Die Sünde ist so was wie ein Angriff des Willens auf sich selbst. Es ist so ähnlich, wie wenn man Drogen nimmt. Zuerst fühlt man sich wunderbar, aber mit jedem Mal wird es schwieriger, nicht wieder etwas zu nehmen. Hier nur ein Beispiel: Wenn ich mich Rachegedanken hingebe, fühlt es sich erst richtig gut an, sich vorzustellen, wie man es dem anderen heimzahlen wird. Doch langsam, aber sicher versinke ich immer mehr im Selbstmitleid, ich verliere die Fähigkeit, zu vertrauen und Beziehungen zu genießen, und mein Alltagsleben wird immer grauer und unglücklicher. Sünde verhärtet mein Gewissen, schließt mich in dem Gefängnis meiner Selbstrechtfertigungen und Ausreden ein und frisst mich nach und nach von innen auf.
Zu jeder Sünde gehört ein heftiger Sturm. Das ist ein starkes Bild, denn selbst in unserer Welt, die technisch so fortgeschritten ist, können wir das Wetter immer noch nicht kontrollieren. Einen Sturm kann man nicht bestechen oder mit Argumenten und Worten beeindrucken. „[…] dann habt ihr gegen den HERRN gesündigt, und eure Sünde wird mit Sicherheit auf euch zurückfallen“ (4. Mose 32,2317).
Stürme in einer gefallenen Welt
Die düstere Botschaft ist, dass jede Sünde mit einem Sturm verbunden ist, aber es gibt auch eine tröstliche Botschaft. Für Jona war der Sturm die Folge seiner Sünde, aber der Sturm traf auch die Seeleute. Die meisten Stürme in unserem Leben sind nicht die Konsequenz einer bestimmten Sünde in unserem Leben, sondern die unvermeidliche Folge des Lebens in einer gefallenen Welt, die in Schieflage geraten ist. „Der Mensch wird zur Mühsal geboren, wie die Funken des Feuers emporfliegen“, heißt es in Hiob 5,718, und so ist die Welt voll von zerstörerischen Stürmen. Doch Jonas Sturm führt, wie wir gleich sehen werden, die Seeleute zu einem echten Glauben an den wahren Gott, obwohl nicht sie es waren, die ihn zu verantworten hatten. Und für Jona selbst ist er die erste Station auf seiner Reise zu einem neuen Verständnis der Gnade Gottes. Wenn Stürme in unser Leben kommen (ob nun als Folge unserer Sünden oder nicht), haben Christen die Verheißung, dass Gott diese Stürme zu ihrem persönlichen Besten benutzen wird (Römer 8,28).
Als Gott Abraham zu einem Mann des Glaubens machen wollte, der der Vater aller Gläubigen auf Erden werden würde, ließ er ihn viele Jahre lang umherziehen, mit Verheißungen, die sich scheinbar nie erfüllten. Als Gott Josef von einem arroganten, verwöhnten Teenager zu einem charakterfesten Mann machen wollte, ließ er ihn Jahre der Mühsal durchleben; er musste durch Sklaverei und ins Gefängnis gehen, bevor er sein Volk retten konnte. Und Mose musste, auf der Flucht vor den Ägyptern, vierzig Jahre in der Einsamkeit der Wüste verbringen, bevor er der Führer seines Volkes werden konnte.
Die Bibel sagt nicht, dass jede Schwierigkeit die Folge unserer Sünde ist – sehr wohl aber, dass für den Christen jede Schwierigkeit dazu beitragen kann, die Macht der Sünde über unser Herz zu verringern. Stürme können uns sensibel machen für Wahrheiten, die wir sonst nie sehen würden. Stürme können in uns Glauben, Hoffnung, Liebe, Geduld, Demut und Selbstbeherrschung wachsen lassen, wie nichts anderes das kann. Zahllose Menschen haben bezeugt, dass sie ewiges Leben und den Glauben an Christus nur deshalb gefunden haben, weil ein großer Sturm sie zu Gott trieb.
Auch hier müssen wir uns vor Schnellschüssen hüten. Die ersten Kapitel der Bibel zeigen uns, dass Gott die Welt und die Menschheit nicht erschuf, um sie Leiden, Krankheiten, Naturkatastrophen, das Altern und den Tod erleben zu lassen. Das Böse kam in die Welt, als wir uns von Gott abwandten. Gott hat sein Herz mit unserem so verbunden, dass es ihn zutiefst betrübt, wenn er all die Sünde und das Leiden in der Welt sieht (vgl. 1. Mose 6,6). „In all ihrer Bedrängnis war auch er bedrängt“ (Jesaja 63,919). Gott ist kein Schachspieler, der uns Bauern gelangweilt über das Spielfeld schiebt, und meist sehen wir erst nach Jahren (wenn überhaupt in diesem Leben), was das Gute war, das er durch unser Leiden bewirkte.
Wie Gott durch Stürme arbeitet
So schwierig es sein kann, Gottes liebevollen, weisen Plan hinter unseren Problemen und Schwierigkeiten zu erkennen – die Vorstellung, dass er sie nicht unter Kontrolle hat, oder dass unsere Leiden zufällig und sinnlos sind, wäre noch viel hoffnungsloser.
Jona konnte nicht sehen, dass tief in dem Wüten des Sturms Gottes Gnade steckte, die dabei war, ihn zu sich zu ziehen und sein Herz zu verändern. Es überrascht nicht, dass Jona das nicht sofort erkannte. Er wusste ja noch nicht, wie Gott in die Welt kommen würde, um uns zu erlösen. Wir dagegen, die wir nach dem Kreuz leben, wissen, dass Gott durch Schwäche, Leiden und scheinbare Niederlagen retten kann. Die, die Jesus am Kreuz sterben sahen, sahen nichts als Elend und Schmerz. Doch inmitten dieser Finsternis war die Gnade Gottes mächtig am Werk, um uns Vergebung und Erlösung zu bringen. Gottes Erlösung kam durch Leiden in die Welt und so kann seine erlösende Gnade und Macht immer mehr in unserem Leben wirksam werden, wenn wir durch Schwierigkeiten und Leid gehen. Tief in unseren Stürmen finden wir Gnade.
Kapitel 3
Wer ist mein Nächster?
5 Da bekamen die Seeleute große Angst, und jeder schrie zu seinem Gott. Als Nächstes warfen sie die Ladung des Schiffs ins Meer, um es leichter zu machen. Jona aber stieg hinunter in den Frachtraum, legte sich hin und fiel in einen tiefen Schlaf. 6 Da kam der Kapitän zu ihm und sagte: „Wie kannst du schlafen? Steh auf und rufe zu deinem Gott! Vielleicht wird er uns gnädig sein, dass wir nicht untergehen.“ (Jona 1,5-6)
Das Buch Jona besteht aus zwei symmetrisch angeordneten Hälften – dem Bericht über Jonas Flucht vor Gott und dem Bericht über seine Mission in Ninive. Beide Teile bestehen jeweils aus drei Abschnitten: Gottes Wort an Jona, Jonas Begegnung mit den Heiden und schließlich Jonas Worte an Gott. Zwei Mal also erlebt Jona eine konkrete Begegnung mit Menschen, die sich ethnisch und religiös von ihm unterscheiden. Beide Male verhält er sich ihnen gegenüber abweisend und nicht hilfreich, während die Heiden für ihr Handeln mehr Anerkennung verdient haben als er. Wir stehen hier vor einer der Hauptbotschaften des Buchs Jona: Gott ist es wichtig, wie wir uns als Gläubige gegenüber Menschen verhalten, die ganz anders sind als wir.
Die meisten Prediger und Bibellehrer übersehen diese Verse, außer dass sie vielleicht erwähnen, dass wir bereit sein sollten, das Evangelium in ferne Länder zu tragen. Das ist ohne Zweifel richtig, aber es geht an der Tiefendimension von Jonas Begegnung mit den Heiden vorbei. Gott will, dass wir Menschen aus anderen Ethnien und Religionen mit Achtung, Liebe, Großzügigkeit und Gerechtigkeit begegnen.
Jona und die Seeleute
Jona hat Gottes Ruf, in Ninive zu predigen, abgelehnt. Er will nicht zu Heiden über Gott reden oder sie zum Glauben führen. Also hat er die Flucht ergriffen – nur um mit genau der Art Menschen über Gott reden zu müssen, vor denen er auf der Flucht ist!
Als der Sturm begann, „bekamen die Seeleute große Angst“ (V. 5). Sie waren gestandene Matrosen, denen schlechtes Wetter nichts ausmachte; dieser Sturm muss also in der Tat furchterregend gewesen sein. Aber Jona lag im Bauch des Schiffes und schlief fest. Hugh Martin, ein schottischer Pastor aus dem 19. Jahrhundert, schreibt, dass Jona „den Schlaf des Kummers“ schlief.20 Viele von uns wissen genau, was das ist – der Wunsch, aus der Realität in den Schlaf zu flüchten, und sei es nur für kurze Zeit. Jona war tief geschwächt und vollkommen erschöpft vor lauter Zorn, Schuldgefühlen, Angst und Trauer.
Wir stehen hier vor einem von mehreren sorgfältig konstruierten Vergleichen zwischen den verachteten heidnischen Seeleuten und dem hochanständigen Propheten aus Israel. Während Jona sich vor der Gefahr in den Schlaf flüchtet, sind die Seeleute hellwach. Während Jona ganz um seine eigenen Probleme kreist, suchen sie das Wohl aller in dem Schiff. Sie