Nachdem wir nunmehr ein kleines Portfolio mit unserem ersten Unternehmen eröffnet hatten, konnte es planmäßig weitergehen. Denn es sollte ja nicht bei diesem einen Unternehmen bleiben. Tatsächlich wollten wir eine Unternehmensgruppe, einen Konzern, ein ganzes Firmenimperium kurz vor der Weltherrschaft aufbauen. Unsere etwas blauäugige Idee war es, mit unseren überschaubaren Mitteln, einem überschaubaren persönlichen Einsatz und in überschaubarer Zeit zu einem unüberschaubaren Reichtum zu gelangen. Wir entwickelten also ein Modell, das akademischen Ansprüchen sicher gerecht geworden wäre, das dann aber doch erhebliche Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung bereitete.
Unser Plan sah nämlich Folgendes vor: Wir wollten zunächst ein erstes Unternehmen erwerben – das hatten wir nun bereits getan – und dabei das alte, erfahrene und in der Vergangenheit erprobte Management auf seinem Posten belassen. Mit diesem Management wollten wir für das jeweilige Wirtschaftsjahr ein Budget vereinbaren, das am Ende des Jahres zu einem kalkulierten Gewinn führte. Und mit diesem budgetierten Gewinn wollten wir zum einen teilweise unsere Darlehensverbindlichkeiten aus der Akquisition zurückzahlen, zum anderen den verbleibenden Rest wieder reinvestieren, das hieß weitere Unternehmen kaufen. Dieses Modell wollten wir also skalieren, d. h. ein zweites, ein drittes, ein viertes Unternehmen usw. erwerben, sodass wir uns irgendwann als Herren eines mächtigen Firmenimperiums wähnten, das unglaublich hohe Gewinne erwirtschaften und uns nach einigen Jahren, wenn wir dieses Imperium dann verkauften, eine gewaltige Summe Geldes einspielen sollte. Bei diesem Plan, so schön er sich in der Theorie anhörte und wie sehr er auch die persönlichen Fantasien anregte, zeigte es sich jedoch schon bald, dass er zum völligen Scheitern verurteilt war. Was am Universitäts- oder später am Biertisch ceteris paribus21 wunderschön konstruiert war, sollte in der realen Welt leider ohne ceteris paribus, sondern mit all seinen unbekannten Einflüssen, nicht umsetzbar sein.
Martin jedenfalls zog zunächst schon wieder durch die Gegend auf der Suche nach einem zweiten Unternehmen und ich genoss noch meine Beraterposition bei McKinsey und das damit verbundene Prestige. Da ereilten mich aus Espelkamp besorgniserregende Nachrichten. Der Cashflow stimme nicht, teilte mir Martin mit, es seien einfach zu wenig Gelder auf den Geschäftskonten. Die Umsätze wären zwar planmäßig, aber irgendwie komme das Geld nicht bei uns an. Besorgt trafen Martin und ich uns am folgenden Wochenende konspirativ in der Firma, also außerhalb der Geschäftszeiten und ohne es dem Management vorher mitzuteilen. In einer Nacht- und Nebelaktion durchforsteten wir die noch nicht digitalisierte Buchhaltung, was bedeutete, wir wälzten Verkaufsstatistiken, Verträge und Bankkonten. Das war aus technischen Gründen nicht ganz so einfach, denn die Akten befanden sich in einem unzugänglichen Keller. Und dieser war, welch ein Zufall, erst vor kurzem, durch wen auch immer, unter Wasser gesetzt worden. Alle Unterlagen waren nicht nur völlig durchnässt, sondern auch von dicken Schlammschichten überzogen. Das hieß, vor dem Prüfen musste jedes Blatt erst einmal gereinigt werden. Gott sei Dank hatten wir unseren braven Mitarbeiter Stiwo Wirstle dabei, der nicht nur Steuerberater war, sondern auch echte »Hands on«-Qualitäten besaß.
Zusammen mussten wir nach Auswertung der »gereinigten« und bereinigten Zahlen feststellen, dass sich einer der beiden Geschäftsführer, Herr Landmeier (das L von A + L), offenbar entschlossen hatte, die Geschäfte so zu führen, wie er es vor unserer Übernahme gewohnt war, nämlich, indem er sämtliche freie Liquidität von den Bankkonten der Gesellschaft einfach auf seine eigenen überwies. Dass dies nicht nur eine nette alte Gewohnheit oder rein reflexartig geschehen war, war uns allen klar. Auch die Verschlammungsaktion der Akten erschien nun in einem neuen Licht. Nach den Erfahrungen mit der Überzahlung des Kaufpreises war das Vertrauen in Herrn Landmeier nun derart erschüttert, dass wir uns entschlossen, ihn wegen Untreue fristlos zu entlassen. Auch diesmal wirkte die lautstarke Drohung mit dem Staatsanwalt, ich hatte vom Bankdirektor gelernt. Die Beweislage war so eindeutig, dass Herr Landmeier sich gezwungen sah, auch diesen ihm nicht zustehenden Betrag unverzüglich zurückzuüberweisen und die Kündigung klaglos zu akzeptieren. Da war es nur noch einer …
Nachdem wir uns so bereits intensiv in die Buchhaltung eingearbeitet hatten, war uns en passant aufgefallen, dass selbst bei Korrektur des »Landmeier-Effekts« die Buchhaltung irgendwie immer noch nicht aufging. Es fehlten immer noch Beträge in nicht unerheblicher Höhe. Wir entschlossen uns daher, einen Privatdetektiv zu engagieren, der das Geschäftsverhalten des anderen Geschäftsführers, Herrn Althaus, unter die Lupe nehmen sollte, natürlich diskret und ohne, dass er dies merkte. Tatsächlich meldete sich besagter Privatdetektiv nach einer Woche wieder. Er hatte eine Reihe von Käufen von gebrauchten Maschinen direkt bei Herrn Althaus durchgeführt. Diese Gebrauchtmaschinen waren in der Regel Kopierer, bei denen der Leasingvertrag ausgelaufen war. Er wies uns nach, dass diese Geräte eben nicht in das Lager der Gesellschaft zur Aufarbeitung und zur Neuvermietung zurückgegangen und, wie es korrekterweise hätte erfolgen müssen, diesem Lager auch nicht zugebucht worden waren. In Wahrheit, und das hatte der fleißige Detektiv herausgefunden, hatte Herr Althaus die Geräte zwar in Empfang genommen, diese jedoch unter der Hand, ohne Rechnung und natürlich nur gegen bar zugunsten seines privaten Geldbeutels verkauft. Drei solcher Fälle konnten wir Herrn Althaus nachweisen und auch hier war die Reaktion unsererseits eindeutig: fristlose Kündigung und Wiedergutmachung des angerichteten Schadens. Im Gegenzug zogen wir in Erwägung, Herrn Althaus trotz der eindeutigen Untreue nicht der Staatsanwaltschaft zu übergeben.
Somit sah nach wenigen Monaten unserer strahlenden Unternehmertätigkeit die Situation wie folgt aus: Wir besaßen eine Gesellschaft ohne Geschäftsführung, wir selbst hatten ungefähr DM 7 Mio. Schulden und wir beide, Martin und ich, verfügten zu allem Übel über keinerlei Erfahrung, wie man eine solche kleine Firma irgendwo in Ostwestfalen überhaupt leitete. Dies war für mich in dieser zweifelsfrei sehr existenzbedrohenden Situation der Zeitpunkt, an dem ich ich mich entschloss, mein sehr bequemes McKinsey-Leben im oberen Luxusbereich aufzugeben und mich höchstpersönlich um meine Firma zu kümmern. Ich kündigte also mein Anstellungsverhältnis bei McKinsey und zog aus meinem 5-Sterne-Hotel, das sicherlich viele Hundert DM am Tag kostete, in ein kleines möbliertes Zimmer in einem Bauernhof in der Nähe von Preußisch Oldendorf, das nur mit DM 17 pro Tag zu Buche schlug und preisentsprechend ausgestattet war. Von nun an war ich also der Herr Geschäftsführer.
Was zunächst wie eine Katastrophe anmutete, sollte sich für meine Unternehmerkarriere zu einem wahren Segen entwickeln. Denn in dieser existentiellen Situation war ich zum einen gezwungen, das Handwerk der Firmenführung von der Pike auf zu erlernen. Zum anderen brachte die Entlassung der beiden alten Geschäftsführer ein ganz beachtliches Trostpflaster mit sich. Beide hatten sich als Geschäftswagen teure, auf die Firma zugelassene Luxusgefährte gegönnt, die nunmehr disponibel waren. Sicherlich hätte man, um den Cashflow zu stärken, an einen Verkauf denken können, aber so waren wir nun einmal nicht. Ich für meinen Teil interpretierte dies eher als einen Wink des Schicksals. So erhielt Martin als junger Familienvater die nagelneue Mercedes 500 SEL Limousine und konnte endlich die alte Kiste seines Vaters abmelden. Für mich fiel ein schickes Mercedes Cabrio 500 SL in dunkelblau metallic mit schwarzen Ledersitzen und allen erdenklichen Extras ab, ein Fahrzeug, das man sich als 32-jähriger selten aus eigener Kraft leisten kann. Entsprechend fiel das Urteil in meinem Freundeskreis aus. Entweder wurden mir illegale Geschäfte im Bereich der Drogenkriminalität oder des Menschenhandels unterstellt oder man ging einfach davon aus, dass ich mich in offensichtlichem Größenwahn übernommen hätte. Ganz anders war der Effekt bei der Damenwelt, die offenbar sehr schnell vom Auto auf den Halter schloss. Jedenfalls öffnete mir dieser Wagen sehr viele Türen.
Derweil häuften sich die Probleme in unserer Gesellschaft. Sie besaß nur eine händische Einnahmenüberschussrechnung und keine moderne Buchhaltung. Wir installierten somit erstmalig ein einfaches EDV-System und »hackten« alle Buchungsdaten höchstpersönlich in mehreren Wochenendsitzungen in die Computer. Doch das alleine reichte nicht. Da wir eigentlich kein Geld übrig hatten, andererseits eine moderne EDV-Infrastruktur aus unserer Sicht unverzichtbar war, mussten wir also eine günstige Lösung finden. Unser Technikleiter in Espelkamp hatte von einem jungen Mann in Rahden gehört, der sich mit diesem neumodischen Kram auskennen würde. Wenn ich von jungem »Mann« spreche, so war das ein wenig übertrieben. Herr Lars Windhorst war damals gerade erst 15 Jahre alt geworden und eigentlich noch Schüler. Er hatte in