Fritjof Guntram Haft
Der Krimi an sich
ERMITTLUNGEN ALLER ART
Saga
Der Krimi an sichCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 2013, 2019 Fritjof Guntram Haft und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711668702
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Beim Krimi-Autor ist das Böse in guten Händen
(Loriot)
A. Einleitung
Der Krimi ist die älteste aller literarischen Gattungen. Schon in der Bibel finden Sie im ersten Buch Mose Kapitel 3 alles, was auch heute noch für einen Krimi erforderlich ist, einen Bösewicht im Hinter- (genauer: Unter-)grund, nämlich die Schlange, eine Täterin, das Weib, einen weiteren Täter, den Mann, eine Tat, den Mundraub, einen Aufklärer, den HERRN und eine Strafe, die Ausweisung aus dem Garten Eden. Aus der Sicht des heutigen Strafrechts handelt es sich bei dem Handeln von Weib und Mann um einen Fall echter arbeitsteiliger sukzessiver Mittäterschaft i. S. d. § 25 Abs. 2. Strafgesetzbuch (StGB) bei der Begehung eines Diebstahls, § 242 StGB (den früheren Tatbestand des Mundraubs gibt es im Sozialstaat nicht mehr), wobei die erforderliche Beweglichkeit der Sache durch das Abpflücken vom Baum (an sich Bestandteil einer unbeweglichen Sache, nämlich des Paradiesgartens) herbeigeführt wurde, was nach der wegweisenden Entscheidung des Landgerichts (LG) Karlsruhe in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 1993, S. 542 am Fall abgefressenen Grases unter einhelliger Zustimmung des Schrifttums geklärt wurde. Die Tat ist auf eine Anstiftung der Schlange, § 26 StGB, zurückzuführen, deren Strafe jedoch gemäß §28 Abs. I StGB nach §49 Abs. I StGB zu mildern ist, da besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit der Täter begründen, bei der Schlange fehlen. Vielleicht wollen Sie jetzt wissen, was »besondere persönliche Merkmale« sind. Nun, ein Blick auf § 14 Abs. I StGB schafft hier Klarheit. Das sind »besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände«. Und wenn Sie weiter fragen, was das ist, kann ich nur sagen, daß die Strafrechtswissenschaft noch nicht so weit ist. Wir arbeiten aber daran. Wahrscheinlich fällt der Wunsch, so zu sein wie der HERR und zu wissen, was gut und böse ist (was heute noch kein Allgemeinwissen ist, wie jeder Gefängnisdirektor bestätigen wird) unter diese Rubrik, auch wenn der Bundesgerichtshof für Strafsachen (BGHSt) das noch nicht abschließend geklärt hat. Nach der Bibel wollte das Weib überdies von dem Baum essen, weil er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre (diese Übersetzung stammt m. E. nicht von Martin Luther) und weil er klug machte, weshalb sie auch ihren Mann davon essen ließ; daß dies jedenfalls »persönliche Umstände« sind, scheint mir richtig zu sein, aber bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung muß ich diese Feststellung unter Vorbehalt stellen und von der Autorenhaftung ausnehmen. Die Strafe war vergeltend im Sinne der absoluten Straftheorien von Kant und Hegel, nämlich Verfluchung zum lebenslangen Auf-Dem-Bauche-Gehen-Und-Erde-Essen sowie zum »Kopf-Zertreten-Werden« (Schlange), zu Schlangenbissen in die Ferse, schmerzhaften Schwangerschaften und Unterordnung unter den Mann (Weib), die bis heute trotz des segensreichen Wirkens von Alice Schwarzer anhält, und zu kummervoller lebenslanger Berufsausübung im Großraumbüro während der Mobbingpausen der lieben Kollegen (Mann). Wie modern die Bibel bei alledem ist, hat P. G. Wodehouse mit der Geschichte eines Kaliforniers aufgezeigt, der seine liebe Frau loswerden wollte. Da nach kalifornischem Recht die Frau im Falle einer Scheidung die Hälfte des Vermögens des Ehemannes bekommt, erinnerte er sich aus seinem Konfirmationsunterricht an die Geschichte mit der Schlange. Er besorgte sich eine Klapperschlange, steckte sie in die Hosentasche und legte die Hose auf einen Stuhl im Schlafzimmer. Seine Frau kam und wollte wie üblich Geld von ihm haben. »Es ist in meiner Hose im Schlafzimmer«, sagte er. Sie ging dorthin und rief: »Meinst du die Hose, die auf dem Stuhl liegt?« – »Ja«, sagte er wohlgemut. Er vernahm ein rasselndes Geräusch, dann kam sie zurück und sagte: »Da ist nichts, bloß eine Klapperschlange.«
Auch das zur biblischen Zeit in Mesopotamien verbreitete Gilgamesch-Epos war ein Krimi. Gilgamesch, der König von Uruk, herrschte als Despot und zwang seine männlichen Untertanen zu gigantischen Bauprojekten, was deren sexuelle Leistungsfähigkeit verringerte. Ihre Ehefrauen beschwerten sich bei der Göttin Ištar, die sich an ihren Vater, den Himmelsgott An, wandte, dem dieser Weiberkram aber lästig war, weshalb er die Muttergöttin Aruru anwies, aus Lehm Enkidu zu schaffen, ein wildes, menschenähnliches Wesen, das später in die Rocky Mountains der USA auswanderte und dort den Namen Bigfoot erhielt. Enkidu sollte den Gilgamesch ermorden, aber es kam ein Traum dazwischen, ferner eine Dirne, die Erfindung des Bierbrauens und aus letzterem folgend der Erwerb des Verstandes bei Enkidu. Vereint betranken sich Gilgamesch und Enkidu. Es folgten dann diverse Heldentaten. Ich breche ab. Ich denke, Sie haben erkannt, daß es sich auch hier um einen klassischen Krimi handelte. Der geplante Mord, §211 StGB, wurde infolge eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch, § 24 StGB, nicht ausgeführt, wobei bis heute darüber diskutiert wird, ob ein im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB, also jenseits von 4 Promille Blutalkoholkonzentration, begangener Rücktritt als freiwillig zu beurteilen ist, was zwingende Voraussetzung des Rücktritts ist. Ich kann das hier nicht näher ausführen und verweise interessierte Leser auf den hilfreichen StGB-Kommentar von Schönke/Schröder, §34, Rzn. 42 ff. (die Auflage ist egal, da sich im Trunkenheitsbereich nichts zu ändern pflegt).
Daß die Ilias von Homer ebenfalls ein Krimi war, liegt auf der Hand. Ich sage nur: »Zorn des Achilleus«, ein klassischer sthenischer Affekt der Stärke, der keinesfalls die Überschreitung der Grenzen der Notwehr gemäß § 33 StGB entschuldigen kann. Der Rest ist Vorbereitung eines Angriffskrieges, §80 StGB, Beleidigung in allen Varianten, §§185 ff. StGB, Mord, §211 StGB, Totschlag, § 212 StGB, Störung der Totenruhe, § 168 StGB, Betrug, §263 StGB, Brandstiftung, §306c StGB, Gefährdung des Schiffsverkehrs, §315a StGB, Völkermord und dergleichen mehr. Daß die fahrenden Sänger in Mykene und anderswo mit diesem Krimi auf begeisterte Zuhörer stießen, zeigt, daß der heutige TV-Krimi, wie er auf allen Sendern an allen Abenden bis zum Ab(Er-)-brechen gesendet wird, nur ein Glied in einer langen Tradition ist. Stellen Sie sich vor, die Sänger hätten davon gesungen, wie fleißige Bauern ihre Felder bestellten, genügsam lebten, Weib und Kinder versorgten, freundlich zu ihren Nachbarn waren und das Ersparte bei der mykenischen Raiffeisenkasse anlegten. Homers Recken hätten sie erschlagen. Und stellen Sie sich dasselbe am Freitagabend um 20:15 Uhr im Fernsehen vor. Die Quote sänke unter eine meßbare Größe.
Diese drei Beispiele, denen ich viele weitere hinzufügen könnte – nehmen Sie etwa den Beginn der deutschen Literatur im Nibelungenlied – belegen, was die Menschen bewegt, was sie lesen, hören und heutzutage, da das Lesen zusehend in Vergessenheit gerät, abends im TV sehen wollen: Krimis. Die andere große Literaturgattung, die Liebesgeschichte, kam historisch erst in späteren Dekadenzzeiten hinzu und hatte gegen den Krimi niemals eine echte Chance. Am Ende wurde aus der Liebesgeschichte dann immer doch ein Krimi. So etwa bei Ovid, der in seinen Metamorphosen die nach Meinung von Kennern schönste Liebesgeschichte aller Zeiten geschrieben hat: Philemon und Baucis. Der Gott Zeus und sein Sohn Hermes verkleideten sich als arme Wanderer (warum sie das taten, verrät uns Ovid nicht), besuchten eine Stadt (welche es war, wissen wir nicht) und begehrten Einlaß. Natürlich kriegten sie den nicht. Würden Sie etwa ein Obdachlosenpaar von der Straße zum Essen mitbringen? Ihre Frau respektive Ihr Mann würden Ihnen etwas husten! Nicht so Herr Philemon und nicht so Frau Baucis, ein liebes, altes Ehepaar mit verrunzelten spinnwebgeschmückten Gesichtern, aus denen gütige Augen gütig blickten. Sie bewohnten eine ärmliche Hütte im Glasscherbenviertel der Stadt, aber sie nahmen die beiden vermeintlichen Penner auf und teilten ihr karges Mahl mit ihnen. Daraufhin gaben sich die Götter als solche zu erkennen, verwandelten die Hütte in einen goldenen Tempel und ernannten beide zu dessen Priestern. Auf die Frage, ob sie sonst noch etwas für die beiden tun könnten, sagten diese Gütigen lediglich,