Interessant. Ein Dankeschön und Angst in einem Treffen gemischt. „Bist du deshalb heute Abend hier? Um mir zu danken?“
Sie schüttelte den Kopf und rümpfte die Nase. Eine entzückende Geste, bei der er sich fragte, wie sie wohl ausgesehen hatte, als sie klein gewesen war.
„Nicht nur. Ich meine, ich bin dankbar und wollte es dir sagen, aber …“ Sie verschränkte die Hände fester auf ihrem Schoß und holte tief und langsam Luft. „Ich wollte mich auch entschuldigen.“
„Für?“
Das schüchterne Zögern verschwand blitzschnell und sie zog eine Augenbraue hoch, um dem trockenen Humor ihrer Stimme zu entsprechen. „Echt jetzt? Ich habe mindestens fünf Sprachnachrichten von dir ignoriert. Und du fragst mich, wofür ich mich entschuldige?“
Da war es. Der Mumm und der Witz, die er für so kurze Zeit so genossen hatte und die alles andere verblassen ließen. „Ich hätte etwas weniger Ausweichendes bevorzugt, aber eine Zurückweisung erfordert kaum eine Entschuldigung.“
„Tut sie sehr wohl, wenn die Person, die mich angerufen hat, alles getan hat, um mir auf der Karriereleiter hochzuhelfen.“
Die Gespräche, die Musik und die Energie des beginnenden Wochenendes um ihn herum veränderten sich nicht, aber alles in Kir wurde unheimlich still. „Ich habe nur angenommen, dass du alles von unserer … Bekanntschaft … bekommen hast, was du brauchtest.“
Ihr Hals rötete sich, und sie verzog den Mund, als hätte sie auf eine saure Traube gebissen. „Ich nehme an, dass es so aussehen musste. Aber glaube mir, du hast mir wirklich sehr geholfen. Nicht nur mit meinem Job, sondern auch mit meiner Familie. Und nein, das war nicht der Grund, warum ich dich nicht zurückgerufen habe.“
Er zwang sich dazu, seinen Gesichtsausdruck weiter teilnahmslos wirken zu lassen, sich völlig still zu verhalten, obwohl sein Instinkt ihm riet, sich nach vorn zu beugen und zu fordern, dass sie mit ihrer Erklärung weitermachte.
Sie schluckte so schwer, dass es fast aussah, als würde es schmerzen, aber sie hielt seinem Blick stand. „Ich wusste nicht, wer du bist.“
„Wer ich bin?“
„Für wen du arbeitest.“ Sie kreiste mit der Hand vor sich, als würde diese Geste die Worte aus ihrem Kopf drängen „Was du arbeitest. Ich meine, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen.“
Sie hat tatsächlich Angst vor dir.
Warum der Gedanke beim zweiten Mal so viel mehr wehtat, konnte er nicht sagen, allerdings konnte er ihr auch nichts vorwerfen.
„Ich habe angefangen, mich mit den Details zu befassen, die du mir damals gegeben hast“, sagte sie. „Dann fragten mich die Kollegen, wer meine Quelle sei. Ich habe ihnen deinen Namen genannt, und sie haben mir erzählt, dass du für Sergei Petrovyh arbeitest.“ Sie verzog das Gesicht, als wäre sie sich nicht sicher, was sie als Nächstes sagen sollte. „Es ist einschüchternd, weißt du? Erschreckend. Als du angerufen hast, wusste ich nicht, was ich machen sollte. Dann trudelten die Folgestorys ein, und mein Redakteur begann, meine Arbeit zur Kenntnis zu nehmen, also habe ich es so weiterlaufen lassen. Zum ersten Mal in meiner Karriere hat mein Vater das Wort Beeindruckend verwendet.“ Sie pausierte, um tief Luft zu holen und ihn zu mustern. „Rückblickend denke ich, dass ich all den Schwung und die Aktivität genutzt habe, um die Tatsache zu ignorieren, dass ich mich ziemlich arschig verhalten habe und … nun, es tut mir leid.“
Sie log nicht. Bei keinem einzigen Wort. Er hatte sein ganzes Leben lang Menschen lesen können, und oft war sein Überleben davon abhängig gewesen, sie richtig zu lesen. Sie war absolut aufrichtig. Ebenso hatte sie ihm einen kleinen Einblick in ihr Leben gewährt. „Ich dachte, du redest nicht gern über deine Familie.“
Ihr Kopf ruckte zurück, als wäre sein Kommentar aus der Luft gegriffen. „Bitte?“
„Bei unserem zweiten Date habe ich dich nach deiner Familie gefragt und woher du kommst, und du hast das Thema geschickt gewechselt. Und heute Abend hast du gleich zweimal davon gesprochen. Warst du zuvor zurückhaltend oder schüchtern?“
Sie stieß einen müden Seufzer aus und ihre Schultern sanken herab. „Ehrlich gesagt, ich spreche normalerweise nicht über sie. Der Umgang mit ihnen ist anstrengend und deprimierend genug. Mit jemand anderem über die Einzelheiten zu reden, ist wie Salz in eine offene Wunde zu streuen.“
„Inwiefern anstrengend?“
Sie betrachtete ihn einige Sekunden lang und Widerwille spiegelte sich in ihren stürmisch blauen Augen wider. Ob es an ihrem schlechten Gewissen lag, das an ihr nagte, oder weil sie beschlossen hatte, sich ihren Ängsten zu stellen, konnte er nicht genau sagen, aber irgendetwas brachte sie dazu, sich ihm zu öffnen. „Ich bin so was wie das schwarze Schaf in meiner Familie.“ Sie rümpfte erneut die Nase, obwohl die Aktion ohne das Lächeln, das sie zuvor damit kombiniert hatte, etwas traurig wirkte. „Eher das absolut schwarze Schaf, sozusagen.“
„Wieso das?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter ist Neurowissenschaftlerin und mein Vater ein Nuklearingenieur und dann gibt es noch den Experimentalphysiker in Form meines Bruders. Ich habe jahrelang versucht, etwas ähnlich Anspruchsvolles anzustreben, doch am Ende hat sich herausgestellt, dass mein Talent eher bei der Reportage liegt. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass ich meinen Bachelor mit Auszeichnung absolviert habe. Dad sagt dazu nur, dass es ein Bachelor für Insolvenz wäre.“
„Klingt nicht besonders unterstützend.“
Sie schnaubte. Ein entzückendes Geräusch, das er zum ersten Mal auf derselben Terrasse gehört hatte; damals war sie umgeben von ihren Freundinnen. „Das ist eine enorm höfliche Umschreibung dafür, dass er ein Idiot ist. Die Wahrheit ist, dass er sehr engstirnig ist und nicht in der Lage zu sein scheint, Dinge außerhalb seiner Welt zu akzeptieren. Das Leben ist für ihn wie ein Lehrbuch, und was nicht schwarz auf weiß darin festgehalten ist, davon hält er Abstand.“
„Lehrbücher sind oft mit hübschen Illustrationen gefüllt. Konzentriert man sich allein auf die Worte, verpasst man einige schöne Botschaften.“
Das Lächeln, das er für seinen Kommentar erntete, fühlte sich wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem kalten und düsteren Winter an.
„Ich mag den Vergleich, aber ich befürchte, dass er bei meinem Vater auf taube Ohren stoßen würde.“ Ihr Blick wanderte zu einem bestimmten Punkt über Kirs Schulter und ihr Lächeln verschwand.
Einen Moment später blieb Roman neben ihm stehen und sprach in ruhigem und leisem Ton zu ihm. Seine Worte waren in ihrer Muttersprache. „Wir haben ein Problem.“
Sein Waffenbruder war nicht für Dramen bekannt. Wenn er also davon redete, dass es Schwierigkeiten gab, dann musste es sich um ein recht beträchtliches Problem handeln.
Entweder vermutete Cassie die Dringlichkeit anhand von Romans Tonfall, oder seine einschüchternde Größe und Präsenz machten sie nervös. Jedenfalls griff sie plötzlich nach ihrer Handtasche und sprang auf die Füße. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht aufhalten. Aber ich bin dir dankbar, dass du dir die Zeit genommen hast, mit mir zu reden.“
Kir erhob sich ebenfalls und knöpfte seine Anzugjacke zu.
Bevor er etwas sagen konnte, trat Cassie vor ihrem Stuhl hervor, lächelte Roman zögernd zu und erwiderte dann wieder Kirs Blick. „Danke noch mal.“
Für einen Moment dachte er, sie wollte etwas hinzufügen. Stattdessen