Ich habe diesen Fall mit meinem Lieblingsplot an der Universität einmal in einer Strafrechtsübung für Anfänger zur Bearbeitung ausgegeben, wobei natürlich deutsches Recht anzuwenden war. Also, Zahnarzt Dr. Schäufele in Stuttgart, Tante und Oberst in Plüderhausen, wobei aus dem Oberst ein Schraubenproduktionsweltmarktführer wurde, ansonsten alles gleich. In der Vorstellung des Dr. Schäufele war der Pfandschein eine fremde Sache, so daß seine liebe Frau in seiner Vorstellung insoweit eine Fundunterschlagung gemäß § 246 Abs. 1, 3 StGB begangen hatte, wobei nach der sog. Sachwerttheorie, die im Unterschied zur Substanztheorie anzuerkennen ist (so treffend Haft, Strafrecht Besonderer Teil, passim und ihm folgend die herrschende Rechtsprechung und das Schrifttum; abweichend nur Müller-Seibermann in Der Niedersächsische Rechtspfleger 1947, Seitenzahl vergessen), nicht der Pfandschein, sondern die darin verkörperte Sache, also der Nerzmantel, Tatobjekt war. Dieser Irrtum könnte eine versuchte Hehlerei, §259 Abs. 1, 3 StGB des Dr. Schäufele zur Folge gehabt haben, wobei ein untauglicher Versuch in Frage kam und erneut das Problem entstand, ob bereits der Erwerb des Pfandscheins ein »Sichverschaffen« im Sinne des Gesetzes dargestellt hat oder ob eine Hehlerei am Pfandschein vorlag. Wie schon gesagt, es muß im Krimi nicht immer und Mord und Totschlag gehen. Ich will das nicht weiter ausführen; die Fachleute wissen was ich meine, und die übrigen verstehen es ohnehin nicht. Die Studenten haben sehr gejammert und gefragt, warum denn Frau Schäufele nicht behauptet hat, sie habe den Nerzmantel auf der Straße gefunden, wo ja in Plüderhausen bekanntlich alles mögliche herumliegt. Ich habe diese Attacken abgewehrt, das Leben passe sich nun einmal nicht den Nöten der Studenten an. Ich will das hier aber, wie gesagt, nicht weiter ausführen, da wir hier ja nicht Strafrecht betreiben.
Roald Dahl hat viele weitere schöne Plots erfunden. Ein weiteres Beispiel aus seinen Onkel Oswald Geschichten möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Onkel Oswald war ein reicher Müßiggänger, der für jede Schnapsidee zu haben war. Solche Leute gab es früher in England. Eines Tages begegnete ihm ein Olfaktor, also, wie Sie natürlich wissen, ein Mensch, der den Geruchssinn erforschte. Wie Sie ebenfalls wissen, nennt man diese wissenschaftliche Disziplin Osmologie oder auch Osphresiologie. Unser Forscher – nennen wir ihn F – behauptete, er könne ein Parfum erfinden, das jeden Mann, der auch nur einige Partikel davon in seine Nase bekäme, in ein rasendes Sexungeheuer verwandeln würde. Unweigerlich würde er über die nächstbeste Frau herfallen. Onkel Oswald war skeptisch, aber nach einem kleinen Selbstversuch, der damit endete, daß er sich die Kleider vom Leib riss und nach einer Frau Ausschau haltend umherraste, war er von der Erfindung überzeugt und finanzierte sie. Für ihren praktischen Einsatz sah er die Jahresversammlung der US-amerikanischen Frauenbewegung im Waldorf-Astoria Hotel in New York vor, auf welcher der US-Präsident eine Rede halten sollte. Ein Tropfen des Parfums wurde in einer dünnen Glaskapsel eingeschmolzen, welche an einer Orchidee befestigt war, die Onkel Oswald vor der Veranstaltung bei der Präsidentin des Frauenkomitees angeblich im Namen des Präsidenten übergeben wollte. Die Kapsel sollte sich in dem Augenblick öffnen, in dem der Präsident die Leiterin der Frauenbewegung nach amerikanischer Sitte auf der Bühne umarmen würde, worauf sich der Präsident die Kleider vom Leib reißen und über die füllige Matronen herfallen sollte, was alle Fernsehsender des Landes live übertragen würden. So weit, so gut der Plan. Aber wie schon Moltke richtig bemerkt hat, überlebt selbst der beste Plan nicht die erste Feindberührung. Bei der Übergabe der Orchidee im Hotelzimmer kam es zu einer kleinen Panne und Onkel Oswald war es, der im Sexualrausch über die Präsidentin der Töchter der amerikanischen Revolution in ihrer Hotelsuite herfiel – eine stattliche Fregatte mit wogendem Busen, die gut hundert Stein wog, und die derlei gewiss noch niemals erlebt hatte. Nach fünf Minuten war der Rausch vorbei und die erfreute Lady sprach würdevoll: »Junger Mann, ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie wollten. Aber jedenfalls war es ein erstaunliches Erlebnis.«
Den Ausdruck »erstaunlich« hat übrigens der Schriftsteller Max Gold in einem seiner Bücher feinsinnig verwendet. Treffen sich Doktor Gütenkron und Direktor Goldfinger (die Namen müssen nicht stimmen – ich zitiere aus dem Gedächtnis) auf einer Party, auf der auch das kürzlich flügge gewordene Töchterchen Gütenkron herumschwirrt, und da spricht Doktor Gütenkron zu Direktor Goldfinger: »Eben saß sie noch auf ihrem Pony und jetzt leitet sie einen internationalen Konzern – ist das nicht erstaunlich?« Wenn jemand zu Ihnen »erstaunlich« sagt, empfehle ich Ihnen, mit »entzückend« zu antworten.
Zurück zu den Plots. Die verbreiteten »Whodunits«, die von Montagmorgen bis Sonntagabend auf den Fernsehkanälen gesendet werden, enthalten so gut wie nie einen Plot, und auch viele Krimiautoren verzichten darauf, ich vermute, mangels Phantasie der Autoren. Einen guten Plot zu erfinden ist nämlich eine extrem schwierige Aufg abe. Am ehesten wird man noch bei den Short Stories fündig. Dazu ein Beispiel: In einer von Dolly Dolittle herausgegebenen Sammlung »schrecklicher Geschichten« erzählt Robert Bloch unter dem Titel »... ganz wie Zuhause« die Geschichte der jungen Australierin Natalie, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, und die nach England zu ihrem Onkel Dr. Bracegirdle reist, einem Landarzt, den sie nur aus Erzählungen kennt, und bei dem sie künftig leben soll. Nachts kommt sie auf der kleinen Bahnstation Hightower an. Sie hat dem Onkel, der einige Meilen entfernt seine Praxis betreibt, ihre Ankunft telegrafisch mitgeteilt, aber niemand erwartet sie. Statt dessen Nebel, Kälte und aus der Ferne das heisere Bellen des Hundes von Baskerville. Immerhin ist da eine Telefonzelle, von der aus sie in der Praxis anruft. Die Verbindung ist schlecht. Sie hört Stimmengewirr, dem sie entnimmt, daß in der Villa des Doktors gerade eine Party im Gang ist. Endlich meldet sich eine weibliche Stimme, die auf ihre Bitte hin den Onkel ruft. Er meldet sich, begrüßt sie herzlich, gluckst aber merkwürdig. Er bedauert, sie wegen eines dringenden Patientenbesuches nicht abholen zu können, er werde ihr aber Miss Plummer schicken, die sie mit dem Krankenwagen abholen werde. Miss Plummer kommt, eine lange, hagere Frauensperson in einer Art weißer Schwesterntracht, welche zerdrückt ist und schlecht sitzt, und bringt sie in rasender Fahrt zur Praxis. Unterwegs erfährt Natalie, daß der Doktor Psychiater ist und viele wohlhabende Patienten betreut. Die Praxis befindet sich in einem riesigen Gebäude in einem großen Park. Im Haus stößt sie auf ein Dutzend Personen in fröhlicher Geselligkeit. Ein reichlich angetrunkener Major belästigt sie, aber ein schlanker, grauhaariger, überaus distinguierte Herr weist ihn zurecht und entschuldigt ihn. Dies sei eine Abschiedsfeier. Dabei lacht er das Glucksen, das sie vorhin am Telefon gehört hat. »Du – Sie sind in Wirklichkeit Dr. Bracegirdle«, ruft sie. Er verneint das. »Und wo ist mein Onkel?« fragt sie. »Dort drüben.« Er verweist auf etwas im Ordinationszimmer, was dort zwischen der Couch und der Wand liegt. Ihr bietet sich ein schrecklicher Anblick, den sie nur eine Sekunde aushält. Jetzt kommt Miss Plummer. »Mein Gott, Sie haben ihn also gefunden. Dabei haben Sie die anderen noch nicht gesehen. Die oben. Das ganze Personal des Doktors. Grausig, wenn Sie mich fragen.« Die ganze Gesellschaft hat sich hinter ihr in den Raum gezwängt und starrt stumm herum. »Warum?« schreit Natalie. »Das kann nur das Werk eines Irren gewesen sein, der in eine Irrenanstalt gehört.«»Mein armes Kind«, sagt Miss. Plummer und schließt die Tür ab. »Dieses hier ist doch eine.« Sie werden zugeben – das ist ein Plot.
Jede Krimi-Kurzgeschichte braucht einen Plot. Deshalb sollten sie zu Übungszwecken Kurzgeschichten lesen.
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