„Hat sonst irgendjemand Fragen gestellt?“ Ich fühle mich paranoid, aber das ist der dritte Schulbezirk, den sie in eben so vielen Jahren besuchen. Jedes Mal, wenn wir zu viel Aufmerksamkeit erregen, wird das Jugendamt gerufen. Und ehe wir uns versehen, brechen Forest und ich mitten in der Nacht ein und holen Gunnar aus dem Haus einer neuen Pflegefamilie.
Auf keinen Fall werde ich das nochmal zulassen, wenn ich es verhindern kann.
„Wenn du mit irgendjemandem länger als ein paar Sekunden redest, möchte ich davon erfahren.“
Er nickt nur und setzt seine Kopfhörer wieder auf. Ich gebe ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
„Ich meine es ernst.“
„Yeah, alles klar“, entgegnet er. Dann dreht der die Musik absichtlich so laut, dass ich sie hören kann und sperrt mich aus.
Ich schüttle leicht den Kopf und beeile mich, Gunnar einzuholen.
„Alles okay?“, erkundige ich mich.
Er wirft mir einen verwirrten Blick zu, als wolle er sagen, warum nicht alles okay sein sollte? Ich zerzause ihm die Haare etwas.
Wir biegen nach rechts ab und die Nachbarschaft verändert sich schlagartig. Sie wird wohlhabender mit gigantischen Häusern auf fantastischen Grundstücken. Die Gehwege sind hier viel ebener und überall stehen eine Menge Palmen. Ich weiß nicht, wie es den reichen Leuten so nah am Ozean überhaupt gelingt, einen Garten am Leben zu halten.
Zwei Frauen in Laufoutfits joggen an uns vorbei und bedenken uns mit einem bösen Blick. Sie fragen sich zweifelsohne, warum drei Kinder aus offensichtlich armen Verhältnissen hier herumlaufen.
„Dieses Viertel ist dämlich“, murre ich „Hier, lasst uns die Straße überqueren. Ashers Familie wohnt beim nächsten Block.“
Besitzt den nächsten Block, ist näher an der Wahrheit dran. Ein hoher Zaun ragt vor uns in den Himmel und blockiert meine Sicht. Das Einzige, das ich sehen kann, sind Palmen. Wir laufen an der Einfahrt vorbei, wo uns das Tor einen Blick auf das Haus erlaubt. Es ist definitiv ein richtig schickes Teil aus hellen Steinen, das sich dramatisch in alle Richtungen ausdehnt.
Wir laufen, entsprechend Ashers Anweisungen, weiter. Der Zaun wird wieder höher und ich gehe daran entlang. Irgendwann erreichen wir die Ecke des Zauns, wo zwischen dem Zaun und einer Ansammlung Palmen eine Art Nische ist.
Dort in dieser Nische sitzt Asher, der aussieht, als würde er sich sauwohl fühlen. Er sieht von einem Buch auf, das er gerade gelesen hat. „Hey.“
„Hey“, sage ich.
„Hey!“, schreit Gunnar. Dann blickt er finster drein. „Du hast nicht gesagt, dass Asher hier sein würde.“
Ich sehe ihn von der Seite an. „Yeah, das habe ich definitiv erzählt. Egal, Asher… was ist die große Überraschung?“
Asher grinst und fährt sich mit einer Hand durch seine kurzen blonden Haare. Er steht auf und führt mich dann einige Schritte von meinen Brüdern weg.
„Du wirst das lieben.“ Er wühlt in seiner Tasche und kramt einen Schlüssel hervor. „Ich habe einen Ort, wo ihr Jungs einige Monate wohnen könnt. Es ist viel hübscher als die meisten Plätze, in denen ihr in letzter Zeit gewohnt habt.“
Ich bin sofort misstrauisch. „Wo ist es?“
„Es ist direkt ums Eck, in meinem Gästehaus. Mein Vater ist die nächsten drei Monate nicht in der Stadt und ich glaube nicht, dass meine Mom auch nur einen Fuß in das Gästehaus gesetzt hat, seit ich ein Kind war. Lange Rede kurzer Sinn, ich hab sie gefragt, ob ich meine Bandsachen dort aufbauen kann und sie hat Ja gesagt.“ Er sieht extrem zufrieden mit sich aus.
Ich bin mir sicher, dass ich ihn falsch verstanden habe. Das Leben hat es bisher nicht gerade gut mit mir gemeint.
„Ich… was?“, frage ich.
Asher streckt die Hand aus und klopft mir auf die Schulter. „Alter, ich sage dir, dass ihr einen Platz zum Wohnen habt. Allermindestens, bis mein Vater zurückkommt. Es ist ein Palast im Vergleich zu der Bude, in der ihr im Moment wohnt.“
Eine Sekunde blinzle ich ihn nur an. Ich rechne damit, dass er zu lachen anfangen wird und sagt, dass das alles nur irgendein Witz ist, auch wenn Asher eigentlich nicht so ist. Ich starre ihn nieder, bis es ihm unangenehm wird.
„Willst du dir den Bungalow anschauen oder nicht?“, fragt er.
„Bist du dir sicher, dass du das ernst meinst?“ Wenn er das tut, würde das bedeuten, dass ich das Geld für die Miete diesen Monat für Essen und Schulzubehör ausgeben könnte. Zum Teufel, wenn eine kleine Weile manche Ausgaben wegfallen, könnte ich sogar genug für ein echtes Apartment ansparen. Meine Augen beginnen zu brennen.
„Todernst. Komm schon“, sagt Asher, der sich zu der Nische zwischen dem Zaun den Palmen dreht. „Es gibt eine Abkürzung, die genau hier durchführt.“
Ich blicke zu Gunnar und Forest und bedeute ihnen, dass sie mir folgen sollen. Ich bemühe mich, mein Lächeln nicht zu zeigen, aber ich kann spüren, wie es sich auf meinem Gesicht ausbreitet.
Wir haben gerade einen Ort gefunden, wo wir eine Weile bleiben können.
6
Jameson
Heute
Ich bin tief in Gedanken versunken, während ich die Böden des Cure wische und die Zeit reflektiere, die wir in Ashers Gästehaus verbracht haben. Wir konnten die Geschichte fast eineinhalb Jahr laufen lassen, indem wir uns vorsichtig rein und rausschlichen und den Alderisis aus dem Weg gingen.
Als uns Mr. Alderisi irgendwann erwischte und rauswarf, hatte ich eine recht ansehnliche Summe angespart. Ich war in der Lage, die Anzahlung für einen Bungalow mit einem Schlafzimmer zu bezahlen. Ich hätte es niemals geschafft, arbeiten zu gehen und auf meine Brüder aufzupassen und dann noch etwas Geld übrig zu haben… nicht ohne Asher.
Und das ist auch der Grund dafür, warum ich mich immer wieder daran erinnern muss, dass Asher, bis zu der ganzen Sache mit Jenna, ein bemerkenswerter Freund war. Ich bin nicht vielen Dingen oder Menschen gegenüber loyal, aber Asher…
Asher ist gut, bis ins Knochenmark. Deswegen kann ich es auch nicht ertragen, ihn mit jemandem zu sehen, der ihn nur ausnutzt. Und deswegen kann ich ihn auch nicht verraten, kann nicht hinter seinem Rücken mit Emma rummachen.
Niemals.
Ganz gleich, wie sehr ich versucht bin, es zu tun. Ganz gleich, wie meine Gefühle aussehen.
Ganz gleich, wie fantastisch sie gestern in diesen irrsinnig kurzen Shorts aussah. Jedes Mal, wenn sie nicht schaute, ließ ich meinen Blick über sie wandern…
Aber das ist alles, bläue ich mir ein.
Das ist auch der Grund, warum ich nichts unversucht gelassen habe, um mich für das Missverständnis der letzten Woche zu entschuldigen. Ich habe zu Hause auf ihn gewartet, aber er war die ganze Woche nicht dort. Ich habe versucht hier in der Bar mit ihm zu reden, aber er hat mich einfach abblitzen lassen.
Ich verstehe ja, dass er Zeit braucht, um zu schmollen und seine Wunden zu lecken, aber er wird mir irgendwann vergeben müssen… vor allem da ich tatsächlich nichts Falsches gemacht habe.
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und verstärke meine Bemühungen, die Böden zu reinigen, damit ich fertig bin, bis Alice und Gunnar herkommen, um ihre Schichten zu beginnen. Ich beende das Wischen und laufe anschließend zum Bad, um den Mopp zu verstauen. Ich höre die Tür bimmeln und nehme an, dass einer der anderen Mitarbeiter