»Warum denkst du, fühlst du so?«
Ich verdrehe die Augen über diese Frage. Alex ist ein toller Therapeut, aber… echt jetzt?
»Na ja, Doktor Weston, ich könnte mir vorstellen, dass ich eine gewisse Transphobie verinnerlicht habe, die dafür sorgt, dass ich meinen Cisgender-Freund darum beneide, wie leicht er Sexpartner findet«, trage ich mit einem Hauch von Sarkasmus vor. Ich habe mir die Worte eingeprägt, aber sie haben ihre Bedeutung verloren. Ich verstehe, warum ich so empfinde, was ich nicht weiß, ist, wie ich darüber hinwegkommen soll. Ich werde nie die Dinge haben, die Kyle hat, und das ist so verdammt unfair, dass ich schreien könnte.
»Was für eine scharfsinnige Beobachtung. Ein sehr kluger Arzt muss das schon mit dir besprochen haben«, erwidert Alex mit trockenem Sarkasmus, der das perfekte Beispiel dafür ist, warum ich ihn als meinen Therapeuten mag.
»Wyatt meint, dass ich es durchstehen und in den Dating-Pool springen soll.«
»Das hat er gesagt?«, fragt Alex mit hochgezogenen Brauen.
»Nein. Er würde niemals so aufdringlich oder unsensibel sein. Aber er hat mich in letzter Zeit jedes Mal darauf hingewiesen, wenn mich ein Mann abgecheckt hat. Er will wirklich, dass ich ausgehe, das merke ich.«
»Und du willst nicht ausgehen?«, fragt er.
»Himmel, Doc, natürlich will ich ausgehen. Ist das nicht das Ziel dieser Unterhaltung? Ich will so ausgehen können, wie Kyle es tut, ohne die Angst, die Unsicherheit und das Gefühl, nicht genug zu sein. Ich will viele Dinge, die ich nicht einfach mit einem Fingerschnipsen bekomme.«
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand sagt, es wäre so einfach wie ein Fingerschnipsen. Und als Transmann auszugehen, birgt noch ein zusätzliches Risiko; das werde ich nicht beschönigen. Aber falls du ein Dating-Leben wie Kyle haben möchtest, musst du auch rausgehen und dich verfügbar machen. Es wird nicht viele Verehrer anlocken, wenn du mit einem Verpiss dich-Schild um den Hals durch die Gegend läufst.«
Ich schnaube und streiche mit den Fingern gedankenverloren über das Eulen-Tattoo auf meinem Oberarm. Ich habe von diesem Tattoo geträumt, bevor ich es hatte und in dem Traum war ich so glücklich, dass ich glaubte, meine Brust würde vor purer Freude explodieren. Ich weiß nicht, was das alles bedeutet hat, aber so will ich fühlen. Ich will, was Royal mit Nash und Zade hat. Ich habe mein Geschäft und meine Hobbys, ich habe meine Freunde, aber ich will jemanden, mit dem ich am Ende des Tages kuscheln, mit dem ich faule Sonntage verbringen, jemanden, dem ich Ich liebe dich zuflüstern kann. Vorzugsweise zwei Jemande, aber ich mache gern einen Schritt nach dem anderen.
»Ich will das alles. Wie fange ich das an? Wie mache ich mich zugänglicher?«, frage ich mit einem Hauch von Verzweiflung in der Stimme.
»Vielleicht solltest du mit einem der Männer anfangen, von dem du mir schon seit Jahren vorschwärmst?«
»Owen?«, frage ich nach. Aber er hat Männer gesagt. Plural. Von wem habe ich noch geschwärmt? Meint er Wyatt? Ich habe versucht, vorsichtig zu sein, wenn ich von Wyatt gesprochen habe, da sie sich kennen. Ich weiß, dass es die Schweigepflicht zwischen Arzt und Patient gibt, aber man weiß nie, was einem aus Versehen herausrutschen kann.
»Fühl ein wenig vor und finde heraus, ob er interessiert ist«, schlägt Alex schulterzuckend vor.
»Einfach so?«
»Einfach so.«
Ich nicke entschlossen. Wenn Alex es für eine gute Idee hält, werde ich es versuchen.
Kapitel 5
Wyatt
Seit ich Maggie gestern begegnet bin, konnte ich die Gedanken an meine Familie nicht abschütteln. Normalerweise gelingt es mir ziemlich gut, so zu tun, als wäre ich von einem freundlichen Wolfsrudel aufgezogen worden, aber hin und wieder werde ich daran erinnert, dass es da draußen Menschen gibt, die mich geboren, aufgezogen, sich theoretisch mal um mich gekümmert und mich dann einfach abgeschoben haben, als ich nicht das war, was sie erwartet haben.
Ich schüttle den Kopf über mich selbst und versuche, mich auf die Arbeit zu konzentrieren, statt mich in dem dämlichen Selbstmitleid zu verlieren, das ganz sicher überhaupt nichts bringt.
Ich kann mich noch immer an ihre kalten, distanzierten Mienen erinnern, als meine Mutter und mein Vater vor mir gestanden und mir gesagt haben, dass ich mich entweder von dem Drang lossage, den Satan in meinem Herzen gepflanzt hat, oder ihr Haus verlasse. Ich habe über ihre verkorkste Weltansicht die Augen verdreht. Für sie war es vollkommen in Ordnung, dass sich ein Mann so viele Frauen nimmt, wie er will, jemanden bevorzugt, sie ignoriert und Dutzende Kinder mit ihnen hat, aber wenn sich ein Mann zu anderen Männern hingezogen fühlt, dann gibt es ein Problem.
Scheiß auf sie. Ich hab sie damals nicht gebraucht und brauche sie auch jetzt nicht. Mit Liam und meinem besten Freund Jace, ganz zu schweigen von Beck, habe ich eine Familie und diese akzeptiert mich genau so, wie ich bin.
Ich schreibe Liam eine Nachricht und frage ihn, ob er Zeit für einen Notfallkaffee hat. Die Antwort mit dem Daumen-hoch-Emoji kommt fast augenblicklich.
Der Knoten in meiner Brust löst sich ein wenig. Es gibt keinen Grund, auch nur einen weiteren Gedanken an diese Leute zu verschwenden. Sie wollten mich nicht und ich will sie nicht, Ende der Geschichte.
Liam
Ich steige in Wyatts Auto und lasse den vertrauten Geruch von Kirsch-Lufterfrischer und Wyatts Deo auf mich einwirken.
»Hey, Hübscher«, begrüßt er mich, beugt sich über die Mittelkonsole und drückt mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange. Wenn man Wyatt und sein nerdiges Aussehen betrachtet, würde man denken, er wäre schüchtern, aber er flirtet für sein Leben gern.
Da ich 18 war, als wir uns kennengelernt haben, hat er nie versucht, mit mir zu flirten. Aber ein Teil von mir war froh, dass er nicht mein Therapeut war, denn wenn er es gewesen wäre, wäre meine Schwärmerei wirklich erbärmlich gewesen. Nicht, dass sie jetzt weniger erbärmlich ist, aber zumindest steht sie jetzt auf einer Stufe mit meiner Sehnsucht nach Owen.
»Sieht aus, als hätte Fritz dir ein Geschenk hinterlassen.« Wyatt lacht und zupft ein paar Hundehaare von meiner Schulter.
»Super, ich bin sicher, dass mein Kunde das heute Morgen gesehen hat und dachte, ich wäre ein Schlamper«, grummle ich. »Also, was ist der Notfall, von dem du geschrieben hast?«, frage ich mit hochgezogener Braue.
»Kaffee. Ich sterbe an Koffeinentzug.«
Ich verdrehe lächelnd die Augen. »Du weißt, dass ich ein Erwachsener mit einem Geschäft und so bin, richtig? Was, wenn ich heute Nachmittag ein Fotoshooting hätte?«
»Ich nehme an, dass du das erwähnt hättest, da du ein Erwachsener mit einem Geschäft und so bist. Wenn du mir schreiben würdest und ich hätte einen Beratungstermin, würde ich es dir sagen.«
»Gutes Argument«, stimme ich zu.
Wyatt schaltet das Radio ein und da gerade Replay von Downward Spiral läuft, beuge ich mich vor und drehe die Lautstärke auf.
»Wusstest du, dass es bei diesem Song um meinen besten Freund geht?«, sagt er, als er zu seinem Lieblingscoffeeshop fährt.
»Ernsthaft? Ich hab das Gefühl, dass du mich gerade verarschst.«
Er lacht leise. »Tu ich nicht, ich schwör's. Jace war auf dem College mein Mitbewohner und wir sind noch immer eng befreundet. Er und Lincoln Miller waren ein Paar, als wir Teenager waren und sie sind vor ein paar Jahren wieder zusammengekommen. Lincoln hat den Song für ihn geschrieben und ihn an dem Abend gespielt, als er ihm einen Antrag gemacht hat.«
»Dein bester Freund ist mit Lincoln Miller verheiratet?«,