Sie gingen Doras Straße entlang und als diese sich gabelte, bogen sie links ab. Das erste Stück lief hier genau wie zuvor, aber dann war plötzlich etwas anders. Anita brauchte einen Moment, um zu erkennen, was es war: Hier fehlte die Straßenbeleuchtung. Die Häuser sahen absolut identisch aus – als wären sie nur zur Ablenkung da ...
„Drehen wir um?“, fragte Dora.
Anita nickte. Aber – es funktionierte nicht! Egal, was sie taten, sie blieben am Fleck.
„Was ist mit uns los?“, fragte Dora panisch, aber Anita wusste es nicht.
„Vielleicht geht es in die andere Richtung“, meinte sie und versuchte, nicht so verwirrt zu klingen, wie sie war.
Tatsächlich: Es klappte.
„Gehen wir also weiter?“, fragte Dora.
Anita schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Wer weiß, was uns dort erwartet? Vielleicht will uns etwas anlocken oder so.“
„Und du willst bis in alle Ewigkeit hier stehen bleiben?“
Anita überlegte kurz. „Nein!“, beschloss sie dann. „Ich geh vor und schaue, wo ich hinkomme.“ Ihr eigener Mut überraschte sie, doch Dora zeigte ihr nur einen Vogel.
„Denkst du, ich lass dich dort allein hin?“, fragte sie. „Überhaupt ist es sicher besser, wenn wir zusammenbleiben.“
Also schlichen sie gemeinsam den dunklen Weg entlang. Plötzlich hörten sie ein vielstimmiges Heulen und die Wolken schoben sich zur Seite, sodass der Mond alles in ein unheimliches Licht tauchte. Sie standen vor einem Furcht einflößenden Schloss. Seine Türme ragten hoch und bedrohlich in den Himmel. Die Fensterläden hingen herunter und einige Dachziegel fehlten. Es sah aus wie eine der Burgen in den Horrorfilmen, die Doras Bruder sich immer anschaute.
Da standen plötzlich einige Hexen um sie herum. Eine von ihnen zog einen Sack heraus und stopfte Anita hinein. Sie zappelte und kreischte, aber niemanden schien das zu kümmern. Dora stand wie erstarrt da und sah zu.
Dann bemerkte Anita, dass neben ihr in dem Sack noch etwas atmete. Da war jemand! „Hallo?“, fragte sie leise.
„Hallo. Ich heiße Timmi“, antwortete ein Junge neben ihr.
„Ich bin Anita. Weißt du, wo wir sind?“, flüsterte sie.
„Sie nennen es nur das Schloss.“
„Wer sind sie?“
„Alle hier. Lauter Monster und so. Ich bin schon länger hier im Sack und hab einiges belauscht. Die Hexen sammeln Kinder ein. Dann beißen die Zombies die Kinder und sie werden selbst Gruselwesen. Zuerst sind sie noch normal und nett, aber mit der Zeit werden sie immer böser. Derweil müssen sie in den Kerker.“
„Das heißt, wir werden auch so etwas?“, flüsterte Anita entsetzt. Sie spürte, dass Timmi nickte – sehen konnte sie es im finsteren Sack ja nicht. „Und man kann nichts dagegen tun?“
„Doch. Sie werden wieder zu Menschen, wenn man sie berührt.“
„Aber das geht doch ganz leicht!“
„Ja, hab ich auch gedacht. Aber erstens kommen wir hier wahrscheinlich nicht so bald raus und zweitens muss man sie wirklich berühren, nicht ihr Gewand oder so. Die meisten tragen aber Handschuhe und alles.“
„Oh.“ Da fiel Anita noch etwas ein: „Warum haben sie eigentlich Dora nicht gefangen?“
„Deine Freundin? Keine Ahnung. Oder ... hatte sie ein Kostüm an?“
Anita nickte. „Vielleicht haben sie gedacht, dass sie eine von ihnen ist“, meinte Timmi.
Die Hexe trug sie herum und Anita wurde schwindelig. Sie war erleichtert, als sie stehen blieben, obwohl sie wusste, dass sie nichts Gutes erwartete.
„Hier!“, sagte Timmi. Er hatte ein Loch im Sack entdeckt, durch das sie beobachten konnten, was draußen vor sich ging. Die Hexen hatten sich versammelt, unter ihnen war auch Dora.
Auf einem großen Thron saß ein Skelett mit Krone und einem langen, violetten Umhang. „Öffnet nacheinander eure Säcke!“, befahl es mit einer Mädchenstimme.
Anitas Trägerin war zuerst dran. Sie machte den Beutel auf und schüttelte unsanft Anita und Timmi heraus. Timmi rieb sich den Kopf, doch Anita sprang auf und rannte auf die Königin zu. Die wollte ausweichen, aber Anita streckte ihr die Hand ins Gesicht. Langsam verwandelte sie sich in ...
„Lyra!“, rief Anita, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
„Anita!“, schrie Lyra.
Die Schwestern umarmten sich. Minuten vergingen, bis sie sich voneinander lösten. „Und was machen wir mit den anderen hier?“, fragte Anita.
Lyra überlegte kurz. „Vielleicht hören sie noch auf mich. Alle in eine Reihe stellen und sich von ihr berühren lassen! Holt auch die Gefangenen aus den Kerkern. Und lasst die Menschen frei!“
Die Wesen gehorchten. Die Kinder berührten sie alle und diejenigen von ihnen, die sich bereits wieder zurückverwandelt hatten, halfen ihnen dabei. Als alle erlöst worden waren, gingen draußen die Straßenlaternen an und sie konnten wieder zurückgehen. Von da an mochte Anita Halloween.
Tanja Koller: Ich lebe mit meinen Eltern und meinen beiden jüngeren Brüdern in Niederösterreich. Sehr gerne schreibe ich, deshalb möchte ich einmal Autorin werden.
*
Schock im Gruselhaus
Es war der Abend an Halloween. Tom und seine Schwester Marie waren zu Besuch bei ihren Großeltern in einem kleinen Ort. Die beiden Geschwister sehnten diesen Abend schon lange herbei, da die Großeltern den beiden versprochen hatten, dass sie von Haus zu Haus ziehen durften. Schließlich war ja Halloween! Beim Abendessen waren Tom und Marie schon so aufgeregt, dass sie kaum einen Bissen von ihren Broten hinunterbekamen. Tom kaute sogar so lange auf einem Stück Käse herum, bis dieses so weich wie Watte war.
Als es endlich dunkel wurde, verkleideten sich die Geschwister. Tom als Kürbis und seine Schwester als Hexe. Mit Taschenlampen bewaffnet, zogen die beiden los. Ihre Großeltern winkten ihnen hinterher und riefen: „Grüßt die Geister von uns!“
„Machen wir“, hallte es übermütig von den beiden zurück!
Nach ein paar Häusern, die die beiden erfolgreich ausgeraubt hatten, kamen sie an einem Friedhof vorbei! Die Gräber schimmerten im Mondlicht angsteinflößend. Die beiden mutigen Kinder liefen aber nur schnell daran vorbei. Nach kurzer Zeit kamen sie an ein altes gruselig aussehendes Haus. Marie wollte einfach nur schnell daran vorbeilaufen, doch Tom wurde langsamer und leuchtete mit der Taschenlampe auf die morsche alte Tür des Hauses.
Kaum machte der Junge Anstalten, auf die Tür näher zuzugehen, hielt ihn jemand am Ärmel seines Kostüms fest. Er zuckte zusammen, doch beruhigte er sich schnell wieder, als er die vertraute Stimme wahrnahm, die ihm zuzischte: „Spinnst du?! Was, wenn es da drin spukt?“
Er atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass es nur seine Schwester war. Gelassen erwiderte er: „Da drin spuckt es doch nicht, das ist nur so ein altes Haus und ich habe gesehen, dass die Tür nur angelehnt ist! Da passiert schon nichts! Ich geh da jetzt rein!“
Marie zögerte kurz, als ihr Bruder näher auf die Tür zuging, doch sie wollte ihn nicht alleine lassen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und folgte ihrem Bruder tapfer bis an die Tür. Vorsichtig öffnete Tom diese. Sie quietschte und knarzte wie in einem Horrorfilm. Ängstlich klammerte sich Marie an ihren Bruder. Als die Tür ganz offen war, bestaunten die beiden Geschwister die große edle Eingangshalle. Sie waren so versunken in ihrer Bewunderung, dass sie nicht mitbekamen, wie ein Schatten hinter ihnen flink durch die Tür huschte und auch schon wieder in der Dunkelheit