Als exegetische und homiletische Schöpfungen erscheinen die Erklärungen des Elische zum Buche Josue und der Richter, die Homilien des Mambre Verzanogh 31 mit seiner Homilie auf die Erweckung des Lazarus, ein Muster schlichter und klarer Darlegung der Gedanken, die große Begebenheit und ihre Gründe gerade durch Vermeidung des Wortprunkes herauszuheben. Auch die zwei weiteren von ihm überlieferten Reden über den Einzug Jesu über den Ölberg und sein Kommen nach Jerusalem verdienen das Lob schlichter und klarer Darstellung. An diese sind die Reden des Ananias, des bei Koriun erwähnten Bischofs der Siunier, anzureihen. Unter ihnen ist die Homilie auf den Propheten Jonas hervorzuheben, die sich in Parallelstellung des Jonas zu Adam und Christus ergeht und sein Leben und Wirken als ein besonderes Werk der göttlichen Vorsehung feiert, die rätselhafte Schicksale mit übermenschlicher Weisheit zu einem göttlichen Ziele führt. Eine zweite Homilie desselben Autors handelt von Johannes dem Täufer als höchstem der Propheten und Vorläufer Christi. Beachtenswert ist in diesen Homilien die Benützung Philos, die aber nicht so weit geht, daß der christliche Ursprung der Rede verkannt werden könnte.
Exegetischen Zwecken diente eine kleine Schrift des Ananias von Schirak 32 im siebten Jahrhundert über die in der Heiligen Schrift genannten Maße und Gewichte, die sich eng an Epiphanias anlehnt.
Als Homileten, bei denen der exegetische Zweck zurücktritt und die Heilige Schrift mehr in Form des Zitats in der Predigt verwendet wird, sind die Verfasser des Hatschachapatum und Johannes Mandakuni anzusehen33. Über beide sind die Einführungen zu vergleichen.
Als Schriftsteller auf philosophischem Gebiet und auf dem Gebiet des Unterrichtswesens ist David der Unbesiegte zu nennen. Er bietet Übersetzungen und Erläuterungen zu Aristoteles und neuplatonischen Schriften und bekämpft den Skeptizismus des Pyrrho von Elis. So scharfsinnig und gelehrt er für seine Zeit war, ebenso wenig ragt er als Stilist hervor, da er das Armenische im Widerspruch zu dessen Sprachgeist gewaltsam nach griechischem Vorbild formt. Vermutlich wollte er dadurch der Treue der Übersetzung vollkommen Rechnung tragen. Philosophischer Belehrung diente augenscheinlich die Übersetzung des Werkes des * Nemesius* von Emesa über die Natur des Menschen. Wenn die Zueignung an Stephanus von Siuni richtig ist, entstammt diese Übersetzung jedoch erst dem 8. Jahrhundert 34.
Auf dem Gebiet des Unterrichtswesens ist Moses von Choren nochmals zu nennen, und zwar wegen* dessen Rhetorik, die in die Regeln der Rhetorik und Stilistik nach griechischen Vorbildern einführt und einem gezierten pathetischen Redestil huldigt. Dieses Werk wirft auf das Pathos in der Geschichte des Verfassers viel Licht und vermag auch die Annahme der Echtheit jener Schrift zu stützen. Auch die Geographie* desselben bewegt sich auf diesem Boden35. Doch ist dieses Werk sehr umgestaltet worden. Es dürfte seine jetzige Gestalt erst im 7. Jahrhundert erhalten haben, wenn es überhaupt mit Recht Moses von Choren in seiner Urgestalt zugeeignet wird.
Als Dichter trat im 8. Jahrhundert der Katholikos Komitas mit einem Hymnus auf die Märtyrerjungfrauen Rhipsime und Gaiana hervor, der von bedeutender poetischer Kraft zeugt 36. Vergleicht man das armenische Schrifttum des fünften Jahrhunderts mit dem Schrifttum der ersten Jahrhunderte des deutschen oder englischen Christentums, so wird man den Fleiß, das Geschick und die Erfolge mit großer Achtung wahrnehmen und zugestehen, daß sich Armenien den andern christlichen Nationen ebenbürtig zur Seite stellte.
Fußnoten
1. Eusebius H. E. VI, 46,2.
2. Adv. Judaeos. Migne PI II 610.
3. Zur Literatur vgl.: Sukias Somalian, Quadro delle opere di vari autori anticamente tradotte in Armeno. Venezia 1825, ders. Quadro della storia letteraria di Armenia, Venezia 1829. Karekin Zarbhanalian, Geschichte der arm. Literatur vom 4.-14. Jahrh., Venedig 1897 (neuarmenisch). Nève, L’Armenie chrétienne et sa litérature, Louvain 1886. Einschlägige Artikel in Kirchenlexikon: Kirchl. Handlexikon, Nirschl, Patrologie, III. Bd. 1885. Bardenhewer, Patrologie. Fink Frz. Nikol Geschichte der arm. Literatur; in Literaturen des Ostens VI, 2; (selbständige und geistreiche Arbeit); ders. die armenische Literatur in Hinneberg, Kultur der Gegenwart I, 8. Berlin-Leipzig 1906. Ferner Zeitschrift für arm. Philologie, Marburg, und die Zeitschriften Handes amsorya, Wien, und Bazmawep, Venedig.
4. Über die Schrifterfindung bei den Armeniern, s. S. Weber, die kath. Kirche in Armenien vor der Trennung, Freiburg 1903, S. 393 ff. Marquart: Die Erzählung von der arm. Schrift und das Leben des Maschtotz, ins Neuarm. übersetzt von P. A. Vardanian.
5. Moses von Choren I, 31, Venedig 1881, I, 30 a. a. O. 125; II, 50 S. 275; II, 61 S. 296; vgl. F. N. Fink, Literaturen des Ostens VII 2, S. 77 f. und P. Vetter in Theol. Quartalschrift 1894: Die nationalen Gesänge der alten Armenier S. 48.
6. Karakaschian, Gesch. Armeniens IV, 39, Catergian-Daschian, die Liturgien bei den Armeniern, Venedig 1897, S. 76; Moses v. Ch. II, 30; s. S. Weber, a. a. O. S. 396 ff.
7. Koriun, Leben und Tod des hl. Mesrop Nr. 6, 7, 8. * Moses* v. Ch., III, 49—54, S. 506—521. * Lazar* v. Ph., I, 10, Venedig 1891, S. 40—47.
8. Koriun a. a. O. Nr. 17. Moses von Ch. III, 60.
9. Miskigian I., Die Gehilfen und Schüler Mesrops und Sahaks (neuarm.) 1902 S. 4.
10. Apollonius, Apology and acts and other monuments of early christianity edited by F. C. Conybeare, London 1894. Deutsch von Max, Herzog von Sachsen, 1903.
11. Buch IV u. V sind in arm. Übersetzung vorhanden. S. Ter Mekertetschian u. Ter Minassiantz, Irenäus gegen die Häretiker (Texte u. Unters. XXXV, 2) Leipzig 1910.
12. Ter Mekertetschian u. Ter Minassiantz, des hl. Irenäus Schrift zum Erweis der apostol. Verkündigung, armenisch und deutsch, Leipzig 1907. S. Weber, S. Irenaei demonstratio