Die Hölle um Maria Giotti. Robert Heymann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Heymann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711503737
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blickt hinaus, sein Auge schweift die Treppe empor. Er lächelt, auch der Inspektor hat bereits gesehen, daß die äußere Tür ganz oben Einschnitte eines Messers zeigt.

      „Das ist uns in der Dunkelheit des Treppenhauses entgangen! Versuche, die Wohnungstür auszuschneiden“, sagt Grassi. „An der dicksten Stelle! Der Mann hält uns für Narren. Ein Verbrecher schneidet so die Türfüllung nicht aus. Das ist Mache! Wir sollen glauben, ein Berufsverbrecher sei am Werk gewesen. Diese Komödie zeigt uns aber, daß kein Berufsverbrecher die Tat begangen hat.

      Avanti, meine Herren! Zu dem Toten!“

      Alle Beamten arbeiten bereits. Peinlich werden die Fingerabdrücke festgestellt. Der Inspektor bemerkt, daß der Mörder Gummiabsätze getragen hat. Der Absatz läßt sich rekonstruieren.

      Grassi kniet neben dem Toten. „Nie läßt es ein gewiegter Verbrecher auf solch einen ungleichen Kampf ankommen. Und dieser Kampf war furchtbar.“

      Die Beamten gehen durch alle Zimmer. Blitzschnell flammt es da und dort auf. Der Photograph macht Aufnahmen.

      „Der Täter ist mit einem Nachschlüssel eingedrungen. Er hat die. Wohnung auf dem gleichen natürlichen Wege wieder verlassen und die Tür hinter sich abgeschlossen“, sagt der Kommissar. „Allem Anschein nach war er mit der Örtlichkeit gut vertraut. Kaum anzunehmen, daß niemand ihn gesehen haben soll.“

      „Weibergeschichten“, bemerkt Cavaliere Beghi, der Polizeiinspektor, lakonisch. Er steht in dem Schlafzimmer des Grafen, hat in dem Papierkorb gekramt und eine in der Mitte durchgerissene Karte herausgeholt, die noch halb im Briefumschlag, steckt. Die Karte geht von Hand zu Hand, nachdem sie sofort auf Fingerabdrücke untersucht worden ist. Sie lautet:

      „27. August

      Ich komme um zehn Uhr zu Dir, wie immer,

      Carissimo! Laß die Tür offen!

      Deine Giulietta.“

      „Diese Giulietta werden wir ja wohl bald gefunden haben“, meint Leutnant Sonzo. „Die Art der Handschrift verrät gewöhnlichen Durchschnitt. Eine kleine amica — man kennt diese Art Briefchen —“

      Der Inspektor betrachtet finster das entfärbte Gesicht des Toten. Seine Hand streicht langsam über das Kinn.

      „Die Gräfin Martini ist eine rührend schöne Frau“, sagt er. Die Bemerkung ist ganz unmotiviert.

      Cavaliere Beghi, der mit seinen Gedanken öfters abseits ist, wirft einen schnellen Blick auf seine Kollegen. Aber nur Sonzo fragt: „Kennen Sie die Gräfin, Herr Inspektor?“

      „Vom Sehen. Eine Tochter Professor Giottis.“

      „Giotti?“

      „Ja. Eine berühmte Persönlichkeit. Ein großer Arzt.“ Die Leiche Martinis wird mit einem Teppich bedeckt. Die Portière wird hereingerufen, die Gräfin Scudellari, eine Kusine des Toten — die Cicognani kennt sie —, telephonisch benachrichligt. Sie sagt ihr sofortiges Erscheinen zu, um Aufschlüsse zu geben.

      Carabinieri haben das Treppenhaus gesäubert, die Straße ist in weitem Umkreis abgesperrt.

      Inzwischen erscheint aufgeregt der bekannte Außenredakteur eines der meistgelesenen Morgenblätter: Erneste Grandi. Ein Berichterstatter, der nicht vorgelassen worden war, hat ihm die Alarmnachricht gemeldet. Grandis Aufsätze gegen die Opposition finden seit Jahren das stärkste Interesse Bolognas. Eine Kampfnatur, ergeht er sich sofort in den wildesten Verwünschungen des unbekannten Mörders.

      „Das mußte so kommen! Die Frauen! Die Frauen! Was sollte Martini denn beginnen? Ich kenne die Geschichte seiner Ehe mit der Gräfin. Mit dieser Frau könnte kein Mann leben! Die Familie! Der Vater Atheist, der Bruder hemmungslos, die Mutter unterdrückt, die Tochter Maria eine eigenwillige, sich selbst hofierende Frau, emanzipiert. Der Graf mußte ja schließlich galante Abenteuer suchen!“

      Inspektor Beghi mahnt den Redakteur zur Ruhe. Es sei hier nicht der Ort, seinem Temperament die Zügel schießer zu lassen und das Eheleben des Grafen zu schmähen. Trotzdem läßt sich Beghi einige Auskünfte erteilen. Ob die Gräfin etwa keinen gemeinsamen Haushalt mit dem Grafen führte? Es seien getrennte Schlafzimmer in der Wohnung, ferner sei es seltsam, daß der Graf allein nach Bologna komme — oder ob das Ehepaar in Venedig eine zweite Wohnung besitze?“

      „Ja! Sie wohnen augenblicklich in Venedig, das ist mir bekannt! Es konnte auch kein Geheimnis bleiben, daß Maria Giotti ihren Gatten bereits einmal böswillig verlassen hat. Dann kehrte sie wieder reumütig zurück. Der Graf, ein Mensch von beispielloser Güte, nahm sie wieder auf. Sie lebten aber bald wieder getrennt in der gemeinsamen Wohnung, und Martini trug sich mit dem Gedanken, die Kinder in einem vornehmen Erziehungsheim unterzubringen, um sie dem Einfluß der Mutter zu entziehen!“

      „Das ist alles sehr traurig, für uns aber nicht uninteressant“, entgegnet Beghi nachdenklich. „Sind Sie ein Freund der Familie?“

      „Ich? Im Gegenteil. Martini ist mir zwar oberflächlich bekannt. Aber die Familie Giotti! Verkehr mit dieser? Ausgeschlossen! Professor Giotti ist ein Führer der Oppositionspartei. Unser politischer Gegner! Sein Sohn gehört zum extremsten Flügel! Wie sollte ich da der Freund dieser Familie sein?“

      „Aber Ihre Informationen über diese Ehe —“

      „Man hat sie uns eingesandt! Immer wieder! Seit langem schon werden wir bestürmt, auch einmal gegen Professor Giottis Privatleben zu schreiben.“

      Ernesto Grandi macht sich eilig Notizen und entfernt sich schließlich, nachdem er von Grassi einige Auskünfte über den Stand der polizeilichen Feststellungen erlangt hat. Die Vernehmung der Portière durch Leutnant Sonzo hat nichts Neues ergeben.

      Lisetta Aldini, eine der Schwestern aus der Wohnung gegenüber, ist von sich aus erschienen. Sie bleibt bei ihrer Aussage, sie habe gesehen, daß Graf Martini am Abend des 28. August noch einmal das Haus verlassen hat. Wann er zurückgekehrt ist, kann niemand sagen, mutmaßlich erst spät in der Nacht. Dann aber meldet sich noch ein Zeuge, der Tabakhändler Nipulos, ein Grieche. Er hat gesehen, daß ein Mann am Abend des 28. August aus der Wohnung des Grafen gekommen ist.

      „Wann?“ fragt Grassi.

      „Gegen acht Uhr. Ich wollte Herrn Pizotti sprechen, er ist aber verreist. Ich sah zufällig auf meine Uhr, weil ich noch eine Verabredung hatte. Wenige Minuten später also sah ich den Menschen.“

      „Das muß ein Irrtum sein“, erwidert Inspektor Beghi. „Wenn Graf Martini am 28. abends in Bologna eingetroffen ist, dann kann er nicht um acht Uhr aus der Wohnung gegangen sein. Der Expreßzug trifft, ich weiß das zufällig genau, erst nach acht Uhr in Bologna ein, der Graf kann also in Minuten nicht den weiten Weg vom Bahnhof hierher zurückgelegt haben und wieder ausgegangen sein! Übrigens wird er auch einige Minuten auf dem Bahnhof aufgehalten worden sein. Alles Umstände, die es ausschließen, daß Graf Martini um acht Uhr in seiner Wohnung war oder sie etwa schon wieder verlassen hat!“

      Der Grieche kann kaum erwarten, daß er zu Worte kommt.

      „Es war ja gar nicht der Herr Graf, den ich sehr gut kenne. Es war ein Fremder, den ich gegen acht Uhr aus der Wohnung treten sah.“

      „Am 28. August?“

      „Si, Signore!“

      „Wie sah er aus? Gewöhnlich?“

      „Nein! Er machte den Eindruck eines gebildeten Mannes, war schlank und nicht schlecht gekleidet. Mir fiel aber sein verstörter Blick auf, die Eile, mit der er fortlief.“

      Der Polizeiinspektor schüttelt den Kopf. „Vor dem Mord? Verstört? Sie werden sich in der Zeit irren! Es war später. Vielleicht neun Uhr!“

      „Wo denken Sie hin, Herr Inspektor!“ ereifert sich der Händler „Ich bin doch bei Sinnen! Ich sagte schon, es war zehn Minuten vor acht, meine Uhr ist durchaus verläßlich! Im übrigen hatte mich Herr Pizotti um acht Uhr bestellt. Ich bin eine Viertelstunde früher gekommen, aber, wie gesagt, ich habe meinen Kunden nicht angetroffen!“

      „Wer