müssen unterdrückt und abgewertet werden, um die Hierarchien aufrechtzuerhalten. Das beginnt in den Familien und reicht bis in Politik und Wirtschaft. Aus diesem Grund besteht einer der Grundpfeiler einer Caring Economy aus Überzeugungen und Institutionen, die sich stärker an einem Partnerschaftssystem orientieren.
In einem Partnerschaftssystem werden Beziehungen gestärkt, die von gegenseitigem Respekt und Fürsorge geprägt sind. Auch hier gibt es Hierarchien, um die Funktionalität des Systems zu wahren, aber ich nenne diese Hierarchien »funktionelle Hierarchien«4, denn anders als bei »dominanzgeprägten Hierarchien«5 gelten Rechenschaftspflicht und Respekt hier wechselseitig und nicht nur von unten nach oben. Außerdem sind die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen so gestaltet, dass alle Ebenen teilhaben und Einfluss nehmen können. In einem Partnerschaftssystem ermutigen, inspirieren und stärken Führungskräfte, anstatt zu kontrollieren und zu schwächen. Wirtschaftspolitik und -praxis in einem Partnerschaftssystem sind darauf ausgerichtet, unseren überlebensnotwendigen Grundbedürfnissen sowie unserem Bedürfnis nach Gemeinschaft, Kreativität, Sinnhaftigkeit und Fürsorge – oder anders ausgedrückt: der bestmöglichen Entfaltung unseres menschlichen Potenzials – gerecht zu werden.
Keine reale Gesellschaft beruht auf einem reinen Partnerschafts- oder Dominanzsystem, sondern enthält immer Anteile beider Systeme. Dennoch ist die allgemeine Lebensqualität in Ländern, die sich an einem Partnerschaftssystem orientieren, höher als in Ländern, die mehr Anteile eines Dominanzsystems aufweisen – wie im Folgenden am Beispiel der nordeuropäischen Länder gezeigt wird. Und das ist kein Zufall – es ist bekannt, dass in den Ländern des Nordens Fürsorge und Care-Arbeit durch die Politik sichtbar gemacht und wertgeschätzt werden.
In den aktuellen Wirtschaftsmodellen gibt es zwar partnerschaftliche Elemente – doch viele unserer globalen Probleme resultieren daraus, dass sowohl kapitalistische als auch kommunistische Wirtschaftssysteme stark dominanzgeprägt sind.
Obwohl es große Unterschiede zwischen kapitalistischen und kommunistischen Wirtschaftssystemen gibt, werden in beiden sowohl die natürlichen Ressourcen als auch die Produktionsmittel von »den Oberen« kontrolliert – was auf Mensch und Natur gleichermaßen negative Auswirkungen hat. Im Sowjet-Kommunismus übten das politische Establishment sowie die großen, von der Regierung gelenkten Staatsbetriebe eine hierarchische, auf Angst und Zwang basierende Kontrolle aus und verursachten Umweltprobleme, deren bekanntestes Beispiel die Tschernobyl-Katastrophe darstellt. Auch im aktuellen, an den USA orientierten Kapitalismus arbeiten Regierungen und Konzerne Hand in Hand. Mithilfe von Wahlkampfspenden, machtvollem Lobbyismus und anderen